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Schiller an Henriette v. Wolzogen, 1. Januar 1784

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Mannheim am neuen Jahr [Donnerstag] 84.

Was, um Gotteswillen! ist Ihnen widerfahren meine Freundin, dass Sie mir schon ganze Monate lang keine Spur Ihres Daseins mehr geben, und meinen lezten, fünf Blatt langen Brief so ganz unbeantwortet lassen? – Da ich mir keine Veränderung Ihrer Denkungsart vorstellen kann, so mus ich nothwendig eine Krankheit anklagen, denn daß Ihr Brief oder der meinige liegen geblieben ist ganz unwahrscheinlich. Ich beschwöre Sie, meine Beste, lassen Sie mich nicht länger in einer so traurigen Ungewißheit, die mir in meiner jezigen Lage (denn noch bin ich nicht vom Fieber frey) äuserst schwer auffällt.

Denken Sie Sich in meine äuserst anstrengende Situazion. – Um mit Anstand hier zu leben, und die mir vorgesezte Summe Geld zur Bezalung meiner Schulden herauszuschlagen – um zugleich die Ungeduld des Theaters, und die Erwartungen des hiesigen Publicums zu befriedigen habe ich unter meiner Krankheit mit dem Kopf arbeiten müssen, und durch starke Porzionen China meine wenigen Kräfte so hinhalten müssen, dass mir dieser Winter vielleicht auf Zeitlebens einen Stoß versezt. In zehn Tagen wird der Fiesko mit allem Aufwand bei Eröffnung des hiesigen Carnevals gegeben, und diese Lustbarkeiten dauern 2 Monate fort, und werden mich ziemlich inkommodieren, denn ich muß meine Stüke alle selbst anordnen. Sonsten bin ich mit meinen hiesigen Verhältnissen zufrieden, und ich genieße das ganze Vertrauen und dich Achtung Dalbergs.

Doch was schreib ich dergleichen? – Vielleicht haben Sie mich ganz vergessen, vielleicht sind Sie meine Freundin nicht mehr – vielleicht – Gott bewahre mich! – krank? – Ich bitte Sie bei allem was Ihnen theuer ist reißen Sie mich aus dieser entsezlichen Unruhe, nur 2 Worte, und dann will ich Ihnen wieder genug antworten.

Also hören Sie! Nur eine kurze Versicherung, ich bin Ihre Freundin wie vorher, und Sie machen einen frölichen Mann aus Ihrem zärtlichsten

Schiller.