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Schiller an Henriette v. Wolzogen, 11. September 1783

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Mannheim d. 11. Sept. [Donnerstag] 1783.

Endlich kann ich mich wieder zu Ihnen wenden, meine Theuerste. Wie viele tausend Besorgniße wegen meinem monatlangen Stillschweigen in Ihrem zärtlichen Herzen aufgestiegen seyn mögen kann ich mir leicht einbilden, und ich fürchte Sie haben den wahren Grund davon errathen. Schon 3 Wochen liege ich krank, meine Beste. Ohne Lebensgefahr, gottlob, aber ein kaltes Fieber, davon ich täglich einen Anfall auszustehen hatte, hat mich entsezlich mitgenommen, und ob ich gegenwärtig schon, biß auf Mattigkeit und Schwäche des Kopfs, wieder genesen bin, so werde ich dennoch vor 14 Tagen nicht aus dem Hause kommen. Schon die 8 Wochen, die ich in Mannheim zubringe, wüthet eine gallichte Seuche in der Stadt, die so allgemein ist daß unter 20,000 Menschen 6000 krank niederliegen. Meier ist wärend meines Hierseyns daran gestorben. Ein Freund, dem ich viel schuldig war. Jezt – Gott sei Dank – ist die Epidemie im Sinken. Für mich befürchten Sie nichts mehr. Ich war in den besten Händen, und wurde wie ein Kind des Hauses gepflegt, und wurde sogar, weil mein Kopf sehr angegriffen war, einem andern Doctor übergeben.

Ich hatte mir vorgesezt, Ihnen, meine Liebe, Schritt vor Schritt, alles was sich für mich schlimmes und Gutes hier ereignen würde, zu wißen zu thun – meine Krankheit hat dieses nichtig gemacht, und ich mus Ihnen nunmehr kurz und summarisch Bericht von allem Vergangenen und Künftigen abstatten, und meine Sachen in die möglichste Kürze zusammenziehen. –

Ihr lezter Brief, der mich nothwendig traurig machen mußte, weil er aus einem so traurigen Herzen floß, hat gewisermaßen den Ausschlag in meinen Zweifeln gegeben. Eben als ich ihn erhielt, hatte Dalberg Angriffe auf meinen Entschluß gethan. Sie erinnern Sich, meine Beste, dass ich Ihnen mein Ehrenwort gegeben, mich nicht selbst anzubieten, und in keinem Fall den ersten Schritt zu einem Engagement zu thun. Ich gebe Ihnen jezt mit aller Freundigkeit eines reinen Gewißens dieses mein Ehrenwort wieder, daß ich mein Versprechen gehalten. Dalberg selbst kam mir mit dem Antrag entgegen, dass ich hier bleiben sollte. Er stellte mir frei, auf wie lang ich mit dem Theater accordieren, und was ich für meine Verwendungen fordern wollte. Ob ich Ihnen nun gleich bei meiner Abreise die Erklärung gethan, dass ich vielleicht den Winter hierzubringen wollte, so zweifelte ich doch heftig bei mir selber, und ein allmächtiger Hang zu unserm stillen herrlichen Leben behielt schon die Oberhand, als Ihr Brief anlangte, und ich erfuhr, dass Winkelmann 2 Monate bei Ihnen zubringen würde. Sie wißen, meine Beste, dass mich die Ankunft dieses Herrn selbst aus Bauerbach vertrieben haben würde, wenn ich noch dort gewesen wäre, wie viel mehr mußte sie mich jetzt von meiner Reise zurükhalten. Ich entschied also für die Anerbietungen Dalbergs und vor ohngefähr 3 Wochen, wo ich bei ihm an Tafel war, wurden wir richtig. Ich bliebe biß auf den May 1784 hier, und folgende Punkte sind unter uns festgesezt.

1. bekommt das Theater von mir drei neue Stüke – den Fiesko – meine Louise Millerin – und noch ein drittes, das ich innerhalb meiner Vertragzeit noch machen mus.

2. Der Contract dauert eigentlich ein Jahr, nemlich vom 1. September dieses Jahres biß zum lezten August des nächsten; ich habe aber die Erlaubniß herausbedungen die heißeste Sommerzeit wegen meiner Gesundheit anderswo zuzubringen.

3. Ich erhalte für dieses eine fixe Pension von 300 fl; wovon mir schon 200 ausbezalt sind. – Außerdem bekomme ich von jedem Stück das ich auf die Bühne bringe die ganze Einnahme einer Vorstellung die ich selbst bestimmen kann, und welche nach Verhältniß 100 bis 300 fl. betragen kann. – Dann gehört das Stük dennoch mein und ich kann es nach Gefallen, wohin ich will, verkaufen und druken laßen. Nach diesem Anschlag habe ich biß zu Ende Augusts 1784 die unfehlbare Aussicht auf 12-1400 Gulden, wovon ich doch 4 biß 500 auf Tilgung meiner Schulden verwenden kann.

Danken Sie mit mir Gott, meine Beste, daß er mir hier einen Ausweeg eröfnet hat, durch Verbeßerung meiner Umstände mich aus dem Wirrwarr meiner Schulden zu reißen, und der ehrliche Mann zu bleiben. Dieser Gesichtspunkt allein, ich gestehe es, kann mich über die lange Trennung von Ihnen, und über den Aufschub meiner angenehmen Entwürfe trösten, und gibt mir jezt auch den Mut und die ruhige Festigkeit, Ihnen zu sagen dass wir uns vor 8 oder 9 Monaten nicht sehen werden. Biß dahin, meine Geliebteste Freundin, übergebe ich Sie dem Arm des unendlichen Gottes, der uns einander in der bestimmten Stunde glüklicher wiedergeben wird. Gedenken Sie meiner in Ihren einsamen Augenbliken, nennen Sie mich in Ihrem Gebete mit Ihren Kindern Gott, und flehen Sie ihn um Schuz für mein Herz und meine Jugend. Meine Freundschaft – wenn der Gedanke Ihnen Freude gewähren kann – bleibt Ihnen unwandelbar und gewis, und soll mein allmächtiges Gegengift gegen alle Verführung seyn. – Sie waren die erste Person, an welcher mein Herz mit reiner unverfälschter Zuneigung hieng, und eine solche Freundschaft ist über allen Wechsel der Umstände erhaben. Fahren Sie fort, meine Theuerste, mich Ihren Sohn zu nennen, und seien Sie versichert, daß ich das Herz einer solchen Mutter zu schäzen weis. Unsere Trennung, deren Nothwendigkeit ich Ihnen nicht erst beweisen darf, wird meine Gemüthsruhe wiederherstellen, eine Ruhe die ich schon so lange nicht mehr genossen habe, weil die Unbestimmtheit meiner Aussichten, und der nagende Gedanken meiner Schulden mich unaufhörlich verfolgten. Mein hiesiger Aufenthalt wird mich auch in meiner Wissenschaft vollkommener machen, und nur desto gerechtere Ansprüche auf ein künftiges Glük verschaffen. Ich war also diesen Schritt mir selbst und meinem ehrlichen Namen schuldig, und Gott wird mich weiter führen.

Übrigens, meine Beste, kann ich Ihnen von meiner hiesigen Lebensart nichts anders als Gutes melden, und vieles vereinigt sich mir Nuzen und Vergnügen zu machen. Fremde und Einheimische suchen mich auf, und bemühen sich um meine Freundschaft. Wärend meiner Krankheit habe ich die besten Zerstreuungen gehabt, und mein Zimmer war selten von Besuchern leer. Den Tag vorher eh ich mich legte, wurden mir zu Gefallen die Räuber gegeben, und das Haus wimmelte von Zuschauern. Bei Dalberg speise ich öfters und bei Schwan – zwei Häusern wo ausgesuchte Gesellschaft ist, und in dem ersten geht es fürstlich zu. Im Theater geh ich frei aus und ein, wie in meinem eigenen Hause. Sobald ich wieder ausgehen darf, werde ich einige neue Bekanntschaften von Stande machen, die mich kennen lernen wollen. Ich bin recht artig logiert – ach beste! Wenn sie mich einmal überraschen sollten. In einigen Wochen erwarte ich meine Schwestern und werde sie vielleicht 4 Wochen hier behalten. Dafür müssen sie mir aber Hemder machen und Strümpfe striken. – Kost mit Wein und Kaffe, und Logis kommen mich das Vierteljahr auf 5 Carolin. Meine Equipage nimmt mir aber viel Geld weg, weil ich noch gar nicht auf den Winter eingerichtet bin. Diese Ausgabe macht, dass Sie mit diesem Brief noch kein Geld bekommen, hingegen ist die halbe Einnahme von meinem Fiesco, der auf den Carneval gespielt werden wird, Ihnen bestimmt, wie auch die halbe Einnahme von meiner Louise Millerin. Der verdrüßliche Vorfall mit des Grünenbaumwirths Schimmel kommt mir recht ungeschikt, und eigentlich bin ich nichts zu zalen verbunden, weil der Gaul hätte geöfnet werden sollen. Doch können Sie, um Sich aus dem Handel zu ziehen, dem Kerl etwas versichern, das ich bezalen will, aber so wenig als möglich. Ihre glükliche Kur mit des Flurschüzen Kind war wirklich auch recht angemessen gut, und in der Not waren die Mittel schon ganz recht. Diese gut gelungene that mus Ihnen eine wahre herzliche Seelenwonne gewesen seyn. Könnte ich Ihnen doch zur Versorgung unsers lieben Wilhelms einmal Glük wünschen, meine Beste, aber der schleichende Gang des Herzogs und Obrist Seegers hat mir niemals gefallen wollen. Am Ende müssen Sie aber doch, und die wenige Monate die noch bis Decemb. sind wird Wilhelm doch aushalten können, da er schon 3 mal so viel Jahre überstanden hat. Der guten Lotte empfehlen Sie mich milliontausendmal. Wär ich doch nur jezt einen Tag bei Ihnen beiden – wie gern wolt ich mich aus allen meinen Verbindungen reissen! – aber ein Zeitraum von 8 Monaten ist im Ganzen ja nur eine Spanne und wie bald mißt man diese nicht aus. Dann haben Sie mich wieder meine Theuerste, und wenn es der Himmel will, beßer und glüklicher. Freuen Sie Sich mit mir nicht auch auf den herrlichen Augenblik, wenn wir uns wieder entgegen fliegen? Sehen Sie, diese Hofnung macht mich auch schon in der Ferne froh, und ich genieße diese freudige Zukunft schon jetzt. Machen Sie Sich diesen Winter doch ja recht viele Zerstreuungen. Ihre Oekonomie, Ihre Unterthanen, Ihre Kinder und meine Briefe sollen, denk ich, Stoff genug dazu seyn. –

Den 12. Sept. Ich brach gestern hier ab, weil ein Brief von meiner Familie kam. Meine guten Eltern freuen sich außerordentlich, dass sie mich einigermaßen versorgt wißen, und so nahe bei sich haben. Bald wird mich Mama und eine Schwester besuchen. – Gottlob meine Beste, heute ist mein Fieberanfal das 3. mal ausgeblieben, und ich füle mich jede Stunde leichter. Das soll, hoffe ich, meine lezte Krankheit in Mannheim seyn; da ich nun einmal Bürger darinn worden bin, so werde ich künftig unversehrt blieben. Ja meine Freundin, ich habe ein Flut von Geschäften vor mir, die ich mein ganzes Leben noch nicht gehabt habe. Das Jahr, das jezt vor mir ligt, mus über mein ganzes Schiksal entscheiden. – Wir haben einmal von der Freimaurerey miteinander gesprochen. Vor einigen Tagen hat mich ein reisender Maurer besucht, ein Mann von der ausgebreitetsten Kenntniß und einem grosen verborgenen Einfluß, der mir gesagt, dass ich schon auf verschiedenen Freimäurerlisten stünde, und mich inständigst gebeten hat, ihm jeden Schritt den ich hierin thun würde vorher mitzutheilen, er versichert mich auch, dass es für mich eine außerordentliche Aussicht sei. Dem sei wie ihm wolle, ich werde jezt anfangen mit aller Anstrengung fleißig zu seyn, und mich in mehreren Fächern versuchen. Verlaßen Sie Sich darauf, daß sie mich etwas gescheider wieder finden.

Dem guten Rheinwald sagen Sie tausend schöne Sachen. Ich hab ihm wärend meines Hierseyns einmal aus Schwans Hause geschrieben. Der Brief ist über Bareyth gegangen. Nah und ferne bin ich sein redlicher treuer Freund, und auch ihn seh ich wieder. Ihrer lieben guten Mine empfehlen Sie mich vielmals. Ich denke oft an das gute Geschöpf, sie hat sich mir unvergeßlich gemacht. Wenn Sie an Wurmb schreiben, so erzälen Sie ihm die Ursache meiner Abwesenheit, und versichern Sie ihn meiner ewigen Achtung.

Der Verwalter Vogt wird hoffentlich schwer mit Geld beladen zurükgekommen seyn. Könnte ich doch, wenn ich Bauerbach wieder sehe, schon den Grundstein zur neuen Kirche gelegt finden. Es bleibt dabei daß ich etwas darein stifte. Dem guten Biberischen Pfarrer machen Sie auch ein Compliment von mir, und bleiben Sie ihm um meinetwillen gut. Alles was mich in und um Bauerbach intereßierte soll herzlich gegrüßt seyn. Die Judith und Baiers Leute laße ich recht schön grüßen.

Meinen Rok und manschesterne Hosen könnte ich zwar sehr wol hier brauchen. Ich will aber alles bei Ihnen laßen, weil ich doch gewiß wieder komme. Die entlehnten Bücher schiken Sie aber Rheinwald zu, dass er sie an ihre Besizer zurükschaffe. Jetzt mus ich abbrechen, meine Liebe, sonst bekommen Sie diesen Brief um einen Posttag später. Sobald ich ganz gesund bin erfahren Sie es. Nunmehr 1000000000 lebewol, von Ihrem Sie ewig liebenden

S.

Unserer Lotte schreibe ich im nächsten Brief ganz gewiß. Sagen Sie ihr das, und versichern Sie Sie meiner ewigen Freundschaft. Jezt wird Winkelmann vermutlich bei Ihnen seyn, und kaum gedacht werden an den armen entfernten S.

S.