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Schiller an den Herzog v. Augustenburg, Dezember 1793

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[Dezember 1793.]

Durchlauchtigster Prinz,

Der Sinn für das Schöne, habe ich in dem vorhergehenden Briefe auszuführen gesucht, diene der wahren Tugend zur Stütze und ersetze sie, wo sie mangelt, durch die ästhetische. Diese ästhetische Tugend, obgleich sie dem Menschen keinen Werth in der moralischen Welt erwirbt, macht ihn doch für die physische brauchbar, weil sie ihn einer Gesetzmäßigkeit des Betragens fähig macht, ohne welche die Natur ihren großen Zweck, der auf Vereinigung der Menschen zu einem Ganzen gerichtet ist, nie erreichen könnte. Aber die Menschen sind darum noch lange nicht vereinigt, wenn sie nicht unter einander entzweyhet sind, und die Legalität allein kann blos verhindern, daß Ungerechtigkeit nicht das Band der Gesellschaft zerreiße. Die Menschen wahrhaft und innig zu vereinigen, dazu gehört noch ein eigenes positives Band, der gesellige Karakter, oder die Mittheilung der Empfindungen, und der Umtausch der Ideen.

Zur Gesellschaft konnte schon das bloße Bedürfniß den Menschen führen, aber nur der Geschmack zur Geselligkeit; denn schon die Noth konnte seine doppelte Natur entwickeln, aber nur die Schönheit sie vereinigen. Der Geschmack allein bringt eine harmonische Einheit in die Gesellschaft, weil er eine harmonische Einheit in dem Individuum stiftet.

Rücksicht auf die Mittheilbarkeit der Empfindungen und Ideen ist bekanntlich das erste Gesetz, welches der gute Ton allen Gliedern einer civilisierten Gesellschaft diktiert. Der gute Ton verbannt alles was ausschließt. Er verlangt, daß an dem, was Einer faßt, und was Einer empfindet, alle ohne Unterschied sollen Theil nehmen können.

Aber die Vergnügungen der Sinne, die sich auf unmittelbare Sensation und eine materielle Ursache gründen, und die entgegengesetzten des reinen Verstandes, die sich auf Abstraktion und logische Formen beziehen, haben beide mit einander gemein, daß sie nie einer allgemeinen Mittheilung fähig sind. Jene deswegen nicht, weil sie sich nach einer individuellen Empfänglichkeit und nach Privatbedürfnissen richten, welche zufällig sind; diese deswegen nicht, weil sie zwar aus der unveränderlichen und gemeinschaftlichen Anlage des Verstandes, aber aus einer besondern Anwendung und Entwickelung dieser Anlage fließen, welche gleichfalls zufällig ist, und nicht bey jedermann darf vorausgesetzt werden.

Man würde eine gemischte Gesellschaft aus der gesitteten Welt sehr schlecht unterhalten, wenn man blos den Sinnen mit angenehmen Reitzungen schmeichelte. Denn, auch die Geistesleerheit einer solchen Bewirthung abgerechnet, könnte man ja niemals sicher seyn, daß der Privatgeschmack eines einzelnen aus der Gesellschaft dasjenige nicht abhorrierte, was den andern Vergnügen macht, und, gesetzt daß es auch durch Varietät gelänge, es jedem Einzelnen recht zu machen, so würde doch eigentlich nicht gesagt werden können, daß der Eine das Vergnügen des Andern theile, sondern jeder würde immer nur für sich besonders genießen, und seine Empfindungen in sich begraben.

Man würde aber die nämliche Societät nicht viel besser befriedigen, wenn man sie mit den profondesten Wahrheiten der Mathematik, Metaphysik oder Diplomatik bewirthete, weil das Interesse an diesen Gegenständen auf Kenntnissen und einem besondern Verstandesgebrauche beruhet, der nicht von allen Menschen erwartet werden darf. Der blos sensuelle Mensch und der bloße Fächergelehrte sind daher gleich unbrauchbare Subjekte der Konversation, weil beide gleich wenig Fähigkeit besitzen, ihr Privatgefühl zum allgemeinen zu erweitern, und das allgemeine Interesse zu dem ihrigen zu machen.