HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 17. März 1802

Schiller an Gottfried Körner, 17. März 1802

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Weimar 17. März [Mittwoch] 1802.

Dein Aufsatz über Geist und esprit hat mich sehr angenehm überrascht, und interessirte mich doppelt, sowohl der Sache selbst wegen, als auch darum, weil er Deine eigene, alles sich veredelnde Individualität so rein ausspricht. Geist, geistreich ist einer von denjenigen cursirenden Begriffen, die sich jeder einzelne Mensch und jede Nation nach ihrem eigenthümlichen Ideal und Bedürfniß modeln, und auch gewissermaßen dazu befugt sind. Du hast die Idee nach Deiner Art gefaßt, die im Ganzen auch die meine ist, weil wir in dem, was wir fürs Höchste halten, übereinstimmen. Aber auch dem Franzosen müssen wir seinen Geist und seine Art des Geistreichen zugestehen, wenn wir unter Geist überhaupt dasjenige verstehen, was bei einem Geschäft über das Geschäft hinaus geht, was das freie Vermögen reizt und beschäftigt, was gleichsam einen subjectiven Gehalt und Ueberfluß zu dem streng objectiven giebt. Wir gebildeten und besonders ästhetisch gebildeten Deutschen wollen immer aus dem Beschränkten ins Unendliche gehen, und werden also den Geist ernsthafter nehmen und in das Tiefe und Ideale setzen; der Franzose hingegen wird sich seines absoluten Vermögens mehr durch das freie Spiel der Gedanken bewußt, und wird also schon mit dem Witz zufrieden seyn.

Aber auch der Witz nähert sich, sobald er constitutiv wird, dem Genialen, ja ich glaube, daß manche luminöse und tiefe Wahrheiten dem Witz sich früher dargestellt haben, nur daß er nicht das Herz hatte, Ernst daraus zu machen, bis das Genie kam, und wie eine edle Art von Wahnwitzigen sich über alle Rücksichten wegsetzte.

Aus eben dem Grunde, weil wir Deutschen soviel von dem Geist fordern, haben wir so wenig; das Höchste macht sich am schwersten mit dem Gewöhnlichen gemein, daher bleibt uns so oft keine andere Wahl, als abwechselnd platt und erhaben zu seyn. Des Zierlichen, Anmuthigen, Geistreichen (im gewöhnlichen Sinne) ist jedes Geschäft, jedes Gespräch fähig und empfänglich; des Poetischen oder Idealen aber nicht, oder nur in den höchsten Momenten.

Du äußerst den Wunsch, daß ich mich wieder auf eine periodische Schrift einlassen möchte, und ich selbst wünschte um Deinetwillen es möglich machen zu können. Aber ich bin durch die Thalia, die Horen und den Almanach auf immer und ewig davon abgeschreckt, auch hat sich meine Natur, die sonst sehr dahin neigte, gänzlich verändert, so daß ich jetzt jeden Augenblick für verloren halte, den ich nicht einem poetischen Werke widme. Solche verlorene Augenblicke habe ich zwar genug, aber ich thue dann lieber nichts, als etwas anderes.

Leider habe ich diesen Winter soviel als nichts gethan, weil ich mich nicht bestimmen konnte und weil die hiesige Existenz sehr zerstreuend für mich ist. Eine andere Einrichtung meines Hauses, wo ich mich bisher nicht recht isoliren konnte, war dringend nöthig, und dies hat mich vorzüglich bestimmt, mir hier ein Haus zu kaufen. Nicht sowohl dieser Hauskauf, als die große Versäumniß in diesem Winter wird unsrer Wiedervereinigung in diesem Jahre Schwierigkeiten in den Weg legen; denn ich muß nun eilen, mich ganz in das Geschäft hineinzustürzen.

Du wirst mich fragen, warum ich denn den Warbeck habe liegen lassen; ich habe viel über das Stück gedacht, und werde es auch unfehlbar mit Succeß ausführen. Aber ein anderes Sujet hat sich gefunden, das mich jetzt ungleich stärker anzieht, und welches ich getrost auf die Jungfrau von Orleans kann folgen lassen. Aber es fordert Zeit; denn es ist ein gewagtes Unternehmen, und werth, daß man alles dafür thue.

Deine Melodien, die wir jetzt gehört haben, machen uns viele Freude, besonders macht die zu den vier Weltaltern Glück. Ich wünschte nur, daß ich sie besser könnte vortragen hören; denn so gern unsere Damen singen, so wenig Musik verstehen sie.

Die Einlage bitte an Becker zu besorgen. Es sind einige Kleinigkeiten von Poesie, die ich ihm für seine Erholungen versprochen; Du kannst sie Dir gelegentlich von ihm zeigen lassen, denn viel ist nicht daran. Indessen findest Du doch vielleicht etwas Componibles darunter. Ich habe einige glückliche Ideen zu Gedichten, wenn sie nur ausgeführt wären.

Lebe wohl und laß mich bald wieder von Dir hören. Wir umarmen Euch alle von ganzem Herzen.

Dein Sch.