HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 19. November 1787

Schiller an Gottfried Körner, 19. November 1787

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Weimar, 19. November [Montag] 1787.

Ich habe Dir einige Wochen wenig geschrieben, aber ich glaube, wir haben es ausgemacht, daß wir bei unserem Briefumgange nur der Eingebung, nie der Pflicht folgen wollen, und das war diesmal mein Fall. Ich hatte Dir wenig Historisches zu schreiben und an mich selbst hab ich wenig gedacht. Was ich aber darüber gedacht habe, war mir noch zu nah, zu dicht vor dem Auge meiner Vernunft, und zu wichtig, es Dir vernachlässigt zu geben. Auch war ich wirklich zu sehr beschäftigt, denn die meiste Zeit mußte ich im Strada, Grotius, Reid und zehn anderen herumwühlen. Sieh, mein Lieber, das ist der kurzgefaßte Begriff meiner bisherigen Aufführung gegen Dich. Du wirst mich frei sprechen von Flüchtigkeit. Uebrigens gebe ich Dir darin nicht recht, daß Du es als bekannt annimmst, ich vermisse Euch weniger, als Ihr mich. Dein Zirkel im Hause ist genauer und inniger gebunden, als meine hiesigen Freundschaften. Dein Zirkel außer dem Hause ist wenigstens ebenso mannigfaltig, als meine Clubbs.

Deine Frau ist Dir Charlotte, Mlle. Schröder, Mlle. Schmidt, Herder, Bode und Wieland. Dann hast Du noch Huber und Dorchen, die ich hier nicht habe. Also rechne ein andermal besser. Im Ernst, mein Lieber, außer Wieland und Charlotte sehe ich jezt selten jemand, außer im Flug. Manchen Clubb versäume ich, die Komödie besuche ich selten, und in den Häusern gehe ich vollends zu niemand. Mit Wieland komme ich immer enger zusammen, mehr aber bis jezt durch seine gute Meinung von mir, als durch das, was ich wirklich Gelegenheit gehabt habe, ihm zu seyn. Er findet besonders, daß ich für ihn tauge, welches kaum wahr seyn kann. Selbst auf Unkosten Reinholds hat er mir schöne Dinge darüber gesagt. Den letzteren habe ich kürzlich in Gesellschaft der Wieland besucht, und an einem geschwollenen Halse sehr krank gefunden, aber wiederhergestellt verlassen. Das Wielandsche Haus thut mir wohl, bis Jena hinaus. Es sind lauter gute Menschen, und keines ohne einen gewissen Grad von Lebhaftigkeit oder Verstand oder Eigenthümlichkeit, der es bemerken macht. Ich bin gewiß, sehr gewiß, daß Ihr auch daran hängen bleiben würdet. Vor wenigen Tagen kam ich mit Wieland in ein weitläufiges Gespräch über seine Familie, darüber es Nacht wurde; ich blieb also ganz da bis eilf Uhr, und fand mich unter diese Menschen, als wenn ich unter sie gehörte. Und doch, mein Lieber, ich gehöre nicht zu diesen Menschen; das fühle ich bei mir selbst. Ich bin wirklich zu sehr Weltkind unter ihnen, die ganz unerfahrener Natur sind. Ich glaube wirklich, Wieland kennt mich noch wenig genug, um mir seinen Liebling, seine zweite Tochter nicht abzuschlagen, selbst jezt nicht, da ich nichts habe. Das Mädchen kenne ich nicht, gar nicht, aber siehst Du, ich würde sie ihm heute abfordern, wenn ich glaubte, daß ich sie verdiente. Es ist sonderbar, ich verehre, ich liebe die herzliche empfindende Natur, und eine Kokette, jede Kokette kann mich fesseln. Jede hat eine unfehlbare Macht auf mich, durch meine Eitelkeit und Sinnlichkeit; entzünden kann mich keine, aber beunruhigen genug. Ich habe hohe Begriffe von häuslicher Freude, und doch nicht einmal soviel Sinn dafür, um mir sie zu wünschen. Ich werde ewig isolirt bleiben in der Welt, ich werde von allen Glückseligkeiten naschen, ohne sie zu genießen. Auf die Wieland zurückzukommen: ich sage Dir, ich glaube, daß mich ein Geschöpf, wie dieses, glücklich machen könnte, wenn ich soviel Egoismus hätte, glücklich seyn zu können, ohne glücklich zu machen, und an dem leztern zweifle ich sehr. Bei einer ewigen Verbindung, die ich eingehen soll, darf Leidenschaft nicht seyn, und darum hab ich bei diesem Falle mich schon verweilt. Ich kenne weder das Mädchen, noch weniger fühle ich einen Grad von Liebe, weder Sinnlichkeit noch Platonismus – aber die innigste Gewißheit, daß es ein gutes Wesen ist, daß es tief empfindet und sich innig attachiren kann, mit der Rücksicht zugleich, daß sie zu einer Frau ganz vortrefflich erzogen ist, äußerst wenig Bedürfnisse und unendlich viel Wirthschaftlichkeit hat. Aber noch einmal, ich weiß nicht, ob ich in diesen Kreis gehöre; ob ich ewig darin verharren, mich nie daraus sehnen, ob ich diesen Menschen werth bleiben kann – das weiß ich nicht. Glaubst Du mich zu kennen, genug zu kennen, um es zu bejahen oder zu verneinen, so laß mich Dich darüber hören. Du, dem mein Glück wie das seinige nahe geht, sage mir, ob ich auf diesen Umstand denken soll, ob alle die Erfahrungen, die Du, die die anderen über mich gemacht haben, sich mit der Idee reimen, daß ich eine Frau habe, und ein mir so entgegengesetztes Wesen, eine unschuldige Frau. Wenn diese Materie unter uns erst ins Reine gebracht ist, dann und nicht eher will ich mich bemühen, das Mädchen kennen zu lernen, und meinen Umgang mit Wieland auf dem Fuße erhalten, auf dem er eingeleitet ist. Jetzt bin ich in der That kalt, und es kostet mir wenig oder nichts, mich auf ihn allein einzuschränken. Charlotte weiß von diesem Monologe meiner Vernunft nichts. – Herr v. Kalb ist vor drei Tagen in Kalbsrieth angekommen, und dahin ist Charlotte jetzt gereist. In acht Tagen kommen beide hier an. Dann schreibe ich Dir über das, was ich Dir längst schreiben wollte, über die Zukunft. Hubers Aussicht gefällt mir besser, als ich anfangs dachte, und Dein Urtheil darüber leuchtet mir sehr ein, sowie auch Deine lieblichen Plane von Vereinigung, die mir wohlthun, an die ich fest und von Herzen glaube. Grüße mir alle tausendmal. Es ist wohl lieblos von mir, wenn ich Dich bitte, Huber recht bald zu uns hierherzuschicken.

Die Assignation begreife ich nicht. Ich erwarte sie – aber nicht mit Ungeduld.

Dein S.