Weimar, 2. Februar [Montag] 1789.
Daß Du jetzt schrecklich fleißig arbeiten mußt, sehe ich aus Deiner Correspondenz. Das ist schon der vierte Posttag, daß ich auf den versprochenen ausführlichen Brief warte, und wenn auch der, sowie die vorigen, leer vorübergeht, so werde ich Deine Schriftstellerei mit meinem Fluche belegen. Heut aber, hoffe ich, wirst Du mich nicht getäuscht haben; doch erwarten kann ich Deinen Brief nicht, weil ich ihn oft später erhalte, als die Post wieder abgeht.
Die Künstler habe ich seit gestern und vorgestern wieder vor; und was sie heute nicht werden, werden sie nie. Es ist keine undankbarere Arbeit, als Gedichte in Ordnung zu bringen; ein unerhörter Zeitaufwand, und noch dazu ein verlorener: denn meistes kommt man dahin zurück, wovon man anfangs ausging. Die erste Stimmung, worin es wurde, ist einmal vorbei. Ich habe den Anfang ganz weggestrichen; für die Verse ists allerdings schade; vielleicht passen sie einmal für ein anderes Ganze; das Gedicht hat jetzt eine größere Simplicität, und an Kürze hat es auch gewonnen. Wie ich die Verse von der Wiederherstellung der schönen Wissenschaften anders ordnen soll, weiß ich nicht; denn ich darf doch den zweiten Lenz nicht vor dem ersten bringen, und von dem ersten handelt doch alles vorhergehende. Ganz verlieren möchte ich diese Verse auch nicht, und um so weniger, da sie offenbar zu dem Ganzen gehören.
Ich gebe die Künstler Wieland, dem ich sonst auf der Welt nichts zu geben habe; ich habe auch noch den eigennützigen Grund, daß sie im Mercur weniger verloren gehen, als in der Thalia, die kaum die Hälfte Leser hat und ohnehin aufhört. Zugleich muß ich auch darauf denken, dem Merkur nothwendig zu bleiben.
Ich war gestern nach dreiviertel Jahren zum erstenmal wieder in der Komödie. Es war eine Oper. Bei dieser Gelegenheit wars mir interessant zu bemerken, daß die Unnatur ganz besonders auf mich wirkte, ungefähr wie auf einen, der aus der Provinz zum erstenmal in die Stadt kommt. Durch die Gewohnheit verliert man diesen Sinn; die Bemerkungen, die ich gestern anstellte, erinnere ich mich nie gemacht zu haben. Jetzt quält es mich schon fast den ganzen Winter, daß ich mich nicht an das Schauspiel machen kann, das ich in Rudolstadt ausheckte. Es würde mich glücklich machen – und das, was mich jetzt beschäftigen soll, vielleicht Jahre lang beschäftigen muß, ist von dem Lichtpunkte meiner Fähigkeiten und Neigungen so himmelweit entlegen. Daß ich über dieses Hinderniß siegen werde, glaube ich wohl, aber ob mir auch wohl dabei seyn wird, ist eine andere Frage. Das ist indessen richtig, daß diese Diverison, besonders wenn sie einige Jahre dauert, einen sehr merklichen Einfluß auf meine erste dramatische Arbeit haben wird, und wie ich doch immer hoffe, einen glücklichen. Als ich während meines akademischen Lebens plötzlich eine Pause in meiner Poeterei machte und zwei Jahre lang mich ausschließend der Medicin widmete, so war mein erstes Product nach diesem Intervall doch gleich die Räuber. Was ich auch auf meine einmal vorhandene Anlage und Fertigkeit Fremdes und Neues pfropfen mag, so wird sie immer ihre Rechte behaupten; in anderen Sachen werde ich nur in soweit glücklich seyn, als sie mit jener Anlage in Verbindung stehen; und alles wird mich am Ende wieder darauf zurückführen. In acht Jahren wollen wir einander wieder daran erinnern.
Dieser Tage ist Moritz wieder von hier abgegangen. Du hast mir nicht geschrieben, ob Du seine Broschüre gelesen hast, und was Du davon hältst. Sie schlägt in Dein Lieblingsfach so nahe ein, und würde Dich gewiß nicht gleichgültig lassen. Moritz ist ein tiefer Denker, der seine Materie scharf anfaßt und tief heraufholt. Seine Aesthetik und Moral sind ganz aus einem Faden gesponnen; seine ganze Existenz ruht auf seinen Schönheitsgefühlen. Die Abgötterei, die er mit Goethe treibt und die sich soweit erstreckt, daß er seine mittelmäßigen Producte zu Kanons macht und auf Unkosten aller anderen Geisteswerke herausstreicht, hat mich von seinem näheren Umgange zurückgehalten. Sonst ist er ein sehr edler Mensch, und sehr drollig-interessant im Umgange.
Oefters um Goethe zu seyn, würde mich unglücklich machen: er hat auch gegen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen; ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. Er besitzt das Talent, die Menschen zu fesseln, und durch kleine sowohl als große Attentionen sich verbindlich zu machen; aber sich selbst weiß er immer frei zu behalten. Er macht seine Existenz wohlthätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben – dies scheint mir eine consequente und planmäßige Handlungsart, die ganz auf den höchsten Genuß der Eigenliebe calculirt ist. Ein solches Wesen sollten die Menschen nicht um sich herum aufkommen lassen. Mir ist er dadurch verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke. Ich betrachte ihn wie eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muß, um sie vor der Welt zu demüthigen. Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht ganz unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Caesar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben. Goethe hat auch viel Einfluß darauf, daß ich mein Gedicht gern recht vollendet wünsche. An seinem Urtheil liegt mir überaus viel. Die Götter Griechenlands hat er sehr günstig beurtheilt; nur zu lang hat er sie gefunden, worin er auch nicht unrecht haben mag. Sein Kopf ist reif, und sein Urtheil über mich wenigstens eher gegen mich als für mich parteiisch. Weil mir nun überhaupt nur daran liegt, Wahres von mir zu hören, so ist dies gerade der Mensch unter allen die ich kenne, der mir diesen Dienst thun kann. Ich will ihn auch mit Lauschern umgeben, denn ich selbst werde ihn nie über mich befragen.
Lebe wohl. Unser Herzog ist gestern nach Berlin, wo er vier Wochen bleiben wird; vor seiner Zurückkunft wird meine Sache wohl nicht zum völligen Schluß kommen.
Besucht Ihr die Redouten auch fleißig? Ich war vorgestern zum erstenmale dieses Jahr darauf, um doch unter Menschen zu gehen. Hier sind die Redouten zuweilen recht brillant, und weit mehr als die Dresdner. Man lebt auch vergnügter darauf und anständiger. Grüße mir Minna und Dora.
Schiller.