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Schiller an Gottfried Körner, 9. März 1789

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Weimar 9. März [Montag] 89.

Eben erhalte ich Deine 2 Briefe und weiß nichts beßres zu thun, als sie gleich zu beantworten. Die Streitfrage wegen der Künstler ist in Rücksicht Deiner und meiner ihrer Entscheidung sehr nahe; denn entweder erhalte ich das Merkurstück noch, um es in diesen Brief einzuschließen, oder folgt es auf den nächsten Freitag. Ich fürchte nicht, meinen Proceß zu verlieren.

Es ist ein Gedicht und keine Philosophie in Versen; und es ist dadurch kein schlechteres Gedicht, wodurch es mehr als ein Gedicht ist. Ich wünschte, daß wir uns recht darüber miteinander ausschütten könnten. Das Gedicht ist übrigens zu ausgezeichnet, um daß nicht öffentliche Urtheile darüber gefällt werden sollten. Wir wollen sie erwarten.

Ich wundere mich, daß Du Dir die Beantwortung auf Deine Einwürfe gegen das philosophische Gespräch im Geisterseher nicht selbst beygeschrieben hast. Hätte mich der Geisterseher biß jezt für sich selbst als ein Ganzes intereßirt, oder vielmehr, hätte ich die Theile nicht früher expediren müssen, als dieses Interesse am Ganzen in mir reif geworden ist: so würde dieses Gespräch gewiß diesem Ganzen mehr untergeordnet worden seyn. Da jenes aber nicht war, was konnte ich anders, als das Detail meinem Herzen und meinem Kopfe wichtig machen; und was kann der Leser unter diesen Umständen mehr von mir verlangen, als dass ich ihn mit einer interessanten Materie auf eine nicht geistlose Art unterhalte. Aber darinn hast Du, glaube ich, den Gesichtspunkt verfehlt, daß Du glaubst, die Handlungsart des Prinzen solle aus seiner Philosophie bewiesen werden: Sie soll nicht aus seiner Philosophie, sondern aus seiner unsichern Lage zwischen dieser Philosophie und zwischen seinen ehemaligen Lieblingsgefühlen, aus der Unzulänglichkeit dieses Vernunftgebäudes und aus einer daraus entstehenden Verlaßenheit seines Wesens herfließen. Dein Irrthum besteht darinn, daß Du meynst, diese angegebene Philosophie solle die Motive zu seiner Lebensart hergeben. Nichts weniger, seine Unzufriedenheit mit dieser Philosophie giebt diese Motive her. Diese Philosophie ist, wie Du gefunden hast, kein Ganzes, es fehlt ihr an Consequenz – und das macht ihn unglücklich; und diesem Unglück will er dadurch entfliehen, daß er den gewöhnlichen Menschen näher tritt. Uebrigens freut mich, daß über gewisse Stellen darinn Dein Geschmack mit dem meinigen zusammentrift; aber das Durchgeführte und beschloßene in einigen neuen Vorstellungsarten scheint auf Dich eine geringere Wirkung gethan zu haben, als ich erwartete. Es mag aber daher kommen, daß es Dir nicht mehr neu war – ich selbst aber, der nichts von der Art liest oder gelesen hat, habe alles aus mir selbst spinnen müssen. Der Beweis z. B., daß Moralität bloß in dem Mehr oder Weniger der Thätigkeit liege, scheint mir von sehr vielen Seiten beleuchtet und sogar mit Gründlichkeit ausgeführt zu seyn. Ich habe überhaupt an dieser Arbeit gelernt – und das ist mehr als 10 Thaler für den Bogen. Halte diese Philosophie (versteht sich, diejenige abgerechnet die ich dem Prinzen als einer poetischen Person leyhen mußte) gegen die philosophie des Julius, Du wirst sie gewiß reifer und gründlicher finden.

Dein Urtheil über die Iphigenia unterschreibe ich im Grunde ganz, und die Gründe, aus denen Du mich rechtfertigst, daß ich mich damit beschäftigte, sind auch die meinigen: mehr Simplicität in Plan und Stil daraus zu lernen. Setze noch hinzu, daß ich mir, bey mehrerer Bekanntschaft mit griechischen Stücken, endlich das Wahre, Schöne und Wirkende daraus abstrahiere und mir mit Weglaßung des Mangelhaften ein gewisses Ideal daraus bilde, wodurch mein jetziges corrigiert und vollends geründet wird – so wirst Du mich nicht tadeln, wenn ich zuweilen darauf verfalle, mich damit zu beschäftigen. Zeit und Mühe hat es mir allerdings gekostet, und das, was im Euripides schlecht war, bei weitem am meisten. Die Chöre haben durch mich gewonnen, d. h. was sie bey manchem anderen Übersetzer nicht gewonnen hätten; denn vielleicht sind sie im Original durch die Diction vortreflich. Wenn Du nun die 2 lezten Akte vollends hast (die Deine Idee sowohl vom Original als von der Uebersetzung vielleicht noch verbeßern), so mache Dir den Spaß meine Uebersetzung mit der lateinischen des Josua Barnes zusammenzuhalten; denn diese lateinische war, als die treueste, mein eigentliches Original. Dann wirst Du mir vielleicht eingestehen, daß ich einen großen Grad eigener Begeisterung nöthig hatte, und dass ich sehr von dem meinigen habe zusetzen müssen, um sie so leidlich zu liefern. Ich fodere viele unserer Dichter auf, die sich soviel auf ihr griechisch und latein zu gute thun, ob sie bey so wenig Erwärmendem Text nur soviel geleistet hätten, als ich leistete. Ich konnte nicht wie sie mit den Feinheiten des Griechischen mir helfen – ich mußte mein Original errathen, oder vielmehr, ich mußte mir eins erschaffen.

Ich muß lachen, wenn ich nachdenke, was ich Dir von und über Göthen geschrieben haben mag. Du wirst mich wohl recht in meiner Schwäche gesehen und im Herzen über mich gelacht haben, aber mag es immer. Ich will mich gerne von Dir kennen lassen, wie ich bin. Dieser Mensch, dieser Göthe ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, daß das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht ward sein Genie von seinem Schicksal getragen, und wie muß ich biss auf diese Minute noch kämpfen! Einhohlen läßt sich alles Verlorene für mich nun nicht mehr – nach dem 30gsten bildet man sich nicht mehr um – und ich könnte ja selbst diese Umbildung vor den nächsten 3 oder 4 Jahren nicht mit mir anfangen, weil ich 4 Jahre wenigstens meinem Schicksale noch opfern muss. Aber ich habe noch guten Muth, und glaube an eine glückliche Revolution für die Zukunft. Könntest Du mir innerhalb eines Jahrs eine Frau von 12000 Thl. verschaffen, mit der ich leben, an die ich mich attachieren könnte, so wollte ich Dir in 5 Jahren – eine Fridericiade, eine klassische Tragödie und weil Du doch so darauf versessen bist, ein halb Duzend schöner Oden liefern – und die Academie in Jena möchte mich dann im Asch lecken.

Du willst wissen, wie ich hier lebe. Du hast es errathen. Ich habe sehr wenig Umgang. Die Leute wunderten sich anfangs, wie ich von R. zurückkam über meine Unsichtbarkeit; endlich gewöhnte man sich darann, und jezt wundert man sich nicht mehr. Wie es eben geht. Ich habe einige Diners und Soupers ausgeschlagen, und dann sind die Invitationen unterblieben. Bertuch, Hofrath Voigt und einige andere besuchen mich manchmal und ich sie; zu Wieland komme ich oft in 4 Wochen nicht, und lasse nur zuweilen in einem Billetwechsel, wenn wir Geschäfte zusammen haben, diese Bekanntschaft fortvegetiren, die sich jede Minute wenn ich will, verstärken und wieder dämpfen läßt. Charlotte besuche ich noch am meisten; sie ist diesen Winter gesünder und im ganzen auch heiterer als im vorigen; wir stehen recht gut zusammen; aber ich habe, seitdem ich wieder hier bin, einige Principien von Freiheit und Unabhängigkeit im Handeln und Wandeln in mir aufkommen lassen, denen sich mein Verhältniß zu ihr wie zu allen übrigen Menschen blindlings unterwerfen muß. Alle romantische Luftschlösser fallen ein, und nur was wahr und natürlich ist, bleibt stehen. Wie werther wird mir alle Tage Deine und meine Freundschaft, und wie wohlthätig ist sie mir schon gewesen. Ich würde keine dieser Art mehr knüpfen können, denn Du glaubst nicht, wieviel Misanthropie sich in meine Denkart gemischt hat. Leiden, Fehlschlüsse über Menschen, hintergangene Erwartungen haben mich in ihrem Umgange schüchtern und mistrauisch gemacht. Ich habe den leichtsinnigen frohen Glauben an sie verloren; darum braucht es sehr wenig, um meine Zuversicht zu eines Menschen Freundschaft für mich wankend zu machen, besonders, wenn ich Ursache habe zu glauben, daß sein eigenes Gedankensystem, seine Neigungen noch nicht fest sind.

Warum müssen wir getrennt von einander leben. Hätte ich nicht die Degradation meines Geistes so tief gefühlt, ehe ich von euch gieng, ich hätte euch nie verlassen, oder hätte mich bald wieder zu euch gefunden. Aber es ist traurig, daß die Glückseligkeit, die unser ruhiges Zusammenleben mir verschaffte mit der einzigen Angelegenheit, die ich der Freundschaft selbst nicht zum Opfer bringen kann, mit dem inneren Leben meines Geists, unverträglich war. Dieser Schritt wird mich nie gereuen, weil er gut und nothwendig war, aber es ist doch eine harte Beraubung, ein hartes Opfer für ein ungewisses Gut.

Du wirst glauben, ich sey heute hypochondrisch oder unzufrieden gestimmt; aber dieß ist der Fall nicht. Ich fühle ruhig und bin nicht verstimmt. Die nähere Ansicht meiner Lage drang mir diese Empfindungen auf.

In Jena erwartet mich eine leidliche gesellige Existenz, von der ich mehrere Vortheile zu ziehen gedenke, als bisher. Mein isolirtes Daseyn könnte dort auch nicht gut fortdauern, weil ich dort bin, was ich noch nie war, ein Glied eines Ganzen, das mehr oder weniger zusammenhält. Ich bin in Jena zum erstenmale eigentlicher bürgerlicher Mensch, der gewisse Verhältnisse außer sich zu beobachten hat; und da diese doch nicht drückend sind, da ich dort niemand über mir habe, so hoffe ich mich darein finden zu können. Ich werde Dir allerley zu schreiben finden, wenn ich erst auf diesem Terrain eingewohnt bin. Es freuen sich schon einige auf mich; das schützische Haus ist mir sehr freundschaftlich ergeben. Dafür stehe ich Dir nicht, dass ich mich nicht bald irgendwo engagierte, wenn die Umstände sehr günstig sind. Ich habe auf dieser Welt keine wichtigere Angelegenheit, als die Beruhigung meines Geists – aus der alle meine edleren Freuden fließen. Kann ich zu sehr eilen, dieses höchste Interesse zu befördern? Ich muß ganz Künstler sein können, oder ich will nicht mehr seyn.

Schreibe mir bald wieder, wenn Du Zeit hast. Du hast neulich vergessen mir zu schreiben, an welchem Tage Du meinen Brief empfangen hast. Thu es dießmal. Ich gebrauche jezt einen neuen Posttag, darum möchte ich es wissen. Deinen Brief vom 3. März habe ich auch erst am 9ten erhalten; also bleibe lieber bey dem alten Posttag. Minna und Dorchen grüße. Dein

Schiller.

Deine Gibb. Uebersetzung habe ich heute an Wieland geschickt.