HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 18. Januar 1788

Schiller an Gottfried Körner, 18. Januar 1788

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Weimar, 18. Januar [Freitag] 1788.

Antworten kann ich Dir auf Deinen Brief zwar nicht, denn eben erhalte ich ihn, und in einer halben Stunde muß dieser fort seyn – aber ich schreibe Dir meine ersten Empfindungen, nachdem ich ihn durchlesen.

Etwas Wahres mag daran seyn, wenn Du mir vorwirfst, daß ich prosaischer worden bin – aber vielleicht doch nicht in dem Verstande, wie Du glaubst. Ich habe Dir neulich meine Ideen vielleicht durch Umständlichkeit verwirrt – hier sind sie kürzer und vielleicht einleuchtender.

Erstens. Ich muß von Schriftstellerei leben, also auf das sehen, was einträgt.

Zweitens. Poetische Arbeiten sind nur meiner Laune möglich, forcire ich diese, so mißrathen sie. Beides weißt Du. Laune aber geht nicht gleichförmig mit der Zeit – aber meine Bedürfnisse. Also darf ich, um sicher zu seyn, meine Laune nicht zur Entscheiderin meiner Bedürfnisse machen.

Drittens. Du wirst es für keine stolze Demuth halten, wenn ich Dir sage, daß ich zu erschöpfen bin. Meiner Kenntnisse sind wenig. Was ich bin, bin ich durch eine oft unnatürliche Spannung meiner Kraft. Täglich arbeite ich schwerer – weil ich viel schreibe. Was ich von mir gebe, steht nicht in Proportion mit dem, was ich empfange. Ich bin in Gefahr mich auf diesem Wege auszuschreiben.

Viertens. Es fehlt mir an Zeit, Lernen und Schreiben gehörig zu verbinden. Ich muß also darauf sehen, daß auch Lernen als Lernen mir rentire!

Fünftens. Es giebt Arbeiten, bei denen das Lernen die Hälfte, das Denken die andere Hälfte thut. – Zu einem Schauspiel brauche ich kein Buch, aber meine ganze Seele und alle meine Zeit. Zu einer historischen Arbeit tragen mir Bücher die Hälfte bei. Die Zeit, welche ich für beide verwende, ist ungefähr gleich groß. Aber am Ende eines historischen Buchs habe ich Ideen erweitert, neue empfangen; am Ende eines verfertigten Schauspiels vielmehr verloren.

Sechstens. Bei einem großen Kopf ist jeder Gegenstand der Größe fähig. Bin ich einer, so werde ich Größe in mein historisches Fach legen.

Siebentes. Weil aber die Welt das Nützliche zur höchsten Instanz macht, so wähle ich einen Gegenstand, den die Welt auch für nützlich hält. Meiner Kraft ist es eins, oder soll es eins seyn – also entscheidet der Gewinn.

Achtens. Ist es wahr oder falsch, daß ich darauf denken muß, wovon ich leben soll, wenn mein dichterischer Frühling verblüht? Hältst Du es nicht für besser, wenn ich mich entfernt auf eine Zuflucht für spätere Jahre bereite? – Und wodurch kann ich das, als durch diesen Weg? Und ist nicht die Historie das Fruchtbarste und Dankbarste für mich?

Neuntens. Ueber den zweiten Artikel meines vorigen Briefs und Deiner Antwort über das Heirathen habe ich nur Eine, aber eine sehr wichtige Antwort; wichtig für Dich, weil Du mich liebst. Ich bin in meiner jetzigen Lage nicht glücklich; ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück gefühlt – und nicht sowohl, weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern darum, weil ich die Freuden mehr naschte als genoß, weil es mir an innerer gleicher und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des Familienlebens, die Uebung des Gefühls in vielen und ununterbrochenen, wenn auch nur kleinen und schwachen geselligen Empfindungen giebt. Doch ich kann Dir wirklich keine Schatten von dem beschreiben, was ich empfinde. Ich bin nicht so sonderbar, als Du vielleicht aus diesen Aeußerungen für mich schließest: just dieses würdest Du aus allgemeinen Menschengefühlen am leichtesten erklären. Hier bin ich beinahe, was man sagen kann, glücklich von außen. Ich bin von vielen Menschen geliebt, recht theilnehmend wird mir von ihnen begegnet. Ich habe eine sehr sanfte und genußvolle Existenz. Aber um so mehr sehe ich, daß die Quelle meines Unmuths in diesem Wesen liegt, das ich ewig mit mir herumtrage.

Adieu. Ich will sehen, ob ich diesen Brief nach fortbringe. Nächstens mehr. Tausend Grüße Huber und den Weibern. Laß diese meine Briefe nicht ganz lesen. Schreibe mir bald wieder.

Dein S.