HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 19. Dezember 1787

Schiller an Gottfried Körner, 19. Dezember 1787

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Weimar, 19. Dezember [Mittwoch] 1787.

Die wenigen freien Athemzüge, die ich jezt unter der Last von Folianten und staubigen Autoren erhaschen kann, gehören größtentheils Euch, meinen Lieben, denn auch meine hiesigen Verbindungen gewinnen, durch Beziehungen auf Euch erst ihren Werth für mich. An keinem Ort der Welt bin ich verstanden, wie bei Euch, keine Menschen sind mir näher, selbst meine Familie nicht, und kein Schicksal kann mich fremder mit Euch machen. Es gibt mir viele Freude in stillen Stunden, wenn ich mich unter Euch versetze, und mir lebhaft mache, was wir für einander sind. Mein Leben geht jezt einen höchst ruhigen, aber dabei sehr thätigen Gang. Ich bin wachsamer, als ich nie war, und jeder Tag hat für mich zwölf arbeitvolle Stunden und sehr oft noch einige mehr. Ich habe weniger Zeit, als gute Freunde, und dieses Verhältniß hat ungemein viel Reiz. Gegen Abend, meist sechs Uhr denke ich oft an eine Zerstreuung: diese finde ich entweder bei Charlotten oder Wielands, oder theile sie unter die Bekanntschaften des zweiten Grades, die Clubbs und die Komödie. Charlotte seh ich die Woche nur drei- höchstens viermal, weil ich jezt nie als die Abende ausgehe, und sonst alle andere Menschen vernachlässigen müßte. Auch sind Kalbs fast über den anderen Tag bei Hof oder sonst herum. Ich höre, daß sie Dir geschrieben hat.

Auf Huber warte ich nun mit Ungeduld. Sein Manuscript setze ich doch in die Thalia, doch wird er mir erlauben, hie und da durch einen bescheidenen Strich den Wald lichter zu machen.

Meine niederländische Rebellion kann ein schönes Product werden; und wahrscheinlich wird es viel thun. Im Merkur des folgenden Januars erscheint etwas davon, das Euch vorläufig eine Idee geben wird. Alles macht mir hier seine Glückwünsche, daß ich mich in die Geschichte geworfen, und am Ende bin ich ein solcher Narr, es selbst für vernünftig zu halten. Wenigstens versichere ich Dir, daß es mir ungemein viel Genuß bei der Arbeit giebt, und daß auch die Idee von etwas Solidem (das heißt, etwas, das ohne Erleuchtung des Verstandes dafür gehalten wird) mich dabei sehr unterstützt; denn bis hierher war ich doch fast immer mit dem Fluche belastet, den die Meinung der Welt über diese Libertinage des Geistes, die Dichtkunst, verhängt hat.

Dein Urtheil über meinen Landsmann mußte mich freuen, und Du hast bei dieser Gelegenheit viel Wahres und Geistreiches gesagt. Ich werde einmal einige Briefe von Dir Wieland geben. Herder habe ich am längsten nicht gesehen, aber er ist gut und nimmt mirs nicht übel. Heute hat mich Bode engagirt, vielleicht erfahre ich hier etwas, das Dich interessiren kann.

Weil Du mir neulich von der Oper Medea schriebst, so muß ich Dir sagen, daß ich Wieland habe versprechen müssen, den Oberon doch noch zu bearbeiten, und ich halte es wirklich für ein treffliches Sujet zur Musik. Es wird hier ein Musikus Kranz von Reisen zurückerwartet, der sehr große Erwartungen erregt, und dem ich es auch wahrscheinlich übergebe. Aus der Nina höre ich hier eine trefflich schöne Arie: mon bien-aimé ne revient pas. Wenn Du sie nicht hast, will ich sie Dir schicken. Die Artikel über mich im Journal de Paris u. s. w. habe ich Dir, glaub ich, geschrieben. Von Schubart existirt auch eine Composition meiner Freude, die ich Dir, wenn Du sie haben willst, kann abschreiben lassen. Ueberhaupt will ich Dir einige weimarsche schöne Sachen nächstens zusammenpacken.

Von Wielands Lucian habe ich schon viel gelesen, und kann Dir die gerechtesten Erwartungen von diesem Buche geben. Ich habe nicht geglaubt, daß in Lucian so herrliche Wahrheit steckt. Man kann von dem heutigen Paris und unseren großen Städten keine schönere und treffendere Tableaux finden, als Lucian, ohne es zu meinen, davon gemacht hat. C’est tout comme chez nous. Alles dies ist mit sokratischer Einfalt und stechendem Witze behandelt. Griechenland und Rom lernt man trefflich daraus kennen. Hier heißt es, die Herzogin Mutter würde den Sommer nach Italien reisen. Armes Weimar! Goethens Zurückkunft ist ungewiß, und seine ewige Trennung von Staatsgeschäften bei vielen schon wie entschieden. Während er in Italien malt, müssen die Voigts und Schmidts für ihn wie die Lastthiere schwitzen. Er verzehrt in Italien für Nichtsthun eine Besoldung von achtzehnhundert Thalern und sie müssen für die Hälfte des Geldes doppelte Lasten tragen.

Vom Herzog hat, seitdem er in Holland ist, noch niemand hier, die Herzoginnen selbst nicht ausgeschlossen, eine Zeile gelesen. Niemand weiß, wo er zu finden ist. Begegnet er Euch, so laßt ihn doch unter die gefundenen Sachen einrücken. Ueber Deine Berliner Reise wird sich noch sprechen lassen. Jetzt bin ich glebae adstrictus, und jeder Gedanke außerhalb der Thore ist mir untersagt. Du wolltest wissen, was man von der Brühl spricht? Nicht gar viel löbliches. Viele haben sie für eine Reckische Närrin gehalten. Wieland macht sich wenig aus ihr. Doch räumt ihr jedermann Verstand ein. Es ist falsch, daß die Herder Adelstolz hat, denn sie ist eine Bürgerliche. Aber das ist wahr, daß sie durch einen beinahe ausschließenden Umgang mit dem Adel die Bürgerlichen beleidigt, welches aber wirklich durch die Armuth an guten bürgerlichen Häusern sehr entschuldigt wird.

Lebe wohl, und grüße mir alle aufs herzlichste. Ich schreibe Dir bald wieder.

Dein

S.