HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 25. Januar 1793

Schiller an Gottfried Körner, 25. Januar 1793

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Jena d. 25. Jan. [Freitag] 93.

Biß jetzt ist, ob ich mich gleich nicht zum beßten befunden habe, doch kein Sturm gekommen, und es sind nun 6 Tage über die Zeit, in der mich der vorjährige Paroxysmus anfiel. Meine Besorgniß war keine Muthlosigkeit, keine bloße hypochondrische Grille. Ich bin sehr zu Catarrhalischen Uebeln geneigt, welche der Winter vorzüglich herbeyführt, und meine 2 Entzündungsfieber sind catarrhalisch gewesen. Gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen hervor. Ich muß also den Winter ebenso sehr in Rücksicht meiner Brust, als den Sommer und Frühling in Rücksicht auf meine Krämpfe fürchten. Ich bin da in eine saubre Alternatife gesetzt, und jedes Zeichen im Thierkreis bringt mir ein anderes Leiden mit. Und doch ist das beßte, was ich vernünftig wünschen kann, noch lange so zu bleiben, denn die ganze Veränderung, die ich zu erwarten habe, ist, daß es zum schlimmern geht.

Meine Beschäftigungen halten mich gottlob noch ziemlich aufrecht. Die Untersuchungen über das Schöne, wovon beynahe kein Theil der aesthetik zu trennen ist, führen mich in ein sehr weites Feld, wo für mich noch ganz fremde Länder liegen. Und doch muss ich mich schlechterdings des Ganzen bemächtigt haben, wenn ich etwas befriedigendes leisten sol. Die Schwierigkeit, einen Begriff der Schönheit objectiv aufzustellen und ihn aus der Natur der Vernunft völlig a priori zu legitimiren, so daß die Erfahrung ihn zwar durchaus bestätigt, aber daß er diesen Ausspruch der Erfahrung zu seiner Gültigkeit gar nicht nöthig hat, diese Schwierigkeit ist fast unübersehbar. Ich habe wirklich eine Deduction meines Begriffs vom Schönen versucht, aber es ist ohne das Zeugniß der Erfahrung nicht auszukommen. Diese Schwürigkeit bleibt immer, daß man mir meine Erklärung bloß darum zugeben wird, weil man findet, daß sie mit den einzelnen Urtheilen des Geschmacks zutrift, und nicht (wie bey einer Erkenntniß aus objectiven Principien doch seyn sollte) sein Urtheil über das Einzelne Schöne in der Erfahrung deßwegen richtig findet, weil es mit meiner Erklärung übereinstimmt. Du wirst sagen, daß diß etwas viel gefodert sey; aber solang man es nicht dahin bringt, so wird der Geschmack immer empirisch bleiben, so wie Kant es für unvermeidlich hält. Aber eben von dieser Unvermeidlichkeit des Empirisch, von dieser Unmöglichkeit eines objectiven Princips für d. Geschmack kann ich mich noch nicht überzeugen.

Es ist interessant zu bemerken, daß meine Theorie eine vierte mögliche Form ist, das Schöne zu erklären. Entweder man erklärt es objecitv, oder subjectiv; und zwar entweder sinnlich subjecitv (wie Burke u. a.), oder subjectiv rational (wie Kant), oder rational objectiv (wie Baumgarten, Mendelssohn und die ganze Schaar der Vollkommenheitsmänner), oder endlich sinnlich objectiv: ein Terminus, wobey Du Dir freilich jetzt noch nicht viel wirst denken können, außer wenn Du die 3 andern Formen mit einander vergleichst. Jeder dieser vorhetgehenden Theorien hat eine Theil der Erfahrung für sich und enthält offenbar einen Theil der Wahrheit; und der Fehler scheint bloß der zu seyn, daß man diesen Theil der Schönheit, der damit übereinstimmt, für die Schönheit selbst genommen hat. Der Burkianer hat gegen den Wolfianer vollkommen recht, daß er die Unmittelbarkeit des Schönen, seine Unabhängigkeit von Begriffen behauptet; aber er hat unrecht gegen die Kantianer, daß er es in die bloße Affectibilität der Sinnlichkeit setzt. Der Umstand, daß bei weitem die meisten Schönheiten der Erfahrung, die ihnen in Gedanken schweben, keine völlig freie Schönheiten, sondern logische Wesen sind, die unter dem Begriff eines Zweckes stehen, wie alle Kunstwerke und die meisten Schönheiten der Natur, dieser Umstand scheint alle, welche die Schönheit in eine anschauliche Vollkommenheit setzen, irre geführt zu haben; denn nun wurde das logisch gute mit dem Schönen verwechselt. Kant will diesen Knoten dadurch zerhauen, daß er eine pulchritudo vaga und fixa, eine freye und intellectuirte Schönheit annimmt; und er behauptet, etwas sonderbar, daß jede Schönheit, die unter dem Begriffe eines Zweckes stehe, keine reine Schönheit sey: daß also eine arabeske und was ihr ähnlich ist, als Schönheit betrachtet, reiner sey, als die höchste Schönheit des Menschen. Ich finde, daß seine Bemerkung den großen Nutzen haben kann, das logische von dem aesthetischen zu scheiden, aber eigentlich scheint sie mir doch den Begriff der Schönheit völlig zu verfehlen. Denn eben darinn zeigt sich die Schönheit in ihrem höchsten Glanze, wenn sie die logische Natur ihres Objectes überwindet; und wie kann sie überwinden, wo kein Widerstand ist? Wie kann sie dem völlig farblosen Stoff ihre Form ertheilen? Ich bin wenigstens überzeugt, das die Schönheit nur die Form einer Form ist, und daß das was man ihren Stoff nennt schlechterdings ein geformter Stoff seyn muß. Die Vollkommenheit ist die Form eines Stoffes, die Schönheit hingegen ist die Form dieser Vollkommenheit; die sich also gegen die Schönheit wie der Stoff zu d. Form verhält.

Ich habe Dir hier allerlei durcheinander geschrieben und vielleicht ziehe ich den Vorhang mehr auf, wenn ich wieder eine schwazhafte Laune kriege.

Lebewohl. Tausend Grüße von uns allen an euch.

Dein S.