HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 25. Mai 1792

Schiller an Gottfried Körner, 25. Mai 1792

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Jena, den 25 May [Freitag] 92.

Der 30jährige Krieg ist seit einigen Tagen wieder angefangen, und es scheint daß sich diese Arbeit leicht fördern wird, ohne mir zuviel Anspannung zu kosten. Ich bestimme höchstens 4 Stunden zum Schreiben und etwa 2 zum Nachlesen, und auch diese 6 Stunden folgen nicht unmittelbar auf einander. Auf diesem Weg bringe ich, beinahe ohne daß ich es gewahr werde, jeden Tag einen Viertelsbogen zu Stande und kann zu Ende Augusts mit der Arbeit fertig sein.

An die ästhetischen Briefe habe ich, wie Du leicht begreifen wirst, jetzt noch nicht kommen können, aber ich lese in dieser Absicht Kants Urtheilskraft wieder und wünsche desswegen, daß Du Dich vorläufig auch recht damit vertraut machen möchtest. Wir werden einander dann um so leichter begegnen und mehr auf den nehmlichen Zweck arbeiten; auch eine mehr gleichförmige Sprache führen. Baumgarten will ich auch noch vorher lesen. Du mußt wissen, ob etwas mit Sulzer zu thun ist. –

Ich bin jetzt voll Ungeduld, etwas poetisches vor die Hand zu nehmen; besonders juckt mir die Feder nach dem Wallenstein. Eigentlich ist es doch nur die Kunst selbst, wo ich meine Kräfte fühle, in der Theorie muß ich mich immer mit Principien plagen. Da bin ich bloß ein Dilettant. Aber um der Ausübung selbst willen philosophire ich gern über die Theorie; die Kritik muß mir jetzt selbst den Schaden ersetzen, den sie mir zugefügt hat. Und geschadet hat sie mir in der That; denn die Kühnheit, die lebendige Glut, die ich hatte, eh mir noch eine Regel bekannt war, vermisse ich schon seit mehreren Jahren. Ich sehe mich jetzt erschaffen und bilden, ich beobachte das Spiel der Begeisterung, und meine Einbildungskraft beträgt sich mit minder Freiheit, seitdem sie sich nicht mehr ohne Zeugen weiß. Bin ich aber erst soweit, daß mir Kunstmäßigkeit zur Natur wird, wie einem wohlgesitteten Menschen die Erziehung, so erhält auch die Phantasie ihre vorige Freiheit zurück, und setzt sich keine andere als freiwillige Schranken. –

Oft widerfährt es mir, dass ich mich der Entstehungsart meiner Produkte, auch der gelungensten, schäme.

Man sagt gewöhnlich, daß der Dichter seines Gegenstandes voll seyn müsse, wenn er schreibe. Mich kann oft eine einzige und nicht immer eine wichtige Seite des Gegenstandes einladen, ihn zu bearbeiten, und erst unter der Arbeit selbst entwickelt sich Idee aus Idee. Was mich antrieb, die Künstler zu machen, ist gerade weggestrichen, als sie fertig waren. So wars beym Karlos selbst. Mit Wallenstein scheint es etwas beßer zu gehen; hier war die Hauptidee auch die Aufforderung zum Stücke. Wie ist es aber nun möglich, daß bei einem so unpoetischen Verfahren doch etwas vortrefliches entsteht? Ich glaube, es ist nicht immer die lebhafte Vorstellung seines Stoffes, sondern oft nur ein Bedürfniß nach Stoff, ein unbestimmter Drang nach Ergießung strebender Gefühle, was Werke der Begeisterung erzeugt. Das Musikalische eines Gedichts schwebt mir weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hinsetze, es zu machen, als der klare Begriff von Inhalt, über den ich oft kaum mit mir einig bin. Ich bin durch meine Hymne an das Licht, die mich jetzt manchen Augenblick beschäftigt, auf diese Bemerkung geführt worden. Ich habe von diesem Gedicht noch keine Idee aber eine Ahndung, und doch will ich im voraus versprechen, daß es gelingen wird.

Dieser Tage hörte ich, daß Reinhold einen hiesigen Magister legens aufgefordert habe, Homes Essay ins Deutsche zu übersetzen. Er sieht also auch die Zweckmäßigkeit einer solchen Arbeit ein; vor einer Concurrenz brauchst Du Dich nicht zu fürchten. Die Sache wird in Stocken gerathen, sobald Du Dich erklärst, daß Du die Uebersetzung übernehmen willst. Laß diese Arbeit aber doch nicht gar zu lange liegen, denn die Idee dazu ist so natürlich, und dem Zeitbedürfnisse so angemessen, daß leicht noch mehrere darauf verfallen könnten, die schneller sind als Du.

Unsre Zusammenkünfte in Leipzig geben mir einen recht fröhlichen Prospekt in die Zukunft. So grosse Intervallen, wie bissher, dürfen nicht mehr vorfallen, biß wir einander wieder sehen. Deine Gesundheit freut mich herzlich; aber ruhig bin ich über diesen Punkt nicht eher, als biß ich höre, daß Du mit Deiner Art zu leben einige Veränderungen vorgenommen hast. – Zu der französischen Lectüre wünsche ich viel Glück, sobald sie dir die Dienste thut, die Du davon erwartest.

Lebe wohl und grüße Minna und Dorchen herzlich von mir.

Dein S.