HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 28. November 1791

Schiller an Gottfried Körner, 28. November 1791

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Jena, den 28 No. [Montag] 91.

Es freut mich sehr zu hören, dass Du an den Stanzen Geschmack gefunden hast und auf Deine ausführlichere Critik freue ich mich noch mehr. Etwa 30 ausgenommen sind die meisten im Fluge hingeworfen; daher kommt vielleicht die Ungleichheit des Tons, wozu Virgil mich oft verführt haben mag. Aber die Eilfertigkeit selbst, mit der ich sie hinwarf, gibt mir großes Vertrauen zu mir selbst, denn sie beweisst dass Leichtigkeit bei mir jetzt nicht sowohl mehr das Werk der Mühe sondern Fertigkeit ist. Dein Gedanke nach Durchlesung der Stanzen war ganz auch der meinige: dass ich ein episches Gedicht machen sollte. Und gewiß, erhalte ich meine Gesundheit wieder und kann zu meinem Leben Vertrauen fassen, so unternehme ich es gewiß. Von den Requisiten, die den Epischen Dichter machen, glaube ich alle, eine einzige ausgenommen, zu besitzen: Darstellung, Schwung, Fülle, philosophischen Geist und Anordnung. Nur die Kenntnisse fehlen mir, die ein homerisirender Dichter nothwendig brauchte, ein lebendiges Ganze seiner Zeit zu umfassen und darzustellen, der allgemeine über alles sich verbreitende Blick, des Beobachters. Der Epische Dichter reicht mit der Welt, die er in sich hat nicht aus, er muß in keinem gemeinen Grad mit der Welt außer ihm bekannt und bewandert seyn. Dieß ist was mir fehlt, aber auch alles wie ich glaube. Freilich würde ein mehr entlegenes Zeitalter mir diesen Mangel bedecken helfen, aber auch das Interesse des gewählten Stoffes nothwendig schwächen.

Könnt ich es mit dem übrigen vereinigen, so würde ein nationeller Gegenstand doch den Vorzug erhalten. Kein Schriftsteller so sehr er auch an Gesinnung Weltbürger seyn mag, wird in der Vorstellungsart seinem Vaterland entfliehen. Wäre es auch nur die Sprache, was ihn stempelt, so wäre diese allein genug, ihn in eine gewiße Form einzuschränken und seinem Produkt eine nationelle Eigenthümlichkeit zu geben. Wählte er aber nun einen auswärtigen Gegenstand, so würde der Stoff mit der Darstellung immer in einem gewißen Widerspruche stehen, da im Gegentheil bei einem vaterländischen Stoffe Inhalt und Form schon in einer natürlichen Verwandtschaft stehen. Das Interesse der nation an einem nationellen Heldengedichte würde dann doch immer auch in Betrachtung kommen, und die Leichtigkeit, dem Gegenstand durch das Locale mehr Wahrheit und Leben zu geben. Fridrich II. ist kein Stoff für mich und zwar aus einem Grunde, den Du vielleicht nicht für wichtig genug hältst. Ich kann diesen Karakter nicht lieb gewinnen, er begeistert mich nicht genug, die Reisenarbeit der Idealisirung an ihm vorzunehmen.

Unter allen historischen Stoffen, wo sich poëtisches Interesse mit nationellen und politischen auch am meisten gattet, und wo ich mich meiner Lieblingsidee am leichtesten entledigen kann, steht Gustav Adolph oben an. Gerade das, was Du mir vorschlägst, bestimmt mich für diesen Stoff. Ganz gewiß wäre eine solche Menschheitsgeschichte der würdigste Gegenstand für d. Epischen Dichter, wenn sie irgend ein Stoff für einen Dichter seyn könnte. Aber da liegt eben die Schwürigkeit. Ein philosophischer Gegenstand ist schlechterdings für die Poesie verwerflich, vollends für die, welche ihren Zweck durch Handlung erreichen soll. Ich habe jetzt keine Zeit, Dir eine weitläufige Deduction von diesem Satz zu machen, aber ich halte ihn für unwidersprechlich. Hingegen wenn sich ein historischer handlungsreicher Stoff findet, mit dem man diese philosophischen Ideen nicht nur in eine natürliche, sondern nothwendige Verbindung bringen kann, so kann daraus etwas vortrefliches werden. Die Geschichte der Menschheit gehört als unentbehrliche Episode in die Geschichte der Reformation, und diese ist mit dem 30jährigen Krieg unzertrennlich verbunden. Es kommt also bloß auf den ordnenden Geist des Dichters an, in einem Heldengedicht, das von der Schlacht bei Leipzig bis zur Schlacht bei Lützen geht, die ganze Geschichte der Menschheit ganz und ungezwungen und zwar mit weit mehr Interesse zu behandeln, als wenn dieß der Hauptstoff gewesen wäre.

Ich will aber darum noch nicht sagen, daß ich für Gustav Adolph entschieden bin, aber noch weiss ich keinen Stoff, bei welchen sich soviele Erfordernisse zum Heldengedichte vereinigen. Es ist aber möglich, daß mir das Vierte Jahrhundert oder das fünfte einen noch interessanteren darbietet. Lass uns übrigens noch öfters von dieser Materie handeln; mein Herz und meine Phantasie bedürfen es jetzt sehr, sich mit Innigkeit und Feuer an einen Stoff anzuschließen, der mir ein geistiges Interesse gibt. Lebewohl. Herzlich grüssen wir Dich und die beiden. Mach es doch möglich, daß wir Dorchen noch vor Einbruch des Winters hier sehen. Mich verlangt sehnlich nach einem von euch.

Dein S.