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Schiller an Gottfried Körner, 28. Mai 1789

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Jena, den 28. May [Donnerstag] 89.

Vorgestern, als den 26sten, habe ich endlich das Abentheuer auf dem Katheder rühmlich und tapfer bestanden und gleich gestern wiederhohlt. Ich lese nur 2mal in der Woche und zwey Tage hintereinander, so daß ich 5 Tage ganz frey behalte. Das Rheinholdische Auditorium bestimmte ich zu meinem Debut. Es hat eine mäßige Größe und kann ungefähr 80 sitzende Menschen, etwas über 100 in allem fassen; ob es nun freilich wahrscheinlich genug war, daß meine erste Vorlesung, der Neugierde wegen, eine größre Menge Studenten herbeylocken würde, so kennst Du ja meine Bescheidenheit. Ich wollte diese größre Menge nicht gerade voraussetzen, indem ich gleich mit dem größten Auditorium debutirte. Diese Bescheidenheit ist auf eine für mich sehr brillante Art belohnt worden. Meine Stunden sind Abends von 6 bis 7. Halb 6 war das Auditorium voll. Ich sah aus Reinholds Fenster Trupp über Trupp die Straße heraufkommen, welches gar kein Ende nehmen wollte. Ob ich gleich nicht ganz frey von Furcht war, so hatte ich doch an der wachsenden Anzahl Vergnügen, und mein Muth nahm eher zu. Überhaupt hatte ich mich mit einer gewissen Festigkeit gestählt, wozu die Idee, daß meine Vorlesung mit keiner andern die auf irgend einem Catheder in Jena gehalten worden, die Vergleichung zu scheuen brauchen würde, und überhaupt die Idee von allen die mich hören als der Ueberlegene anerkannt zu werden, nicht wenig beitrug. Aber die Menge wuchs nach und nach so, daß Vorsaal, Flur und Treppe vollgedrängt waren und ganze Haufen wieder gingen. Jetzt fiel es einem der bey mir war ein, ob ich nicht noch für diese Vorlesung ein anderes Auditorium wählen sollte. Grießbachs Schwager war gerade unter den Studenten, ich ließ ihnen also den Vorschlag thun bei Grießbach zu lesen und mit Freuden ward er aufgenommen. Nun gabs das lustigste Schauspiel. Alles stürzte hinaus und in einem hellen Zug die Johannisstraße hinunter, die eine der längsten in Jena, von Studenten ganz besäet war. Weil sie liefen was sie konnten, um im Grießb. Auditorium einen guten Platz zu bekommen, so kam die Straße in Allarme und alles an den Fenstern in Bewegung. Man glaubte anfangs es wäre Feuerlerm und am Schloß kam die Wache in Bewegung. Was ists den? Was gibts denn? hieß es überall. Da rief man denn! Der neue Professor wird lesen. Du siehst, daß der Zufall selbst dazu beytrug, meinen Anfang recht brillant zu machen. Ich folgte in einer kleinen Weile von Reinhold begleitet nach, es war mir, als wenn ich durch die Stadt, die ich fast ganz durchzuwandern hatte, Spießruthen liefe.

Grießbachs Auditorium ist das größte und kann, wenn es voll gedrängt ist zwischen 3 und 400 Menschen faßen. Voll war es diesmal und so sehr daß ein Vorsaal und noch die Flur biß an die Hausthüre besetzt war und im Auditorio selbst viele sich auf die Subsellien stellten. Ich zog also durch eine Allee von Zuschauern und Zuhörern ein und konnte den Katheder kaum finden, unter lautem Pochen, welches hier für Beyfall gilt, bestieg ich ihn und sah mich von einem Amphitheater von Menschen umgeben. So schwül der Saal war, so erträglich wars am Catheder, wo alle Fenster offen waren und ich hatte doch frischen Odem. Mit den zehn ersten Worten, die ich selbst noch fest aussprechen konnte, war ich im ganzen Besitz meiner Contenance, und ich las mit einer Stärke und Sicherheit der Stimme, die mich selbst überraschte. Vor der Thüre konnte man mich noch recht gut hören. Meine Vorlesung machte Eindruck, den ganzen Abend hörte man in der Stadt davon reden und mir wiederfuhr eine Aufmerksamkeit von den Studenten, die bey einem neuen Professor das erste Beispiel war. Ich bekam eine Nachtmusik und Vivat wurde 3 mal gerufen. Den andern Tag war das Auditorium eben so stark besetzt, und ich hatte mich schon so gut in mein neues Fach gefunden, daß ich mich setzte. Doch habe ich beydemale meine Vorlesung abgelesen und nur wenig bey der zweiten extemporirt. Indeß kann ich, wenn ich aufrichtig seyn soll, dem Vorlesungenhalten selbst noch keinen rechten Geschmack abgewinnen; wäre man der Empfänglichkeit und einer gewißen vorbereitenden Fähigkeit bei den Studirenden versichert, so könnte ich überaus viel Interesse und Zweckmäßigkeit in dieser Art zu wirken finden. So aber bemächtigte sich meiner sehr lebhaft die Idee: daß zwischen dem Catheder und den Zuhörern eine Art von Schranke ist, die sich kaum übersteigen läßt. Man wirft Worte und Gedanken hin, ohne zu wissen und fast ohne zu hoffen daß sie irgendwo fangen, fast mit der überzeugung, daß sie von 400 Ohren 400mal, und oft abentheuerlich, mißverstanden werden. Keine Möglichkeit sich, wie im Gespräch, an die Fassungskraft des andern anzuschmiegen. Bey mir ist diß der Fall, noch mehr, da es mir schwer und ungewohnt ist, zur platten Deutlichkeit herabzusteigen. Die Zeit verbeßert dieß vielleicht – aber groß sind meine Hofnungen doch nicht. Ich tröste mich damit, daß in jedem öffentlichen Amt immer nur der 100ste Theil der Absicht erfüllt wird.

Meine erste Vorlesung handelte vorzüglich von dem Unterschied des brodgelehrten und des philosophischen Kopfs. Außer den localen Ursachen die ich hatte, die Begriffe meiner Leute über diese 2 Dinge zu fixieren, hatte ich allgemeine, die ich Dir ō zu sagen brauche. – In meiner zweyten Vorlesung gab ich die Idee von Universalgeschichte. Es ist hier ein solcher Geist des Neides, daß dieses kleine Geräusch das mein erster Auftritt machte, die Zahl meiner Freunde wohl schwerlich vermehrt hat. – Indessen kann ich von meiner hiesigen Existenz nichts anderes als Gutes schreiben; es war mir kaum irgendwo so wohl als hier, weil ich hier zu Hause bin. Meine Freunde tragen mich auf den Händen, mein Humor ist gut, auch bin ich geselliger, und mein ganzes Seyn hat einen beßern Anstrich. Der Bekanntschaften habe ich noch nicht sehr viele gemacht, aber durch abgegebene Carten mich doch wenigstens in eine Höflichkeitsverbindung mit einigen dreißig Häusern gesetzt. Von dem hiesigen Frauenzimmer kann ich schlechterdings noch nichts schreiben. Eine ziemliche Auswahl habe ich zwar gesehen, worunter aber nichts Auszeichnendes war. Ich wohnte einem Ball bey, wo ich sie größtentheils beysammen sah, ich hielt mich aber an das Spiel und ennuyirte mich mit Grießbach und Succow beim Taroc-hombre. Es ist hier ein gewisser Geh. Hofrath Eccardt, ein Jurist, der Vermögen und einen vorzüglichen Einfluß bey der Academie hat. Er hat noch eine unverheirathete Tochter, mit der mich einige gedacht haben mögen zusammen zu kuppeln, aber ich mag weder sie noch die Familie.

Was Du mir einmal von der Schmidt schriebst mag Dir der Himmel vergeben. – Das Mädchen selbst würde mir auch ohne ihr Geld gerade nicht misfallen, in Weimar hat sie mir immer am besten unter allen gefallen, und es gieng mir nicht allein so. Aber an sie zu denken ist keine Möglichkeit, weil Vater und Mutter und Tochter aufs Geld vorzüglich sehen. Die Tochter zwar, die Eitelkeit hat, würde nicht ungeneigt seyn, wenn sich noch etwas anderes mit dem Gelde verbinden ließe, ich glaube auch, daß sie mir Vermögen und Rang herzlich wünschen würde, um Ansprüche an sie machen zu können, aber die Elasticität hat ihr Karakter nicht, nach ihrem Geschmack sich zu bestimmen. Und dann frägt sichs sehr, ob sie als Frau das für mich bliebe, was sie mir jetzt noch zu seyn scheint. Ueberdem scheint sie bereits so gut als verkuppelt und zwar an einen reichen Frankfurther. Ich hätte auch, wenn ich sonst gewollt hätte, in Weimar noch eine Parthie finden können und zwar auch eine Geheimeraths Tochter, die aber kein Vermögen hat – ich habe erst hier erfahren, daß einige das Plänchen gehabt haben. Aber da lag die Hinderniß an mir selbst und an meinem Geschmacke. Es ist also noch dürres Land für mich hier, so gern ich es gesehen hätte, wenn ein Geschöpf auf mich hätte wirken können. Weißt Du nun übrigens eine reiche Partie, so schreibe mir immer; entweder sehr viel Geld, oder lieber gar keines und desto mehr Vergnügen im Umgang. Ein einziges Mädchen ist hier, das mir nicht übel gefällt, ich kannte sie auch schon vorher. Es ist die jüngste Schwester der Reichardt und Ettinger in Gotha, eine Seydler. Ohne viel Geist hat sie viel Gefälliges und viel Güte des Karakters und ohne gerade hübsch zu seyn, gefällt mir ihr äußerliches auch nicht übel. Sie lebt hier mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, der Stallmeister bey der Universität ist. Sie hat eine gute Erziehung und auch einige Feinheit des Umgangs, die man hier selten findet. –

Der Himmel gebe nun, dass meine Collegien im nächsten halben Jahre einschlagen. Es ist mir alsdann nicht bange meine Umstände bald verbessert zu sehen, und höhere Entwürfe zu machen. Behielt ich von meinen bisherigen Auditoren nur den 4ten Theil, so verlangte ich nichts weiter. Eben höre ich, daß bei meiner zweyten Vorlesung 480 Zuhörer waren und gegen 50 keinen Platz mehr gefunden haben. Ich lese jetzt erst in 10 Tagen wieder, weil die Pfingstferien dazwischen fallen.

Bey der Literaturzeitung habe ich Dich engagirt. Du brauchst also nur mit wenig Worten Dich an Schütz oder Hufeland zu wenden, und Dein Fach anzugeben. Doch auch das kann ich Dir ersparen, und Dir gleich den Contract schicken lassen, wenn Du es willst. Schreibe aber nun auch bald an Wieland.

Ich habe mich auf wenige Aussichten so gefreut, als auf unser Wiedersehen. Schreibe mir doch vorläufig, wie lang Du glaubst, daß wir in Leipzig beysammen seyn können. –

Grüße Minna und Dorchen. Lebe wohl.

Schiller.

P. S. Dieser Gustav Schilling ist ein Sächsischer Lieutenant in Freiberg. – Er hat mirs durch seinen Brief so nahe gelegt, daß ich die Verse aufnehmen mußte.

Gestern erhalte ich aus Winterthur eine Broschüre, worinn die Götter Griechenlands von einem Pfarrer, und noch dazu, einem schwärmerischen Christen gegen Stollberg lebhaft vertheidigt sind. Er hat ganze Stellen aus der Schrift herbeygezogen, und bewiesen, daß alles was der Dichter an der griechischen Götterlehre schön und nachahmungswürdig fand in der Person und Lehre Christus reichlich erfüllt sey. Er erklärt, daß er das ganze Gedicht biß auf den heiligen Barbaren rechtfertigen und unterschreiben wolle. Er findet, daß alles was ich an den griechischen Göttern herausgehoben, das Bedürfniss einer edlen empfindsamen Seele sey – – – – – – – Dass ich dieses aber in der reinsten Christenlehre noch schöner erfüllt gefunden haben würde. Ich werde mit einer Veneration behandelt, die ganz erschrecklich ist und der Carlos wird der Stolz Germanias genannt. Es ist mir in dem Buche nahe gelegt etwas endlich über die Sache zu sagen, und vielleicht thue ich es, bey Gelegenheit dieses Buches.

Den Rollin brauche ich nicht. –