HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 7. Mai 1785

Schiller an Gottfried Körner, 7. Mai 1785

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Leipzig d. 7. Mai [Sonnabend] 85.

Könnte meine herzliche Achtung für Sie, mein bester, noch viele höhere Grade zählen, so hätte sie zuverläßig durch Ihren lezten Brief den höchsten erreicht. Ihr edles Herz lernte ich frühzeitig lieben, ihren ausdauernden Muth, Ihre Entschlossenheit habe ich längst bewundert, jezt aber verehre ich Ihren Geist. Ja, liebster Freund, verehren muß ich den Mann, der in einer Epoche, wo gewönlich die Glüklichen sich dem Genuss Ihrer Wonne mit süßer verführerischer Erschlappung dahin geben, und den besten Theil Ihres Daseins in einem berauschenden Traume verschwelgen, der in einer solchen Periode nach Thaten dürstet, und – erlauben Sie mir Ihre eignen Worte – darauf denkt, dem Glüke einen Theil seiner Schuld abzutragen. Es freut Sie, Theuerster, daß Sie an mir den Menschen fanden, dem sich so etwas anvertrauen und mittheilen läßt, und mich könnt es stolz machen, daß Sie mich werth halten, die schönste und gröste Seite Ihres Geistes mir zuzusprechen. Gewönlich hört die Anstrengung auf, wenn der Mensch am längsterflehten Ziele seiner Glückseligkeit landet, der Ehrgeiz und die Thatenbegierde ziehen sonst ihre Segel ein, wenn sie dem Hafen sich nähern – Sie, mein Werthefter, spannen jetzt neue und kühnere aus, und fangen an, wo die Leidenschaften und Wünsche der anderen Alltäglichen Menschen ein muthloses Anker werfen.

Glük zu also, glük zu dem lieben Wanderer, der mich auf meiner romantischen Reise zur Wahrheit, zum Ruhme, zur Glükseligkeit so brüderlich und treulich begleiten will. Ich fühl es jezt an uns wirklich gemacht, was ich als Dichter nur ahndete. – Verbrüderung der Geister ist der unfehlbarste Schlüssel zur Weißheit. Einzeln können wir nichts. Wenn auch der verwegene Flug unseres Denkens uns biß in die unbefahrenste fernste Himmelstriche der Wahrheit geführt hat, so erschreken wir mitten in dem entdekten Klima über uns selbst und unsere tode Einsamkeit: „Fremdlinge in der ätherischen Zone irren wir einsam umher, und sehen mit tränenden Augen nach unsrer nordischen Heimat zurük.“ Diß lag aufgedekt vor dem großen Meister der Natur, darum knüpfte er die denkenden Wesen durch die allmächtige Magnetkraft der Geselligkeit aneinander. Und was existiert im unermeßlichen Reiche der Wahrheit, worüber Menschen wie wir, verbrüdert wie wir, nicht endlich Meister werden sollten? Freuen Sie sich, theurer Freund, daß unsere Freundschaft das Glük hatte, da anzufangen, wo die gewönlichen Bande unter den Menschen zerreissen. Fürchten Sie von Nun an nichts mehr für ihre unsterbliche Dauer. Ihre Materialien sind die Grundtreibe der menschlichen Seele. Ihr Terrain ist die Ewigkeit und ihr Non plus ultra die Gottheit. –

Es würde mich traurig machen, Bester, wenn Sie in einer einzigen Anwandlung von Nüchternheit – in einer einzgen klügelnden Minute ihres Lebens, das was ich jezt gesagt habe, für Schwärmerei nehmen wollten. Es ist keine Schwärmerei – oder Schwärmerei ist wenigstens ein vorausgenossener Paroxysmus unsrer künftigen Größe, und ich vertausche einen solchen Augenblik für den höchsten Triumph der kalten Vernunft nicht. Aber dieser Brief ist auch für Uns und die Verwandte unsrer Empfindung.

Danken Sie dem Himmel für das beste Geschenk, das er Ihnen verleihen konnte, für diß glükliche Talent zur Begeisterung. Das Leben von tausend Menschen ist meistens nur Zirculation der Säfte, Einsaugung der Wurzel, Destillazion durch die Röhren und Ausdünstung durch die Blätter; das ist heute wie gestern, beginnt in einem wärmeren Apriltage und ist mit dem nämlichen Oktober zu Ende. Ich weine über diese organische Regelmäßigkeit des grösesten Theils in der denkenden Schöpfung, und den preise ich selig, dem es gegeben ward, der Mechanik seiner Natur nach Gefallen mitzuspielen und das Uhrwerk empfinden zu lassen, daß ein freier Geist seine Räder treibt. Man sagt von Newton, daß bei Gelegenheit eines fallenden Apfels das ungeheuere System der Attraction in seinem Gehirne aufdämmerte. – Durch wie viel tausend Labirinthe von Schlüssen würde sich ein gewönlicher Geist bis zu dieser Entdeckung haben durchkriechen müssen, wo das verwegene Genie durch einen Reisensprung sich am Ziele sah. Sehen Sie, bester Freund – unsre Seele ist für etwas höheres da, als blos den uniformen Takt der Maschine zu halten. Tausend Menschen gehen wie Taschenuhren, die die Materie aufzieht, oder, wenn Sie wollen, ihre Empfindungen und Ideen tröpfeln hidrostatisch, wie das Blut durch seine Venen und Arterien, der Körper usurpiert sich eine traurige Diktatur über die Seele; aber sie kann ihre Rechte reclamieren, und das sind dann die Momente des Genius und der Begeisterung. Nemo unquam vir magnus fuit sine aliquo afflatu divino.

Das Bisherige, Freund, solte keine Ausschweifung, keine Digression seyn. Wir wollen durch eine dreifache Verbrüderung, unsre Bahnen gehen, aber Enthousiasmus ist ja der erste Gewinn von unserem Bunde. Ich wollte Ihnen beweisen, wieviel Enthousiasmus bewirken kann – also wissen Sie nun auch, was unser Bündniß bewirken wird.

Über den Bau unserer Freundschaft habe ich tausend Ideen, deren ich entweder jezt schon in Briefen, oder bei unserm persönlichen Umgange in Dresden los zu werden gedenke. Kalte Philosophie muß die Gesezgeberin unsrer Freundschaft seyn, aber ein warmes Herz und ein warmes Blut muß sie formen. Doch es ist unmöglich, daß ich Ihnen jezt schon die unzäligen mir zuströmenden Gedanken darüber preißgeben kann, die nun erst in meinem Kopfe sich läutern und reinigen müssen. So viel ist gewiß, daß ich von euch aufgefordert sein möchte, den Riß zu dem schönen stolzen Gebäude einer Freundschaft zu machen, die vielleicht ohne Beispiel ist.

Ihre Wanderung durch die Wissenschaften, liebster Freund, die Sie mir so lebhaft beschrieben haben, darf sie niemal gereuen. Es ist immerhin von entschiedenem Nuzen, wenn man in einem Felde zu Hause, und in den übrigen kein ganzer Fremdling ist. Sie haben Ihren Geist in verschiedenen Sphären des Denkens geübt, und laufen nicht mehr Gefahr, sich pedantisch in Ihr Hauptfach hineinzugraben.

Meine jezige Beschäftigung zu Gohlis wird die Thalia und der Karlos seyn. Freilich, liebster Freund, wird das Vergnügen meiner jetzigen Existenz durch den perspectivischen Anblik des höheren Vergnügens, das mich in unserm engern Zirkel zu Dresden erwartet, um ein großes gestört. Sie wissen ja, Lieber – es ist die allgemeine Quelle der Menschlichen Klagen, daß ihnen die Hirngespinnste der Zukunft den Genuss des Augenbliks rauben. Sobald wir beisammen sind, schneide ich meine Zeit in drei Theile. Einer gehört dem Dichter, der zweite dem Arzt, der dritte dem Menschen. Das ist freilich auch nur so eine Papier distinction, doch Sie verstehen mich ja.

Unsere lieben Mädchen sind nunmehr in Goliz, und was mit Hubern indessen geschehen ist werden Sie ja wol von Ihm selbst schon erfahren haben. Von Mannheim habe ich angenehme Nachrichten erhalten. Schreiben Sie mir bald wieder liebster Freund, und lassen Sie uns wenigstens durch Briefe unsere jezige Trennung hintergehen.

Fridrich Schiller.