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Charakterisierung Mortimer aus Schillers Drama »Maria Stuart«

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(Stimmen: 202 Durchschnitt: 4)

Paulets Neffe, Mortimer, ist eine erdichtete Persönlichkeit, in welcher sich das Streben aller derjenigen konzentriert, die die schottische Königin aus ihrem Kerker befreien, Elisabeth beseitigen, den Protestantismus ausrotten und den Katholizismus in England wieder einführen wollen. Gleichzeitig erinnert er aber auch an diejenigen, die von den englischen Ministern absichtlich ausgeschickt wurden, für Maria Stuart Komplotte anzuzetteln, um der Verurteilung derselben einen Schein des Rechts zu geben. Somit ist er, obwohl eine fingierte Person, doch ein historischer Charakter.

Über seine Vergangenheit macht Mortimer (I, 6) selbst die nötigen Mitteilungen: In der strengen Lehre der Puritaner aufgewachsen, lernt er in Rom die Pracht des katholischen Gottesdienstes kennen, der Kardinal von Guise hat das Werk der Bekehrung an ihm begonnen, die Jesuiten zu Rheims haben es vollendet. Er ist also konvertiert und somit, wie viele solcher Menschen, ein fanatischer Schwärmer. In seiner jugendlichen Erregbarkeit fasst er das Wesen des katholischen Gottesdienstes vorwiegend von seiner sinnlich-fantastischen Seite auf. Maria währenddessen erkennt, durch ernste Erfahrungen in ihrem Inneren geläutert, den eigentlichen Wert der Religion in der idealen Erfassung ihres Gegenstandes. Auf diese Weise bilden Mortimer und Hanna Kennedy zwei verschiedenartige Gegensätze zu Maria Stuart, so dass Schiller durch das Auftreten dieser drei Personen gleichzeitig drei verschiedene Richtungen des katholischen Glaubens zur Anschauung bringt.

Aber religiöse Schwärmerei ist es nicht allein, was Mortimer zu Maria Befreiung antreibt. Er hat zu Rheims ihr Bildnis gesehen, und der Bischof von Roße hat ihn von der Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugt. Jetzt sieht er sie selbst und entbrennt in Liebe zu ihr, wodurch seinen Mut und seine Entschlossenheit zum Handeln zu leidenschaftlicher Aufregung gesteigert werden. Der Kardinal von Guise hat ihm seinen Segen gegeben und ihn in der schweren Kunst der Verstellung unterrichtet. Dass er ein sehr gelehriger Schüler war, beweist er sogleich, als er Elisabeth vorgestellt wird. Voller Ergebenheit heuchelt er ihr vor, er habe seinen Glauben nur zum Schein geändert. Mortimer geht daher auf Elisabeths Zumutungen ein, um sie leichter täuschen zu können und sein Ziel sicherer zu erreichen. Aber seine unsittliche Leidenschaft, die durch Marias Triumph über ihre Gegnerin bis zur Raserei gesteigert wird, bringt ihn in Widerspruch mit seiner eigentlichen Sendung, deren einziges Ziel die Befreiung der Gefangenen sein sollte.

Er aber will daneben ein entsetzliches Interesse verfolgen. Es gilt ihm, Leicester als einen lästigen Nebenbuhler aus dem Sattel zu heben. So verliert Mortimer die Besinnung, überschätzt seine Kraft und stürzt sich durch seine Verwegenheit ins Verderben. Obwohl er Leicester Unschlüssigkeit gesehen hat und ihn bereits als einen Heuchler kennt, geht er doch hin, um ihn zu warnen, und wird von ihm verraten. Somit ist alles für Mortimer verloren. Er betrachtet sich nunmehr als Märtyrer für seine gute Sache und gibt sich selbst den Tod.