Zuerst denn von der Wahl der Fabel. Rousseau rühmte es an dem Plutarch, daß er erhabene Verbrecher zum Vorwurf seiner Schilderung wählte.* Wenigstens dünkt es mich, solche bedürfen notwendig einer ebenso großen Dosis von Geisteskraft als die erhabene Tugendhafte, und die Empfindung des Abscheus vertrage sich nicht selten mit Anteil und Bewunderung. Außerdem, daß im Schicksal des großen Rechtschaffenen, nach der reinsten Moral, durchaus kein Knoten, kein Labyrinth stattfindet, daß sich seine Werke und Schicksale notwendigerweise zu voraus bekannten Zielen lenken, welche beim ersten zu ungewissen Zielen durch krumme Mäander sich schlängeln (ein Umstand, der in der dramatischen Kunst alles ausmacht), außer dem daß die hitzigsten Angriffe und Kabalen des Lasters nur Binsengefechte gegen die siegende Tugend sind, und wir uns so gern auf die Partie der Verlierer schlagen, ein Kunstgriff, wodurch Milton, der Panegyrikus der Hölle, auch den zartfühlendesten Leser einige Augenblicke zum gefallenen Engel macht, außer dem, sage ich, kann ich die Tugend selbst in keinem triumphierenden Glanze zeigen, als wenn ich sie in die Intrigen des Lasters verwickle, und ihre Strahlen durch diesen Schatten erhebe, denn es findet sich nichts Interessanteres in der moralisch ästhetischen Natur, als wenn Tugend und Laster aneinander sich reiben.
Räuber aber sind die Helden des Stücks, Räuber, und einer, der auch Räuber niederwägt, ein schleichender Teufel. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, daß wir um so wärmer sympathisieren, je weniger wir Gehilfen darin haben; daß wir dem, den die Welt ausstößt, unsere Tränen in die Wüste nachtragen; daß wir lieber mit Crusoe auf der menschenverlassenen Insel uns einnisten, als im drängenden Gewühle der Welt mitschwimmen. Dies wenigstens ist es, was uns in vorliegendem Stück an die so äußerst unmoralische Jaunerhorden festbindet. Eben dieses eigentümliche Korpus, das sie der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber formieren, seine Beschränkungen, seine Gebrechen, seine Gefahren, alles lockt uns näher zu ihnen, aus einer unmerkbaren Grundneigung der Seele zum Gleichgewicht meinen wir durch unsern Beitritt, welches zugleich auch unserm Stolze schmeichelt, ihre leichte unmoralische Schale so lang beschweren zu müssen, bis sie waagrecht mit der Gerechtigkeit steht. Je entferntern Zusammenhang sie mit der Welt haben, desto nähern hat unser Herz mit ihnen. – Ein Mensch, an den sich die ganze Welt knüpft, der sich wiederum an die ganze Welt klammert, ist ein Fremdling für unser Herz. – Wir lieben das Ausschließende in der Liebe und überall.
Der Dichter führte uns also in eine Republik hinein, auf welcher, als auf etwas Außergewöhnlichem, unsere Aufmerksamkeit weilet. Wir haben eine so ziemlich vollständige Ökonomie der ungeheuersten Menschenverirrung, selbst ihre Quellen sind aufgedeckt, ihre Ressorts angegeben, ihre Katastrophe ist entfaltet. Allerdings würden wir vor dem kühnen Gemälde der sittlichen Häßlichkeit zurücktreten, wofern nicht der Dichter durch etliche Pinselstriche Menschlichkeit und Erhabenheit hineingebracht hätte. Wir sind geneigter, den Stempel der Gottheit aus den Grimassen des Lasters herauszulesen, als ebendenselben in einem regelmäßigen Gemälde zu bewundern; eine Rose in der sandigten Wüste entzückt uns mehr, als deren ein ganzer Hain in den Hesperischen Gärten. Bei Verbrechern, denen das Gesetz als Idealen moralischer Häßlichkeit die Menschheit abgerissen hat, erheben wir auch schon einen geringern Grad von Bosheit zur Tugend, so wie wir im Gegenteil all unsern Witz aufbieten, im Glanz eines Heiligen Flecken zu entdecken. Kraft eines ewigen Hangs, alles in dem Kreis unserer Sympathie zu versammeln, ziehen wir Teufel zu uns empor und Engel herunter. Noch einen zweiten Kunstgriff benutzte der Dichter, indem er dem weltverworfenen Sünder einen schleichenden entgegengesetzte, der seine scheußlichern Verbrechen mit günstigerem Erfolge und weniger Schande und Verfolgung vollbringt. Auf diese Art legen wir nach unserer strengen Gerechtigkeitsliebe mehr Schuld in die Schale des Begünstigten, und vermindern sie in der Schale des Bestraften. Der erste ist um so viel schwärtzer, als er glücklicher, der zweite um so viel besser, als er unglücklicher ist. Endlich hat der Verfasser vermittelst einer einzigen Erfindung den fürchterlichen Verbrecher mit tausend Fäden an unser Herz geknüpft. – Der Mordbrenner liebt und wird wieder geliebt. Karl Moor
Räuber Moor ist nicht Dieb, aber Mörder. Nicht Schurke, aber Ungeheuer. Wofern ich mich nicht irre, dankt dieser seltene Mensch seine Grundzüge dem Plutarch und Cervantes**, die durch den eigenen Geist des Dichters nach Shakespearischer Manier in einem neuen, wahren und harmonischen Charakter unter sich amalgamiert sind. In der Vorrede zum ersten Plan ist der Hauptriß von diesem Charakter entworfen. Die gräßlichsten seiner Verbrechen sind weniger die Wirkung bösartiger Leidenschaften als des zerrütteten Systems der guten. Indem er eine Stadt dem Verderben preisgibt, umfaßt er seinen Roller mit ungeheuerm Enthusiasmus; weil er sein Mädchen zu feurig liebt, als sie verlassen zu können, ermordet er sie; weil er zu edel denkt, als ein Sklave der Leute zu sein, wird er ihr Verderber; jede niedrige Leidenschaft ist ihm fremde; die Privaterbitterung gegen den unzärtlichen Vater wütet in einen Universalhaß gegen das ganze Menschengeschlecht aus. „Reue und kein Erbarmen! – ich möchte das Meer vergiften, daß sie den Tod aus allen Quellen saufen.“ Zu groß für die kleine Neigung niederer Seelen, Gefährten im Laster und Elend zu haben, sagt er zu einem Freiwilligen: „Verlaß diesen schrecklichen Bund! – Lern erst die Tiefe des Abgrunds kennen, eh du hineinspringst. – Folge mir! mir! und mach dich eilig hinweg.“ Eben diese Hoheit der Empfindungen begleitet ein unüberwindlicher Heldenmut und eine erstaunenswerte Gegenwart des Geistes. Man erblicke ihn, umzingelt in den Böhmischen Wäldern, wie er sich aus der Verzweiflung seiner Wenigen eine Armee wirbt – den großen Mann vollendet ein unersättlicher Durst nach Verbesserung, und eine rastlose Tätigkeit des Geists. Welches drängende Chaos von Ideen mag in dem Kopfe wohnen, der eine Wüste fodert, sich zu sammeln, und eine Ewigkeit, sie zu entwickeln! – Das Aug wurzelt in dem erhabenen armen Sünder, wenn schon lange der Vorhang gefallen ist, er ging auf wie ein Meteor und schwindet wie eine sinkende Sonne.
Einen überlegenden Schurken, dergleichen Franz, der jüngere Moor, ist, auf die Bühne zu bringen – oder besser (der Verfasser gesteht, daß er nie an die Bühne dachte) ihn zum Gegenstand der bildenden Kunst zu machen, heißt mehr gewagt, als das Ansehen Shakespeares, des größten Menschenmalers, der einen Jago und Richard erschuf, entschuldigen; mehr gewagt, als die unglückseligste Plastik der Natur verantworten kann. Wahr ist es – so gewiß diese letztere an lächerlichen Originalen auch die luxurierendste Phantasie des Karikaturisten hinter sich läßt; so gewiß sie zu den bunten Träumen des Narrenmalers Fratzen genug liefert, daß ihre getreuesten Kopisten nicht selten in den Vorwurf der Übertreibung verfallen: so wenig wird sie jedennoch diese Idee unsers Dichters mit einem einzigen Beispiel zu rechtfertigen wissen. Dazu kommt, wenn auch die Natur, nach einer hundert- und tausendjährigen Vorbereitung, so unbändig über ihre Ufer träte, wenn ich dies auch zugeben könnte, sündigt nicht der Dichter unverzeihlich gegen ihre ersten Gesetze, der dieses Monstrum der sich selbst befleckenden Natur in eine Jünglings-Seele verlegt? Noch einmal zugegeben, es sei so möglich – wird nicht ein solcher Mensch erst tausend krumme Labyrinthe der Selbstverschlimmerung durchkriechen, tausend Pflichten verletzen müssen, um sie gering schätzen zu lernen – tausend Rührungen der zum Vollkommenen strebenden Natur verfälschen müssen, um sie belachen zu können? -. Mit einem Wort, wird er nicht erst alle Auswege versuchen, alle Verirrungen erschöpfen müssen, um dieses abscheuliche non plus ultra mühsam zu erklettern? Die moralischen Veränderungen kennen ebenso wenig einen Sprung als die physischen; auch liebe ich die Natur meiner Gattung zu sehr, als daß ich nicht lieber zehenmal den Dichter verdamme, eh ich ihr eine solche krebsartige Verderbnis zumute. Mögen noch so viel Eiferer und ungedungene Prediger der Wahrheit von ihren Wolken herunterrufen: Der Mensch neigt sich ursprünglich zum Verderblichen: ich glaub es nicht, ich denke vielmehr überzeugt zu sein, daß der Zustand des moralischen Übels im Gemüt eines Menschen ein schlechterdings gewaltsamer Zustand sei, welchen zu erreichen zuvörderst das Gleichgewicht der ganzen geistigen Organisation (wenn ich so sagen darf) aufgehoben sein muß, so wie das ganze System der tierischen Haushaltung, Kochung und Scheidung, Puls und Nervenkraft durcheinander geworfen sein müssen, eh die Natur einem Fieber oder Konvulsionen Raum gibt. Unserm Jüngling, aufgewachsen im Kreis einer friedlichen, schuldlosen Familie, – woher kam ihm eine so herzverderbliche Philosophie? Der Dichter läßt uns diese Frage ganz unbeantwortet; wir finden zu all denen abscheulichen Grundsätzen und Werken keinen hinreichenden Grund als das armselige Bedürfnis des Künstlers, der, um sein Gemälde auszustaffieren, die ganze menschliche Natur in der Person eines Teufels, der ihre Bildung usurpiert, an den Pranger gestellt hat.