Es sind nicht sowohl gerade die Werke, die uns an diesem grundbösen Menschen empören – es ist auch nicht die abscheuliche Philosophie – Es ist vielmehr die Leichtigkeit, womit ihn diese zu jenen bestimmt. Wir hören vielleicht in einem Kreis Vagabunden dergleichen ausschweifende Bonmots über Moralität und Religion – unser inneres Gefühl empört sich dabei, aber wir glauben noch immer unter Menschen zu sein, solang wir uns überreden können, daß das Herz niemals so grundverderbt werden kann, als die Zunge es auf sich nimmt. Wiederum liefert uns die Geschichte Subjekte, die unsern Franz an unmenschlichen Taten weit hinter sich lassen***; und doch schüttelt uns dieser Charakter so sehr. Man kann sagen: dort wissen wir nur die Fakta, unsre Phantasie hat Raum, solche Triebfedern darzu zu träumen, als nur immer dergleichen Teufeleien wohl nicht entschuldigen, doch begreiflich machen können. Hier zeichnet uns der Dichter selbst die Schranken vor, indem er uns das Triebwerk enthüllt, unsre Phantasie wird durch historische Fakta gefesselt; wir entsetzen uns über den gräßlichen Sophismen, aber noch scheinen sie uns zu leicht und luftig zu sein, als daß sie zu wirklichen Verbrechen – darf ich sagen? – erwärmen könnten. Vielleicht gewinnt das Herz des Dichters auf Unkosten seiner dramatischen Schilderei; tausend Mordtaten zu geloben, tausend Menschen in Gedanken zu vernichten ist leicht, aber es ist eine herkulische Arbeit, einen einzigen Totschlag wirklich zu begehen. Franz sagt uns in einem Monologen einen wichtigen Grund: „Verflucht sei die Torheit unsrer Ammen und Wärterinnen, die unsre Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und gräßliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, daß unwillkürliche Schauer die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln, unsre kühnste Entschlossenheit sperren“ u. s. f. Aber wer weißt es nicht, daß eben diese Spuren der ersten Erziehung in uns unvertilgbar sind? In der neuen Auflage des Stücks hat sich der Dichter gebessert. Der Bösewicht hat seinen Helfershelfer verloren und ist gezwungen, seine eigenen Hände zu brauchen – „Wie? wenn ich selbst hinginge und ihm den Degen in den Leib bohrte hinterrücks? – Ein verwundeter Mann ist ein Knabe – frisch! ich wills wagen! (Er geht mit starken Schritten fort, bleibt aber plötzlich in schreckhafter Erschlaffung stehen.) Wer schleicht hinter mir? – Gesichter wie ich noch keine sah! – Schneidende Triller! (Er läßt den Dolch aus dem Kleide fallen.) durch meine Knochen Zermalmung! – Nein! ich wills nicht tun“ u. s. f. Der größeste Weichling kann Tyrann und Mörder sein, aber er wird seinen Bravo an der Seite haben, und durch den Arm eines im Handwerk erhärteten Buben freveln. Oft ist dies Feigheit, aber laufen nicht auch Schaueranwandlungen der wiederkehrenden Menschheit mit unter?
Dann sind auch die Räsonnements, mit denen er sein Lastersystem aufzustutzen versteht, das Resultat eines aufgeklärten Denkens und liberalen Studiums. Die Begriffe, die sie voraussetzen, hätten ihn notwendig veredeln sollen, und bald verleitet uns der Dichter, die Musen allgemein zu verdammen, die zu dergleichen Schelmereien jemals die Hände führen konnten.
Doch Klag und kein Ende! Sonst ist dieser Charakter, so sehr er mit der menschlichen Natur mißstimmt, ganz übereinstimmend mit sich selbst; der Dichter hat alles getan, was er tun konnte, nachdem er einmal den Menschen überhüpft hatte; dieser Charakter ist ein eigenes Universum, das ich gern jenseits der sublunarischen Welt, vielleicht in einen Trabanten der Hölle, einquartiert wissen möchte; seine untreue Seele schlüpft geschmeidig in alle Masken, und schmiegt sich in alle Formen: beim Vater hört man ihn beten, schwärmen neben dem Mädchen, und neben dem Handlanger lästern. Kriechend, wo er zu bitten hat, Tyrann, wo er befehlen kann. Verständig genug, die Bosheit eines andern zu verachten, nie so gerecht, sie bei sich selbst zu verdammen. An Klugheit dem Räuber überlegen, aber hölzern und feig neben dem empfindsamen Helden. Vollgepfropft von schweren, entsetzlichen Geheimnissen, daß er selbst seinen Wahnwitz für einen Verräter hält. „(Nachdem er aus einer Raserei, die sich in Ohnmacht verlor, zu sich selbst gebracht ward.) Was hab ich gesagt? Merke nicht drauf, ich hab eine Lüge gesagt, es sei was es wolle.“ Endlich in der unglücklichen Katastrophe seiner Intrige, wo er menschlich leidet? – Wie sehr bestätigt dies die allgemeine Erfahrung wieder! – wir rücken ihm näher, sobald er sich uns nähert; seine Verzweiflung fängt an, uns mit seiner Abscheulichkeit zu versöhnen: Ein Teufel, erblickt auf den Foltern der ewigen Verdammnis, würde Menschen weinen machen; wir zittern für ihn und über eben das, was wir so heißgrimmig auf ihn herabwünschten. Selbst der Dichter scheint sich am Schluß seiner Rolle für ihn erwärmt zu haben: er versuchte durch einen Pinselstrich ihn auch bei uns zu veredeln: „Hier! nimm diesen Degen. Hurtig! Stoß mir ihn rücklings in den Leib, daß nicht diese Buben kommen, und treiben ihren Spott aus mir.“ Stirbt er nicht bald wie ein großer Mann, die kleine kriechende Seele!
Es findet sich in der ganzen Tragödie nur ein Frauenzimmer, man erwartet also billig im Charakter dieser einzigen gewissermaßen die Repräsentantin ihres ganzen Geschlechts. Wenigstens wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers und Lesers um so unverwandter auf ihr haften, je einsamer als sie im Kreise der Männer und Abenteurer steht, wenigstens wird man von den wilden, stürmischen Empfindungen, worin uns die Räuberszenen herumwerfen, in ihrer sanften weiblichen Seele auszuruhen gedenken. Aber zum Unglück wollte uns der Dichter hier etwas Außerordentliches zukommen lassen, und hat uns um das Natürliche gebracht. Räuber war einmal die Parole des Stücks, der lärmende Waffenton hat den leisern Flötengesang überstimmt. Der Geist des Dichters scheint sich überhaupt mehr zum Heroischen und Starken zu neigen, als zum Weichen und Niedlichen. Er ist glücklich in vollen, saturierten Empfindungen, gut in jedem höchsten Grade der Leidenschaft, und in keinem Mittelweg zu gebrauchen. Daher schuf er uns hier ein weibliches Geschöpf, wobei wir, unbeschadet all der schönen Empfindungen, all der liebenswürdigen Schwärmerei doch immer das vermissen, was wir zuerst suchen: das sanfte leidende, schmachtende Ding – das Mädchen. Auch handelt sie im ganzen Stück durchaus zu wenig, ihr Roman bleibt durch die drei ersten Akte immer auf eben derselben Stelle stehen (so wie, beiläufig zu sagen, das ganze Schauspiel in der Mitte erlahmt). Sie kann sehr artig über ihren Ritter weinen, um den man sie geprellt hat, sie kann auch den Betrüger aus vollem Halse heruntermachen, der ihn weggebissen hat, und doch auf ihrer Seite kein angelegter Plan, den Herzeinzigen entweder zu haben, oder zu vergessen, oder durch einen andern zu ersetzen; ich habe mehr als die Hälfte des Stücks gelesen und weiß nicht, was das Mädchen will, oder was der Dichter mit dem Mädchen gewollt hat, ahnde auch nicht, was etwa mit ihr geschehen könnte, kein zukünftiges Schicksal ist angekündet oder vorbereitet, und zudem läßt ihr Geliebter bis zur letzten Zeile des – dritten Akts kein halbes Wörtchen von ihr fallen. Dieses ist schlechterdings die tödliche Seite des ganzen Stücks, wobei der Dichter ganz unter dem Mittelmäßigen geblieben ist. Aber vom vierten Akt an wird er ganz wieder er selbst. Mit der Gegenwart ihres Geliebten fängt die interessante Epoche des Mädchens an. Sie glänzt in seinem Strahle, erwärmt sich an seinem Feuer, schmachtet neben dem Starken, und ist ein Weib neben dem Mann. Die Szene im Garten, welche der Verfasser in der neuen Auflage verändert liefert, ist ein wahres Gemälde der weiblichen Natur, und ungemein treffend für die drangvolle Situation. Nach einem Selbstgespräch, worin sie gegen die Liebe zu Karln (der unter einem fremden Namen ihr Gast ist) als gegen einen Meineid kämpft, erscheint er selbst.