4. Aufzug / 4. Akt
Durch die beiden ersten Szenen werden wir auf die Krisis vorbereitet, mit welcher die dritte Szene den Aufzug abschließt.
Die erste Szene versetzt uns an das östliche Ufer des Urner Sees in die Umgegend des großen Arenberges, in dessen Nähe die Tellsplatte liegt. Kunz von Gersau teilt mit, dass Gessler sich mit dem gefesselten Tell zu Flüelen habe einschiffen wollen und dass der Freiherr von Attinghausen dem Tode nahe sei. Wir erfahren somit, was in der Pause zwischen den beiden Akten geschehen ist und werden gleichzeitig auf die nächstfolgende Szene hingewiesen.
Vorläufig aber nimmt der in Aufruhr befindliche See unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Es ist ein rasender Sturm, dessen Schilderung lebhaft an Shakespeares König Lear (III, 2) erinnert. Das Läuten auf dem Berge deutet an, dass ein Schiff in Not ist. Es ist das Herrenschiff von Uri, auf welchem Gessler seinen Gefangenen mit sich führt. Indem der Fischer auf Tell als einen trefflichen Steuermann hindeutet, werden diesen die Fesseln gelöst, um das Schiff zu lenken. Tell entkommt und erzählt in mächtig ergreifender Weise, wie er dies vollbracht hat. Auf dem nächsten Wege eilt er nach Küssnacht entgegen.
Noch freudig erschüttert an den glücklichen Ausgang des heldenmütigen Wagnisses, führt uns der Dichter nach Attinghausen, um uns in der zweiten Szene einen Auftritt stiller Wehmut vorzuführen. Der edle Freiherr ist seinem Ende nahe, Walther Fürst ist zugegen und auch Hedwig ist herbeigeeilt, um ihren geretteten Knaben zu sehen. Es ist eine mit bitterem Schmerz gemischte Freude. Aber ein noch anderes Wiedersehen wäre jetzt wünschenswert.
Der alte Attinghausen ist erwacht und sehnt sich nach seinem Neffen, um ihm den letzten Segen zu erteilen. Die Sinnesänderung seines Erben hat sein bekümmerte Herz mit inniger Freude, die Aussicht auf die nahe Befreiung des Vaterlandes eine Seele fröhlicher Hoffnung erfüllt. In prophetischer Begeisterung schaut er in die Zukunft, deutet die geschichtlichen Tatsachen an, die seinem Vaterland die volle Freiheit wiedergeben werden. Doch erst als er seine Augen für immer verschließt, erscheint Rudenz, um ihm zu geloben, seinem Volk treu zu sein. Und dieses Versprechen wird er halten.
Auch ihn treibt jetzt die Not, seine Berta ist geraubt, es muss nun schnell gehandelt werden. Somit wird das Christfest nicht abgewartet. Die Bedeutung, welche den auf dem Rütli gefassten Beschlüssen beizulegen war, tritt vor den Beleidigungen, welche die Einzelnen erfahren, in den Hintergrund. Nicht das Streben nach politischem Umsturz, sondern gerechte Notwehr bildet den Charakter der allgemeinen Volkserhebung. Denn die Zeit, „wo alle Bande des Gehorsams aufgelöst sind“, soll nicht lange auf sich warten lassen. Der Arm des Rächers ist bereits bewaffnet.
Die dritte Szene führt uns in die hohle Gasse bei Küssnacht, wo die Lösung des dramatischen Knotens erfolgen soll. Tell, obwohl ein kräftiger und entschlossener Charakter, ist doch bei der ungeheuren Tat, zu der er sich jetzt vorbereitet, nicht ohne alles Bedenken. Er, der sonst „nicht lange prüfen oder wählen“ kann, hier tut er es. Sein ergreifender Monolog zeigt uns, wie es in seinem Inneren aussieht.
Gessler ist nicht nur ein Feind des Landes, er ist sein persönlicher Feind, der ihm das Herz gebrochen hat, ein Wüterich, von dessen teuflischer Bosheit er sich und seine Familie schützen muss. Noch kommt ein heiterer Zwischenfall, ein Hochzeitszug, der seinen Gedanken eine andere Richtung geben könnte. Aber Gessler, der gleich darauf erscheint, ist völlig derselbe geblieben. Er spricht es offen aus, dass er die Freiheit des Landes vernichten, seine strenge noch steigern werde. Da durchbohrt ihn der Pfeil, dessen Spitze ihn sagt, wer ihn gesendet hat. Tells Tat und die Klänge der Hochzeitsmusik, sie bilden den schneidenden Kontrast zu dem fürchterlichen Ende des verzweifelnden Tyrannen.
Nach dieser mächtig erschütternden Szene bedarf unser Gemüt eines Momentes innerer Sammlung. Da erscheint der Chor der barmherzigen Brüder, um unserer Stimmung den entsprechenden Ausdruck zu geben. Ein ernster Grabgesang erschallt, dessen letzte Worte:
„Bereitet oder nicht zu gehen,
Er muss vor seinen Richter stehen!“
fern von den stolzen Bergen wiederhallen und unsere Seele mit ernsten Sinnen, unsere Brust mit heiligem Schauer erfüllen.
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