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Schiller an Graf v. Schimmelmann, 13. Juli 1793

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Jena den 13. Juli [Sonnabend] 1793.

Hochgebohrener Graf,
Gnädiger Herr!

Endlich fühle ich Muth genug in mir, mich einem Manne zu nähern, der mich so hoch verpflichtet, und, was in Seinen Augen ohne Zweifel noch mehr ist, der mir die reinste Verehrung seines Geistes und Herzens abgenöthigt hat. Der treuen und lebendigen Darstellungsgabe meines guten Baggesen danke ich die Zuversicht und Freiheit des Geistes, mit der ich Ihnen, vortreflicher Graf, dieses Geständniß ablege. Er vergegenwärtigte Sie mir, er gab Sie mir; denn bis jetzt, ich gestehe es, waren Sie mir bloß ein großer und bewunderter Nahme, dem ich kein Bild unterlegen konnte. Sie wissen aber, gnädiger Graf, daß das verzagte Ding, die menschliche Natur, vor dem, was die Sinne flieht, eher zittern, als Vertrauen faßen, und Liebe fühlen kann. Erst alsdann, wenn ich mich der Individualität eines Menschen bemächtigt zu haben glaube, nenne ich ihn mein, und erst wenn ich ihn mein nenne, und in mir habe, kann ich mein Herz gegen ihn aufthun. Ganz unmöglich war es mir, das unkörperliche Gedankenbild, das ich mir von Ihnen entworfen hatte und an dem ich mit schüchterner Ehrfurcht hinaufsah, in einem Briefe anzureden. Lieber schwieg ich, auf die Gefahr, eine Zeitlang von Ihnen verkannt zu seyn als daß ich es über mich vermocht hätte, durch allgemeine Versicherungen, die keinen Wert haben konnten, da sie nicht Ihrem eigenthümlichen Selbst, bloß einem Traumbild meiner Phantasie würden gegolten haben, die Schönheit Ihres Herzens und die Wahrheit des meinigen zu beleidigen. Auch unserm edlen Prinzen von Augustenburg näherte sich mein Herz nicht eher mit Freiheit, alß biß mir Sein Gemählde in Dresden gezeigt wurde. Laßen Sie mir also, vortreflicher Graf, dieselbe Entschuldigung zu gute kommen, die auch der strengste Weltweise dem Götzendiener nicht versagt. Wie es diesem mit seinem Gott und seiner Gottesverehrung ergeht, so erging es mir mit Ihnen und meinen Empfindungen für Sie. Er kann nicht eher zu ihm beten, als biß er ihn mit seinen Sinnen begreift. Ich konnte nicht eher mein Herz gegen Sie aufschließen, als biß Ihr Bild vor meiner Seele stand.

Dieses Bild, gnädiger Graf, wird lebendiger werden, wenn Sie mir erlauben wollen, daß ich mich noch öfters mit demselben unterreden darf, und ein nachsichtsvolles Urtheil eurer Exzellenz über die Sonderbarkeit meines Stillschweigens (ich will ihm keinen härteren Nahmen geben), wird es zu dem schönsten Ganzen vollenden. Erlauben Sie mir zugleich, gnädiger Herr Graf, Ihnen einen kleinen philosophischen Versuch zu überreichen, dem sein Inhalt einen sehr nahen Anspruch an Ihre Theilnahme gibt, und den ich in jeder Rücksicht, keinem competentern Richter als einem Grafen und (verstatten Sie mir bey dieser Gelegenheit hinzuzusetzen) einer Gräffinn Schimmelmann unterwerfen könnte. Ist meine Ausführung mir gelungen, so werde ich mich des Blickes freuen, den ich – in Ihre Seelen gethan habe.

Der allgemeine Wetteifer in der philosophischen Welt, nach Principien unserer Erkenntniß zu forschen hat auch mich mit fortgerißen und das Bestreben in mir aufgeweckt, ähnliche für unsere Empfindungen aufzusuchen. Die noch immer nicht ganz entwickelte Natur des Schönen ist einer solchen Zergliederung vorzüglich bedürftig und würdig, und eine Philosophie des Geschmacks ist eine so reizende Krücke von der Kunst zu der Wißenschaft. Ich habe zugleich die Absicht, mich auf diesem Wege wieder mit der poetischen Muse zu versöhnen, die ich durch meinen Abfall zu der historischen (welches ein wahrer Fall ist) gröblich beleidigt habe. Gelingt es mir die Gunst des Dichtergottes wieder zu gewinnen, so hoffe ich die Spolien, die ich im Reiche der Philosophie und Geschichte und Geschichte zu machen mich beeifert habe, in seinem Tempel aufzuhängen, und mich seinem Dienst auf immerdar zu widmen. Aber ich finde, daß der Rückweg von der Untersuchung zur Darstellung, von der Abstraktion zur Begeisterung schwer ist, und ich möchte keinem Dichtergenius rathen, ihn zu gehen. Der Verstand mit seinen Begriffen ist ein störender Zeuge bey dem poetischen Schöpfungsakt, und das Bewußtseyn der gefahren, die man zu bestehen hat, benimmt die Zuversicht, mit der das Genie in seiner glücklichen Blindheit gerade die größten Thaten verrichtet.

Aber ich bin auf dem Wege, mich zu einer Freiheit fortreißen zu laßen, die ich mir ohne die gütige Beystimmung eurer Exzellenz nicht erlauben darf. Biß ein ermunterndes Wort von Ihnen mich zu dieser Kühnheit berechtigt hat, wage ich nichts mehr hinzusetzen, als daß in meinem Herzen die Ehrfurcht und Bewunderung innig und feurig lebt, mit der ich mich nenne

Eurer Exzellenz
verbundensten Diener

F. Schiller.