HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Caroline v. Wolzogen, 22. Juni 1801

Schiller an Caroline v. Wolzogen, 22. Juni 1801

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[Weimar 22 (?) Juni. Montag. 1801].

Ich kann Dir nicht helfen, Liebe, ich muß Dich mit diesen letzten Bogen noch einmal plagen. So wie es jetzt ist, kann es nicht wohl bleiben, noch eher in seiner ersten Gestalt; aber vielleicht ist ein Ausweg zu treffen.

Daß Aloisia die Gräfin vorher sieht, ehe diese das Fest anstellt, ist ganz recht und gewissermaßen nothwendig, aber durchaus darf sie nicht von ihr gesehen werden und ihr noch weniger etwas geheimnißvolles sagen, weil sonst die Gräfin von den Versen, die sie in der Capelle angeschrieben findet, gar nicht mehr überrascht werden kann. Ein anderes wär es, wenn sie in der Capelle das Bild fände, und also zu der bloßen Weißagung ein Pfand hinzukäme; dann wäre eine Gradation da, und die Gräfin hätte Ursache zu erstaunen und aus der Capelle außer sich herauszustürzen. Weil aber alsdann alles zur Entwicklung forteilen müßte, so dürfte nach dem Herauskommen der Gräfin aus der Capelle kein Fest mehr seyn, und die Gräfin müßte sogleich in die junge Zigeunerin dringen und die Entdeckung ihr abnöthigen.

Auch selbst in der jetzigen Bearbeitung will es mir nicht recht in den Sinn, daß die Gräfin die Festlichkeit vor sich gehen läßt. Du sagst zwar ausdrücklich, sie thäte es, um der Gewalt der Empfindung zu entfliehen; aber diesen Empfindungen der Hoffnung, der erregten Neugier kann sie nicht entfliehen wollen, das ist gegen die Natur.

Der dreimalige Gebrauch der Verse ist auch nicht zu billigen, die Motive dürfen sich nicht wiederholen, sie müssen in der Wichtigkeit steigen.

Mein Rath wäre also:

Entweder würde Aloisia im Schloß von der Gräfin nicht gesehen, und die Verse, welche sie ihr im Schloß oben sagt, schriebe sie in die Capelle, statt derjenigen, welche jetzt darin stehen;

Oder sie spräche sie schon im Schloß und Aloisia besähe der Gräfin Hände und verspräche ihr, daß sie ein Zeichen vom Geschick empfangen würde. Dieses Zeichen wäre das Bild und die Gräfin fände es mit Emblemen des Lebens in der Capelle, stürzte dann heraus und es käme zur Entdeckung.

In beiden Fällen aber muß das Fest und der geheimnißvolle Tanz der Aloisia angestellt werden, ehe die Gräfin in die Capelle geht, dies ist unerläßlich. Während der Festlichkeit ginge sie hinein, und es wäre sogar der Sache sehr gemäß, daß der symbolische Tanz des Mädchens das Verlangen hineinzugehen bei ihr heftig erregte.

Während sie darin ist, müßte außen noch etwas vorgehen, daß ihr Herausstürzen nicht unmittelbar auf ihr eintreten erfolgt.

Ich überlasse es Dir nun, welche Wendung von beiden Du wählen wirst; offenbar ist die zweite die beste und nur in dem Fall, daß es absolut zu spät wäre viele Aenderungen zu machen, würde ich die erste zu wählen rathen.