Jena, Sonntag Abends 1
Ich bin noch immer in Weimar unter Euch Ihr Lieben, und mir ist sonderbar zu Muth, daß ich diesen Abend nicht auf das bewußte Kaffeehaus gehen soll. Ich hätte einen solchen Gang sehr nöthig, um mich von den Menschengesichtern wieder zu erholen, die ich heute sah. Bei meiner Ankunft fand ich ein Billet von dem Lorbeerkranz, worin mir zum Neujahr gratulirt wurde. Man hoffte darin, daß ich ihm dieses Jahr eine Freundin schenken und einen Freund erhalten würde. Das erste so gewiß als das zweite. Wie nah legte es mir der Lorbeerkranz mit der erwarteten Neuigkeit herauszurücken, aber die Mühe war umsonst. Ich fand noch Briefe von Körnern, von Hubern und aus Meiningen von meiner Schwester. Huber hat meine Entwürfe auf Mainz vermuthet, und muntert mich auf sie zu verfolgen. Es sei eine Professorstelle in der Geschichte vor kurzem erledigt worden und trage 1400 Fl. Gehalt. Wenn dies auch jetzt nicht zu spät käme, so würde ich es doch nimmermehr wählen.
Von Meiningen erfahre ich eine Nachricht, die mich betrübt. Meine Mutter ist wahrscheinlich todt, ein Brief vom 22. December sagt sie ohne Hoffnung. Deinen Brief, liebe Lotte, sieht sie nicht mehr, aber einen Brief von mir, worin ich von unsrer Verbindung schreibe, hat sie wahrscheinlich noch erlebt. Ich bin froh, daß sie ihres schmerzenvollen Lebens los ist, aber ich denke ihrer mit Rührung, und es schmerzt mich, daß sie nicht mehr ist. Ein Band, das mich an die Menschen knüpfte, und das erste meines Lebens war, ist zerrissen. Sie liebte mich sehr, und hat viel um mich gelitten. Auch meines Vaters wegen thut mir dieser Zufall wehe. Er sieht sich in seinem 67. Jahre allein. Er hat viel an ihr verloren. Meine Mutter war eine verständige gute Frau, und ihre Güte, die auch gegen Menschen, die ihr nichts angingen, unerschöpflich war, hat ihr überall Liebe erworben. Mit einer stillen Resignation ertrug sie ihr leidenvolles Schicksal, und die Sorge um ihre Kinder kümmerte sie mehr, als alles andere. Ich fühle, wenn ich an sie denke, daß die frühen Eindrücke doch unauslöschlich in uns leben. Ich darf mich nicht mit ihr beschäftigen.
Lebt wohl meine Theuersten. Ich umarme Euch mit Liebe. Lina und Humboldt grüßt herzlich von mir; auch Carln grüßt. Adieu! Morgen finde ich Briefe von Euch; von Rudolstadt habe ich nichts vorgefunden. Lebt wohl meine Lieben.
- Januar 1790. ↩