Weimar d. 11. Dec. [Donnerstag] 1788.
In diesem grimmkalten Wetter habe ich Sie schon öfters bedauert. Ich weiß wie ungern Sie sich in ihr Zimmer einsperren lassen, und daß freie Luft und heiterer Himmel gewissermaasen zu Ihrem Leben gehört. Die schönen Berge werden jezt traurig um Rudolfstadt liegen, aber auch in dieser traurigen Einförmigkeit immer groß – und dass ich sie nur vor meinem Fenster hätte! Mir macht dieses winterliche Wetter mein Zimmer und meinen stillen Fleiß desto lieber und leichter, und läßt mich die Entbehrungen, die ich mir auflegen muß, desto weniger empfinden.
Der Donnerstag setzt mich immer in gute Laune, weil mir ein gewißes Vergnügen aufbewahrt ist. Ueberhaupt sollte man sich immer einen Tag oder mehrere in der Woche mit irgend einer periodisch zurück kehrenden und fortdauernden Freude bezeichnen. Das Leben verfließt dann so angenehmer – es macht einen künstlichen Pulsschlag in unserm Daseyn, und wie von einer schönen Treppe zur andern schreitet Leben und Hoffnung darauf weg.
Ich lebe noch immer mein stilles Leben und bin diese Woche nur einmal ausgekommen. Ich hatte diese Woche einen Besuch von meinem Landsmann, Schubarts Sohn. Er ist von Berlin hier durchgereist, um nach Mainz zu gehen, wo er in preußischer Gesandtschaft angestellt ist. Er ist auch ein Dichter, aber kein gebohrner. Frühe Lectüre von Poeten, frühe Versuche mit poetischer Arbeiten, wozu ihn das Beispiel und die Aufmunterung seines Vaters verführten, haben ihm eine gewisse Fertigkeit, einen Vorrath von Bildern und Stil verschafft, die, wenn sie von einer gründlichen Ausbildung seiner übrigen Kräfte unterstützt werden, ihm noch wohl eine Stelle unter unsern lesbaren Schriftstellern verschaffen können. Sonst ists ein guter redlicher Karakter, der besonders viel vom Schwäbischen Provinzialkarakter in sich hat. Er hat den Tag vor seiner Abreise den Carlos in Berlin aufführen sehen, der auf Befehl des alten Schwein mit vielem Pomp schlecht gegeben worden ist. Die Ingenheim war mit dem König in einer Loge, welches bei Gelegenheit der Scene Carls mit der Eboli einiges Gesumse im Parterre veranlaßt haben soll. Die Scene des Marquis mit dem König soll gut gespielt worden, und Seiner Majestät dem dicken Schwein sehr ans Herz gegangen seyn. Ich erwarte nun alle Tage eine Vocation nach Berlin, um Herzbergs Stelle zu übernehmen und den preussischen Staat zu regieren.
Was mir bei dieser Gelegenheit vielen Spaß macht, ist das, daß Engel und Ramler, die Theater directeurs, die ich als meine Antagonisten kenne, nicht einmal soviel Consequenz und Vestigkeit besitzen, um ihren Geschmack bei der Wahl der Stücke zu behaupten. Engel hat einigen Schauspielern die Rollen im Carlos auslegen und einlernen helfen müssen und ich weiß, wie sehr wünscht, solche Stücke von der deutschen Bühne zu vertreiben. Aber was unterhalte ich Sie davon? Ich wollte Ihnen auch gern etwas schreiben, was außer meinem Zimmer vorgeht.
Ihre proponirte Heurath der la Roche mit Boden hat mich herzlich belustigt. Aber da würden mehrere Damen Einspruch thun, denn eine solche Parthie wie Bode läßt man sich nicht gerne entgehen. Heurathen würde indessen die la Roche offenbar wieder, wenn sich sonst eine Parthie finden wollte, denn sie ist das große Leben gewohnt – und es ist armselig, was für Opfer sie diesem Hange bringt! Noch ist sie nicht hier und es ist wieder still von ihrem Anschlag auf Weimar.
Die Fr. v. Stein habe ich seitdem nicht wieder gesehen, es wird aber mit nächstem geschehen. Nur noch dieser Monat, dann habe ich immer einige Stunden mehr für gesellschaftlichen Umgang. Ich wäre gerne recht oft um die Stein, weil ihr Wesen mir sehr wohl zusteht, und daß sie Ihre Freundin ist, macht mir sie um so lieber. In meinem nächsten Briefe hoffe ich Ihnen etwas von ihr sagen zu können.
Daß Sie und Caroline so gut zusammen stimmen, freut mich sehr; es ist überhaupt selten, daß Schwestern, die von früher Kindheit an in so viele Collisionen kommen, bei entwickeltem Carakter einander etwas sind. Ihre beiderseitige gute Harmonie ist ein schöner Genuß für mich, weil ich Sie in meinem Herzen vereinige, wie Sie sich selbst vereinigt haben. – Möchten Sie, oder möchte vielmehr das Schicksal sie beide nie weit auseinander führen, wenn es möglich ist. Es ist gar niederschlagend für mich, wenn ich Sie mir getrennt denke, weil ich dann immer Eine, wo nicht beide entbehren müßte. Auch Sie würden einander sehr fehlen und nicht mehr ersetzen.
Frau von Kalb sagt mir, daß Sie nächstens einen Brief von ihr erhalten würden. Sie ist munter und vergnügt und macht sich allerlei Zerstreuungen. Knebel habe ich nicht gesehen. Die Art, wie er Ihnen den Shaftesbury empfohlen machte mich zu lachen. Es sieht just so aus, als wenn eine sehr häßliche Person einem andern eine Seife recommandierte, mit der Versicherung sie mache schön und sie habe sich ihrer fleißig bedient.
Leben Sie einstweilen wohl. Heute erhalte ich Ihre Briefe. Dann setz ich noch etwas hinzu.
S.