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Schiller an Ferdinand Huber, 2. Januar 1789

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Weimar d. 2. Jenner [Freitag] 88.

Daß du von dem Glauben nun zurückgekommen bist, mein langes Stillschweigen sey absichtlich gewesen, ist mir sehr lieb, obschon meine Sache dadurch nicht sehr gebeßert wird. Anfangs, ich gesteh es, war es absichtlich, oder um es recht philosophisch zu sagen, es war eine moralische Handlung. Die Reflexionen auf die mich einer deiner Briefe damals brachte, mit deinem langen Stillschweigen verbunden machten mirs unmöglich dir, mit dem Herzen in der Hand, zu schreiben. Ein Brief ist allenfalls der einzige Platz, wo man ganz wahr seyn kann, und es also auch seyn soll; ein Brief, der das nicht ist, ist ein armseliges Ding, und eine Last die man sich auflegt. Kurz, ich fühlte, daß ich nicht wahr gegen dich seyn konnte, und mich zu zwingen, schien mir ganz unwürdig. Liebe und Freundschaft sind das beste und das einzige Eigenthum, was unser einer hat und worauf wir einen Werth legen können. Es auf die schönste Art anzulegen ist ein billiger Wunsch; ich glaubte daß es den Wert nicht mehr für dich hätte und haben könnte, den ich darauf legte. Dein Ausflug in die Welt war eine Art von erster Probe unsrer ziemlich schwärmerisch geknüpften Freundschaft; sie schien mir zum Nachteil unsrer Freundschaft ausgefallen zu seyn. Der zweyte Brief, den du dem ersten folgen ließest konnte diese Meynung nicht umstürzen, weil bloß die Zartheit deines Gefühls, ohne deine Freundschaft, ihn dir diktiert haben konnte. Ich fürchtete damals stark, wir hätten uns einige Jahre lang mit Deklamationen hintergangen, und ich wollte nicht neuerdings wieder darein mit dir verfallen. Darum überließ ich es damals der Zeit, was sie über unser Verhältnis für ein Urteil sprechen würde. Die Freundschaft ist sehr kennbar an ihren wohlthätigen Wirkungen auf Herz und Geist.

So dachte ich damals und im ganzen auch noch jezt. Solange die Verlegenheit so lange geschwiegen zu haben, lebhaft auf mich wirkte, glaubte ich daß die rechte Zeit noch nicht da sey, dir zu schreiben. Rechne dazu hypochondrische Dispositionen von mir, die mir die schönsten Stunden meines Lebens vergällen, und eine Schüchternheit meines Gefühls, das mich für die kleinste unsanfte Berührung reizbar macht – so wirst du mich begreifen und vielleicht entschuldigen.

Ich bin diesen Sommer sehr mit mir selbst umgangen und nicht ohne Nutzen; aber Licht und Finsterniß haben sich noch nicht ganz geschieden und Ruhe ist noch nicht in meinem Gemüth. Ich lebe nur zuweilen glücklich in der Zukunft, und auch die wird, mit jedem Jahr, das ich älter werde, enger. Doch hat mir freundschaftlicher Umgang diesen Sommer auch heitre Stunden gegeben, und mein Geist schreitet im Ganzen doch fort und sucht sich Freyheit zu schaffen. Nur durch immerwährende Thätigkeit kann ich mir eine leidliche Existenz verschaffen, und dieß Mittel habe ich seit einigen Monaten auch ergriffen. Zugleich machten es meine Finanzumstände nothwendig. Daß ich nach Jena gehe wird dir Körner geschrieben haben. Nie hätt ich diesen Schritt gethan, wenn ich ihn nicht für die einzige Auskunft hielte, meine Schulden zu tilgen und innerhalb einiger Jahre zu einer gewißen Freiheit und Ruhe des Geists zu gelangen, ohne die ich mein Leben auch nicht einen Tag mehr fortsetzen möchte. Ich gehe auch eigentlich nur nach Jena, um es in einigen Jahren mit einem anderen Orte vertauschen zu können, welches sich dann hoffentlich geben wird. Zwey, drey mühselige Jahre wird es mir freilich kosten, aber unter der Arbeit, hoffe ich, sollen sie mir verschwinden, und die Hofnung schönerer Zukunft soll sie mir tragen helfen.

Die Geschichte verspricht mir einiges Vergnügen und das Fach selbst ist nicht zu weit von denen Fähigkeiten entlegen, die in mir ausgebildet sind. Vor einigen Jahren kann ich freilich nicht Geistesgenüße für mich davon erwarten, aber kleine Befriedigungen gibt mir auch schon das Studium. Ich werde diesen Sommer nicht mit der alten Geschichte eröfnen, sondern gleich in das mittlere Zeitalter hineingehen. Meine Neulingsqualität selbst kann denen, die die Geschichte bey mir hören, nützlich werden, weil die Materien selbst auch durch ihre Neuheit stärker auf mich wirken, und der Darstellung dadurch desto mehr Leben geben. Jena ist mit 3 Bibliotheken versehen, die mir alle nöthigen Quellen reichen, aus denen allein ich sie schöpfen will, mit Beyhilfe weniger neuerer Schriften. Zu meiner einstweiligen Subsistenz habe ich die Auskunft getroffen, daß ich eine Sammlung von memoires (im Auszug) herausgebe, wofür mir Bertuch ein Carolin verspricht. Mit 3 Stunden des Tags kann ich für diese Arbeit ausreichen und mehr als ich brauche erwerben, weil ich in Jena mit 400 Thalern ganz auskommen kann. Den ganzen übrigen Tag habe ich für mein Studium. Mehr als ein Privatcollegium gedenke ich nicht zu lesen, und dieß wird für diesen Sommer meine Niederl. Geschichte seyn, die ich bey dieser Gelegenheit gemächlich skitzieren kann. Das ist mein Plan einstweilen fürs Künftige.

Aber um auf Dich zu kommen, mein lieber, so habe ich Dir auch eine kleine Ermahnung ans Herz zu legen. Das Schicksal hat Dich nun an Ort und Stelle gebracht und das seinige gethan – wie wärs wenn Du nun auch etwas Deinerseits thätest. Daß Du thust, weiß ich, aber nur über den Gegenstand Deines Thuns hätte ich einiges zu sagen. Wäre Dirs wirklich nicht möglich Dich für ein solches Fach der Schriftstellerey zu erwärmen, das mit Deinen jetzigen oder künftigen Verhältnißen in Verbindung steht? Du müßtest Deine Kräfte nicht kennen, wenn Du bey einem wohl regierten planmäßigen Fleiß, in welches Fach Du Dich auch werfen willst, nicht etwas gründliches zu leisten hofftest. Aber da Dich Deine jetzigen Verhältniße so sehr begünstigen, um im politischen und publicistischen Fache als Philosoph und Denker von Geschmack zu arbeiten, da Dir die Umstände dieses Fach gleichsam aufdringen, so solltest Du diesen Ruf nicht umsonst an dich ergehen laßen. Außerdem, daß noch so wenige Köpfe von philosophischem Geiste und Geschmack dieses Fach in unserm Deutschland bearbeitet haben, ist es fast das einzige, wo Schriftstellerischer Genuß und Ruhm mit bürgerlicher Schätzung und Belohnung in einem hohen Grade zu vereinigen ist. Bei Deinen jetzigen amtsmäßigen Zerstreuungen wirst Du für poetische Kunstwerke nie Muße und Geistessammlung finden, nie über den Dilettanten dich erheben, und warum ein Dilettante, wenn Du hoffen kannst ein Virtuose zu werden. In Deinen Verhältnissen also würde ich planmäßig für eine solche Arbeit zusammentragen, ausbrüten und ordnen und mit langsamem Fleiße meine Kräfte zu einem solchen Hauptwerke anstrengen. Sapienti sat!

Deine überschickte Scene wird kommenden Monat in der Thalia erscheinen. Sie wird Sensation machen, das Mystische der Initiation ist meines Bedünkens vortreflich erreicht. Körner schickte mir neulich auch einen Aufsatz, der Dir gewiß recht behagen wird und der ihm billig Muth machen sollte, mehr zu schreiben.

Ich könnte und sollte Dir noch allerlei schreiben und melden. Doch es ist spät in der Nacht und Eile hat es ja ohnehin nicht. Es wird schon mit Gelegenheit eins nach dem andern sich ergeben. Moriz ist gegenwärtig hier in Weimar. Seine Reise nach Italien und 2 Jahre mehr haben viel aus ihm gemacht. Laß Dir seine kleine Schrift: über bildende Nachahmung des Schönen hohlen; sie wird Dich mit ihm bekannt machen, und dir eine geistvolle Unterhaltung verschaffen. Lebewohl.

Schiller.