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Schiller an Ferdinand Huber, 26. Oktober 1787

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Weimar den 26 Oktober [Freitag] 1787.

Ich muß Dir Glück wünschen, so schwer es mich ankommt. Gegen Deine Außichten ist nichts einzuwenden aber es will mir nicht in den Kopf, Dich zu verlieren; und ich verliere Dich nicht allein, auch, und das ist eben so schlimm – auch das Vereinigungsband unsrer Wesen, unsre gemeinschaftliche Geistesgenüße und Studien werden Dich verlieren, Dien voriges Daseyn wird Dir fremd werden, Du wirst andre Freuden und andre Thätigkeiten haben. Diese Trennung ist ernsthafter und wichtiger – ich sehe sie voraus und freue mich nur halb, daß Du auf dem Wege bist, versorgt zu werden. Die Meinungen, die ich von Deinem Kopfe habe, berechtigen mich, aufrichtig zu seyn. Du bist Dir mehr schuldig, als eine bloße sorgenfreie Existenz. Die Stelle die Du besetzen wirst kann ein gewöhnlicher Mensch auch ausfüllen, und Du bleibst also immer noch übrig. Alle Deine Talente warten noch auf ihre Sphäre. Für die ist noch nichts geschehen, Du mußt dafür sorgen. Ich bin überzeugt, daß ich Dir hier nur eine Bemerkung avanciere, die Du, früher oder später, selbst machen wirst. Aber unglücklich würde es mich machen, wenn mein Freund in der Welt nur einen Menschen vorstellte, der zu leben hat. Ich habe Deine Empfindungsart geliebt und Deinen Kopf verehrt. – Deine Seele ist mein Freund. Wenn diese abwelkt, so habe ich meinen Freund verloren.

Ja, mein Lieber, ich gestehe Dir, daß ich über diese Sache ganz anders denke als Du selbst und Körner der Dich gewiß nicht weniger liebt als ich, aber der nicht so oft in den Fall gekommen ist wie ich, über seine Seele zu denken. Für Menschen unserer Art sind andre Befriedigungen nöthig. Ich fürchte nicht, daß Du Dir selbst so ungleich werden und mit geringeren vorlieb nehmen werdest. Solange man den Druck der Bedürfniße fühlt hält man es für das höchste Gut, darüber beruhigt zu werden. Und doch – was hat man, wenn das auch geschehen ist einen äußerlichen schmerzlosen Zustand, wobei sehr oft die innere Unruhe desto lauter wird. Es ist hier wie mit der sinnlichen Leidenschaft. Solange sie noch Begierde ist kennt man kein höheres Gut als ihre Befriedigung. Ich hätte für eine Schäferstunde meine besten Freuden hingegeben und nachher – ich glaube ich habe Dir schon über diesen Artikel gesprochen – nachher war mir die leiseste Regung meines schlafenden Genius Labsal. Aber Du wirst fragen, wo ich mit diesem allen hinauswill? Dahin, mein lieber, daß Du jezt mehr als jemals glauben sollst, es sei nichts für Dich gethan und Alles beruhe noch auf Dir. Die Nachricht von einer Geistesarbeit, die Dir gelungen ist, soll mir noch einmal so willkommen seyn, als Deine Versorgung von meinetwegen tausend Thalern auf Lebenslang. Denkst Du aber über diesen Punkt wie ich und handelst Du wie Du denkst, so ist diese Außicht unstreitig das größte Glück, das Dir begegnen konnte.

Recht sehnlich wünschte ich Dich jezt um mich zu haben, und nunmehr eben so wohl wegen Deiner als wegen meiner. Einige Umstände, die sich nach und nach so gegeben haben, lassen mich jezt noch gar nicht auf die Zurückreise denken, und ich muß Dich entbehren. Wäre der Umstand mit der Gesandtschaft nicht vorgefallen, so hätte ich in Dich gedrungen, mich hier zu besuchen und für das nöthige gesorgt. Es wäre nicht ohne Folgen für Dich gewesen, hier eine Zeit lang zu seyn; die Kosten hätten wenig betragen und für Deinen Fleiß wäre ich Bürge gewesen, auch für die Belohnung deßelben. Jezt fange ich an auf diese Hoffnung Verzicht zu thun.

In der That habe ich hier jezt eine recht schöne Existenz; voll Genuß, Arbeit und Hoffnung. Ich bin gesund und meine Laune ist klar und sich gleich. Meiner Verbindungen sind viele, viele sind mir gut, einige sind mir recht gut. Diß gibt dem Leben einen angenehmen Fluß. Meine Vereinigung mit Wieland ist jezt vollendet. Auf den Punkt, wo ich jezt mit ihm stehe, habe ich nie zu kommen vermuthet, und der Weg dahin, war doch wie Du gestehen wirst, sonderbar genug. (Aus meinem vorigen Brief an Körner hast Du schon den Anfang unserer Aussöhnung erfahren. Unterdeßen kamen Rheinholds aus Jena und diß zog mich öfters ins Wielandische Hauß.) Charlotte und ich brachten einen außerordentlich angenehmen Abend in der Familie zu und ich kann sagen daß mir die Familie ganz ungemein behagte. Drei erwachsene Töchter voll fröhlicher Laune und einer ganz poßierlichen Unschuld, eine seelengute Frau und Wielands lucianisch-socratischer Geist. Wie gesagt, Du solltest kommen und sehen. Wir beschloßen das Abendeßen mit Champagner und waren vergnügt wie Götter. Den folgenden Tag waren Wielands und ich beim Geheim. Assistenzrath Schmidt wo wir den ganzen Abend von Romanen und besonders von der Clarisse sprachen. Bei der Gelegenheit hört ich überaus viel gedachtes über diesen Roman. Auch Manon l’Escaut kam aufs Tapete und wurde von Wieland sehr gerühmt. Vorgestern bat ich Wieland zur Frau von Kalb, um ihm etwas aus meiner Niederländischen Rebellion vorzulesen. Ich muß Dir voraussagen, daß er nicht mehr unbefangen seyn konnte, weil er mir biß zur Leidenschaft attachiert worden ist. Er war von dem Ding hingerißen und behauptet, daß ich dazu gebohren sei, Geschichte zu schreiben. Er umarmte mich schwärmerisch und erklärte, daß ich keinen vor mir haben würde, in der Geschichte. Die Niederländische Rebellion müßte ich gleich ins Französische übersezen lassen, sie würde mir einen erstaunlichen Namen machen. Alles diß, wie ich dir versichern kann, kommt daher, weil dieser Aufsatz das eigentümliche hat, daß er schönen edeln Stil, Eselsfleiß, klare Auseinandersetzung und philosophische Darstellung verbindet, ohne daß etwas hervorragendes daraus zu erkennen wäre. Seine Freude über mich entdeckte sein ganzes Herz. Er habe mich sehr bald geliebt, aber er sei überhaupt schüchtern worden und habe sich vorgesetzt keinen Menschen mehr zu heurathen. Mit mir habe er sicher gehen wollen und sich eine Probe erlaubt. Hätte ich mir merken lassen, daß ich ihm nichts nachfrage, und dieser Anomalie in seinem Betragen nur Stolz entgegengesetzt, so würde er geschloßen haben, daß ich wie jeder andere sei und wir nicht zusammentaugen. Jezt möchte geschehen was wollte, es sei bei ihm eine unumstößliche Wahrheit, daß wir Freunde seien und auf ewig bleiben. Seine Bahn gehe zu Ende und die meinige fange an. Seine höchste Freude sei es nun, mich auslaufen zu sehen, mich zu begleiten, in meiner Existenz zu leben. Ich bin jezt wie ein Kind vom Hauße. Hat er zu schreiben wenn ich komme so gibt er mir ein Buch und ich lese. Seine Bibliothek ist mein. Ich sehe ihn alle Tage, ich lebe mit ihm und erfahre von ihm alles. Charlotten verehrt er innig, er wird auch oft zu ihr kommen; wir werden schöne Stunden haben. Wieland ist jung wenn er liebt.

Von Dalberg erhielt ich neulich auch einen Brief. Mercier ist jezt in Mannheim und hat sich die Räuber spielen lassen. Er will meine Stücke ins Französische übersetzen laßen und eine Vorrede dazu schreiben. Es wäre in der That prächtig, so etwas zu lesen. Das Buch soll heißen les oeuvres dramatiques de Msr. Schiller. Dalberg ist ganz entzückt von der Idee. Er will den Handlanger machen und die Stücke vorher wörtlich übersetzen und dann erst den französischen Uebersezter darüber laßen.

Eine Sache die Dir unglaublicher vorkommen wird ist, ich schreibe jetzt an der A. L. Zeitung und bin förmliches Mitglied. Vor 6 Wochen habe ich bei Bertuch ein Wort davon fallen laßen und vor 14 Tagen schickt man mir den Contract zum Untersiegeln und die Statuten. Gestern erhalte ich den ersten Transport von Recensendis. Es ist, wenn ich mehr mit Dir darüber spräche, eine nicht verwerfliche Speculation. Der Bogen wird mit 15 Thalern bezahlt, die Hauptsache ist daß ich dadurch angehalten bin, vieles zu lesen, weil um ein mittelmäßiges Buch zu recensieren, oft zwei gute gelesen werden müßen. Die Bücher werden mir geschickt und ich habe das Lesen umsonst. Eine nähere Connexion mit der A. L. Z. ist auch darum nicht zu verwerfen weil sie in der gelehrten Welt ein ansehnlicher Cörper ist und noch weit mehr werden wird. Zugleich ist es eine Arbeit für meine verlorene Stunden. Die Speculation mit dem t: Merkur wird ganz vortrefflich werden, sie soll meine ganze Existenz sicher stellen. Nächste Ostermeße erscheint das Avertissement. Wieland hat schon 1400 Subscribenten, wir können alsdann gewiß auf 2000 rechnen, denn der Preiß bleibt und der Werth mit dem Volumen nimmt sehr zu. Wieland überläßt mich alle neuen Vortheile, er will nicht mehr als er hat, und nimmt vielleicht noch weniger. Wenn wir 600 mehr bekommen, so habe ich 1000 Thaler reinen Profit.

Ich hätte Dir, Körnern und unsern lieben Weibern noch unendlich viel zu sagen aber schreiben läßt sichs nicht recht. Wollte Gott ich könnte zu euch fliegen oder euch hieherzaubern. Eins von beiden wird noch geschehen. Auch die Geselligkeit ist hier vermehrt. Ich habe noch einen Freitags Clubb gestiftet zwischen lauter ledigen. Zum Unglück muß sich Riedel, der auch dabei ist, wegen des Printzen etwas in Acht nehmen, sonst wollten wir der Weimarischen Welt über uns ganz erstaunlich zu reden geben. Gestern habe ich im Mittwochs clubb einen vergnügten Abend gehabt, bei dem gewöhnlichen Whist. Bode spielte mit und gewann mir alle Parthieen ab. Ich hatte meinen Zimmerschlüßel eingeschloßen und mußte weil ich spät in der Nacht nach Hause kam, im Erbprinzen schlafen.

Nächster Tage werde ich Herdern wieder sehen. Es ist schlimm, daß sich eine genaue Freundschaft mit H. und W. zugleich nicht wohl vereinigen läßt. Herder hat ungemein viel Anziehendes. Er ist eine wahre Sirene eben so bezaubernd und eben so gefährlich. Jezt ist auch der Verfaßer des Moriz, Herr Schultz, in Weimar und wird den Winter hier zubringen. Wieland hat mir ihn empfohlen und mich zugleich vor ihm gewarnt. Es ist ein Mensch von Kopf, satirischem Beobachtungsgeist und vieler Laune. Im Umgang recht gut, auch für mich, vorzüglich zum sch – eln. Dieser Schulz schreibt sich jährlich 1000 Thaler zusammen, den Bogen zu 3 und 4 Thaler gerechnet. Er arbeitet mit der Scheere. Eine schwere Versündigung an seinem wirklich entschiedenem Talent.

Noch eins. Wenn Du ein Buch von Heinse, das sich Ardinghello nennt noch nicht gelesen hast, so lies es und laß es lesen. Hier ist es ganz erstaunlich in Circle gerathen. Du wirst ihm bald anriechen, warum? Die Damen, von den Herzoginnen herunter vergöttern es.

Ich muß abbrechen. Charlotte läßt mich hohlen, sie hat Besuch bekommen. Lebe wohl! Grüße mir alle und schreibe bald und viel. Dein

Schiller.