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Schiller an Ferdinand Huber, 30. September 1790

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Jena den 30. Septbr. [Donnerstag] 90.

Wir wären also wieder in Ordnung, und alles ist wieder in seinem alten Geleise. Geschmollt haben wir ja auch zuweilen in Herrn Fleischmanns Hause, dießmal dauerte es nur länger, weil Mainz und Jena weiter von einander liegen als unsre zwey grüne Zimmer. Ich denke mir allerdings, wie manches sich seitdem mit Dir und mir mag verändert haben, der Geist hat hoffentlich bey keinem von uns beiden geruht, und das sind immer wichtigere Veränderungen, als welche uns von außen widerfahren. Der feste Kern aber blieb, wie ich sehe, bey einem jeden von uns wie er war, und es wird mir gar leicht, auch meine gegenwärtige Gedankengestalt auf die Deinige über zu tragen. Eben rechne ich nach, daß es nun drey Jahre sind seit unsrer Trennung, und diese 3 Jahre sind durch die vielfältigen Schicksale, welche über uns beide seitdem ergangen sind, zu sechs Jahren ausgedehnt worden. Für mich war die Nothwendigkeit einer bestimmten Beschäftigung und einer gewißen Vermehrung meiner lecture eine gewaltige Revolution, nicht geringer in meinem Ideenleben als diejenige welche in meinem häußlichen vorgegangen ist. Im ganzen ist mir unendlich beßer als es mir jemals war, und gerade so wohl, als es ohne eine völlige Freiheit im Gebrauch meiner Kräfte, ohne vollkommene Unabhängigkeit des Geistes seyn kann. Diese lezte erwarte ich von eben dem Umstand, den Du in Deinem heutigen Briefe vor Augen hattest. Alsdann habe ich nichts mehr zu wüschen. Du weißt nun, an welchem Faden meine Hofnung hängt, und du erfährst es früher als ich, wenn sie erfüllt ist oder sich ihrer Erfüllung nähert.

Was mich zuletzt beschäftigte, hast Du vermuthlich wohl schon in gelehrten Zeitungen gelesen. Gottlob diese Arbeit ist seit 4 Wochen zu Ende, nachdem sie mich vier ganze Monate sehr mühselig beschäftigt hatte. Du weißt noch von alten Zeiten, wie gern ich biß auf den letzten Augenblick aufschiebe. So ergieng es mir auch bey diesem Kalender. Ich sollte im May den Druck anfangen laßen, und ich hatte noch den ersten Bogen zu schrieben und das erste Buch darüber nachzulesen. Indeßen muß ich mir zu meiner Gesundheit Glück wünschen, die bey so überhäufter Arbeit nichts gelitten hat. Nebenher habe ich diesen Sommer an einer Theorie des Trauerspiels geschrieben, wovon Du im zwölften Heft der Thalia etwas lesen wirst. Ich wollte diese Theorie bloß allein aus eignen Erfahrungen und Vernunftschlüßen entwickeln, ohne einen Führer dabey zu gebrauchen. Dieß hab ich auch wirklich gehalten, so weit ich kam, obgleich die wenige Zeit, die ich darauf wenden konnte, und die wenige Verbindung dieses Geschäfts mit meinen übrigen, mich keine große Fortschritte darinn thun ließ. Diesen Winter wird mich außer der Thalia und einem sehr viele Zeit kostenden Collegium über die Europäische Staatengeschichte, welches ich gerne für immer ausarbeiten möchte, eine Geschichte der französ. Ligue und eine Geschichte der Kreutzzüge, beides für meine Sammlung von Memoires beschäftigen. Auf den Sommer die Fortsetzung des 30jährigen Krieges.

Ich weiß eigentlich nicht, warum ich Dir über das heimliche Gericht nicht mein Urtheil gesagt habe. Wars vielleicht deßwegen, weil zwischen uns nicht alles war, wie es seyn sollte, und ich nicht gerne tadeln wollte, solange Du diesen Tadel mit unserm Verhältniß vermengen konntest? Ich habe diesen Sommer über das Wesen des Trauerspiels schärfer nachgedacht und meine Foderungen sind deßwegen strenger geworden. Als Trauerspiel kann ich es nicht gelten laßen; schon in der Wahl des Sujets ligt ein Fehler, der durch die vortreflichste Behandlung nicht gut gemacht werden konnte. Aber mit einer klärern Darlegung des Stoffes, mit einer überhaupt weniger gesuchten Sprache, mit bestimmterer Behandlung der Charaktere und mit mehr Handlung hätte sich dieser erste Fehler in der Wahl des Stoffes vielleicht verstecken oder doch weniger fühlbar machen laßen. Die Nothwendigkeit, in die Du gesetzt warst, Dich über schlechterdings philosophische und ganz undramatische Materien, über bloße Gegenstände des Raisonnement zu verbreiten machte zuweilen viel Worte nöthig; aber diese Fluthen von Worten, dieser durch das ganze Stück herrschende wortreiche Ton würde Dir nicht bloß in einem Trauerspiel, wo er durchaus nicht hingehört, sondern selbst in andern poetischen Formen nicht gestattet werden. Dazu kommt, daß an sich dunkle Materien es durch eine dunkle und schwankende Bildersprache noch mehr werden. In den Charakteren sind willkührliche unvorbereitete Übergänge, wie z. B. in Deiner Mathilde; Conrad von Sontheim hört auf zu intereßiren und man muß in Deinem Urtheil über ihn irre werden. Das Stück endigt nicht intereßant genug. Ich kann nicht ins Detail gehen, denn ich habe das Stück ausgeliehen. Aber im Ganzen glaube ich, habe ich soviel gesagt, daß Dein Ton nicht dramatisch ist, daß Deine Sprache überhaupt lichtvoller, simpler auch fließender werden muß – daß man übrigens aus diesem Stücke (dessen Stoff an sich selbst schon jedem dramat. Dichter unübersteigliche Hinderniße in den Weg legte) noch kein Urtheil fällen kann, ob Du eine dramatische Handlung gut zu führen weißt. Wenn Du über das heimliche Gericht Menschen von Kopf vortheilhaft urtheilen hörst, wie ich selbst von sehr vielen gehört habe, so wünschte ich, daß Dich dieses in Deinem Selbsturtheile nicht irre machte, und die richtige Schätzung Deines Produkts bey Dir nicht verzögerte. Es ist reich an philosophischen Gedanken, die sehr oft überraschend stark und mahlerisch schön gesagt sind, es enthält rührende Situationen, die ein wahres und tiefes Gefühl geschildert hat, viele Stellen geben der Seele einen Schwung und der denkende Kopf wird intereßirt, den Gang gewißer Ideen zu verfolgen. Vielleicht wirst Du, wenn sich die erste Liebe einmal von diesem Produkt einer langen Beschäftigung losgerißen hat, das meiste aus meinem Urtheil nicht ungegründet finden. Recensiren darf ich es nicht, denn man weiß hier unser Verhältniß, und dieses schließt aus.

Lebe wohl und schreibe mir bald wieder. Ich reise in 8 Tagen nach Rudolstadt und schreibe Dir von da aus vielleicht einige Worte. Meine Frau freut sich schon längst auf Deine Bekanntschaft, und es braucht bloß diese, so wird sie Deinem Herzen theuer seyn und sie wird Dich gewiß mit herzlicher Freundschaft umfaßen. Sie so gut und schicke die Einlage an Dalberg.

Dein S.