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Schiller an Wilhelm Reinwald, 5. Mai 1784

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Mannheim den 5. Mai 84.

Bester Freund!

Mit peinigender Beschämung ergreife ich die Feder, nicht um mein langes Stillschweigen zu entschuldigen – kann wohl ein Vorwand in der Welt ihre gerechten Ansprüche auf mein Andenken überwiegen? – nein mein Theuerster, um Ihnen diese Undankbarkeit von Herzen abzubitten, und Ihnen wenigstens mit der Aufrichtigkeit, die Sie einst an mir schäzten, zu gestehen, daß ich mich durch nichts als meine Nachlässigkeit rechtfertigen kann. Was hilft es Ihnen, wenn ich auch zu meiner Verantwortung anführe, daß ich Aussichten hatte, Sie diesen Frühling selbst wieder zu sehen, daß ich die tausend Dinge, die ich für Sie auf dem Herzen habe, mündlich zu überbringen hoffte –

Dieser Traum ist verflogen, wir sehen uns nunmehr so bald nicht, und nichts als Ihre Freundschaft und Liebe wird mein großes Versehen entschuldigen. Glauben Sie wenigstens, daß Ihr Freund noch der Vorige ist, daß noch kein Anderer Ihren Plaz in meinem Herzen besezt hat, und daß Sie mir oft, sehr oft gegenwärtig waren, wenn ich von den Zerstreuungen meines hiesigen Lebens in stilles Nachdenken überging. – Und jezt will ich auch auf immer einen Artikel abbrechen, wobei ich von Herzen erröthen muß.

Wie haben Sie gelebt, mein Theurer? Wie steht es mit Ihrem Gemüth, Ihrer Gesundheit, Ihren cirkeln, Ihren Aussichten in bessere Zukunft? – Ist noch kein Schritt zu einer solidern Versorgung geschehen? Müssen Sie sich noch immer mit den Verdrießlichkeiten eines armseligen Dienstes herumstreiten? – Hat auch Ihr Herz noch keinen Gegenstand gefunden, der Ihnen Glükseligkeit gewährte? –

Wie sehr verdienen Sie alle Seligkeiten des Lebens, und wie viele kennen Sie noch nicht! – Auch um einen Freund mußte ich Sie betrügen! Doch nein! Sie haben ihn niemals verloren, und werden ihn auch niemals verlieren.

Vielleicht wünschen Sie mit meiner Lage bekannt zu seyn. Was sich in einem Briefe sagen läßt, sollen Sie erfahren. –

Noch bin ich hier, und nur auf mich kommt es an, ob ich nach Verfluß meines Jahres, nämlich am 1. September, meinen Contract verlängern will oder nicht. Man rechnet aber indeß schon ganz darauf, daß ich hier bleiben werde, und meine gegenwärtigen Umstände zwingen mich beinahe auf längere Zeit zu contrahiren, als ich vielleicht sonst würde gethan haben. Das Theater hat mir für dieses Jahr in Allem 500 fl. fixum gegeben, wobei ich aber die jedesmalige Einnahme einer Vorstellung meiner Stüke Verzicht thun mußte. Mein Stüke bleiben mir frei zu verkaufen. Aber Sie glauben nicht, mein Bester, wie wenig Geld 600-800 fl. in Mannheim, und vorzüglich im theatralischen Cirkel ist – wie wenig Segen, möchte ich sagen, in diesem Gelde ist – welche Summen nur auf Kleidung, Wohnung, und gewisse Ehrenausgaben gehen, welche ich in meiner Lage nicht ganz vermeiden kann. Gott weiß, ich habe mein Leben hier nicht genossen, und noch einmal so viel als an jedem andern Orte verschwendet. Allein und getrennt! – Ungeachtet meiner vielen Bekanntschaften, dennoch einsam und ohne Führung, muß ich mich durch meine Oekonomie hindurchkämpfen, zum Unglük mit allem versehen, was zu unnöthigen Verschwendungen reizen kann. Tausend kleine Bekümmernisse, Sorgen, Entwürfe, die mir ohne Aufhören vorschweben, zerstreuen meinen Geist, zerstreuen alle dichterischen Träume, und legen Blei an jeden Flug der Begeisterung. Hätte ich jemand, der mir diesen Theil der Unruhe abnähme, und mit warmer, herzlicher Theilnehmung sich um mich beschäftigte, ganz könnte ich wiederum Mensch und Dichter seyn, ganz der Freundschaft und den Musen leben. Jezt bin ich auch auf dem Wege dazu.

Den ganzen Winter hindurch verließ mich das kalte Fieber nicht ganz. Durch Diät und China zwang ich zwar jeden neuen Anfall, aber die schlimme hiesige Luft, worin ich noch Neuling war, und meine von Gram gedrükte Seele machten ihn bald wiederkommen. Bester Freund! ich bin hier noch nicht glüklich gewesen, und fast verzweifle ich, ob ich je in der Welt wieder darauf Anspruch machen kann. Halten Sie es für kein leeres Geschwäz, wenn ich gestehe, daß mein Aufenthalt in Bauerbach bis jezt mein seligster gewesen, der vielleicht nie wieder kommen wird.

Vorige Woche war ich zu Frankfurt, Grosmann zu besuchen, und einige Stücke da spielen zu sehen, worin zwei Mannheimer Schauspieler, Beil und Iffland Gastrollen spielten. Grosmann bewirthete mich unter andern auch mit Cabale und Liebe (Nicht wahr, jezt zürnen Sie wieder, daß ich noch den Muth habe, dieses Stük vor Ihnen zu nennen, da ich Ihnen auch nicht einmal ein Exemplar davon geschikt. Werden sie mir vergeben, wenn ich Ihnen sage, daß nicht nur dieses Stük, sondern auch die beiden andern für Sie schon zurükgelegt waren, daß ich fest entschlossen war, sie Ihnen selbst nach der hiesigen Vorstellung zu bringen, wovon mich eine traurige Nothwendigkeit abhielt, und daß ich das aufgegeben habe, als ich bei Schwan erfuhr, Sie hätten das Stük schon kommen lassen?). Hier zu Mannheim wurde es mit aller Vollkommenheit, deren die Schauspieler fähig waren, unter lautem Beifall und den heftigsten Bewegungen der Zuschauer gegeben.

Sie hätte ich dabei gewünscht, – den Fiesco verstand das Publicum nicht. Republicanische Freiheit ist hier zu Land ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name – in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut. Aber zu Berlin wurde es 14mal innerhalb drei Wochen gefordert und gespielt. Auch zu Frankfurt fand man Geschmak daran. Die Mannheimer sagen, das Stük wäre viel zu gelehrt für sie.

Eine vortreffliche Frau habe ich zu Frankfurt kennen lernen – sie ist Ihre Freundin – die Madame Albrecht. Gleich in den ersten Stunden ketteten wir uns fest und innig aneinander; unsre Seelen verstanden sich. Ich freue mich und bin stolz, daß sie mich liebt, und daß meine Bekanntschaft sie vielleicht glüklich machen kann. Ein Herz ganz zur Theilnahme geschaffen, über den Kleinigkeitsgeist der gewöhnlichen Cirkel erhaben, voll edlen, reinen Gefühls für Wahrheit und Tugend, und selbst da noch verehrungswerth, wo man ihr Geschlecht sonst nicht findet. Ich verspreche mir göttliche Tage in ihrer nähern Gesellschaft. Auch ist sie eine gefühlvolle Dichterin! Nur, mein Bester, schreiben Sie ihr, über ihre Lieblingsidee zu siegen, und vom Theater zu gehen. Sie hat sehr gute Anlagen zur Schauspielerin, das ist wahr, aber sie wird solche bei keiner solchen Truppe ausbilden, sie wird mit Gefahr ihres Herzens, ihres schönen und einzigen Herzens, auf dieser Bahn nicht einmal große Schritte thun – und thäte sie diese auch, schreiben Sie ihr, daß der größte theatralische Ruhm, der Name einer Clairon und Yates mit ihrem Herzen zu theuer bezahlt seyn würde. Mir zu Gefallen, mein Theuerster, schreiben Sie ihr das mit allem Nachdruk, mit allem männlichen Ernst. Ich habe es schon gethan, und unsere vereinigten Bitten retten der Menschheit vielleicht eine schöne Seele, wenn wir sie auch um eine große Actrice bestehlen.

Von Ihnen, mein Liebster, wurde Langes und Breites gesprochen. Madame Albrecht und ich waren unerschöpflich in der Bewunderung Ihres Geistes und Ihres mir noch schäzbareren Herzens. Könnten wir uns in einen Cirkel von mehreren Menschen dieser Art vereinigen, und in diesem engern Kreise der Philosophie und dem Genusse der schönen Natur leben, welche göttliche Idee! – Auch der Doctor ist ein lieber, schäzbarer Freund von mir. Sein ganzes Wesen erinnerte mich an Sie, und wie theuer ist mir Alles, wie bald hat es meine Liebe weg, was mich an Sie erinnert.

Noch immer trage ich mich mit dem Lieblingsgedanken, zurükgezogen von der großen Welt, in philosophischer Stille mir selbst, meinen Freunden und einer glüklichen Weisheit zu leben, und wer weiß ob das Schicksal, das mich bisher unbarmherzig genug herumwarf, mir nicht auf einmal eine solche Seligkeit gewähren wird. In dem lärmendsten Gewühl, mitten unter den Berauschungen des Lebens, die man sonst Glükseligkeit zu nennen pflegt, waren mir doch immer jene Augenblike die süßesten, wo ich in mein stiles Selbst zurükkehrte, und in dem heitern Gefilde meiner schwärmerischen Träume herumwandelte, und hie und da eine Blume pflükte. – Meine Bedürfnisse in der großen Welt sind vielfach und unerschöpflich, wie mein Ehrgeiz, aber wie sehr schrumpft dieser neben meiner Leidenschaft zur stillern Freude zusammen.

Es kann geschehen, daß ich zur Aufnahme des hiesigen Theaters ein periodisches, dramaturgisches Werk unternehme, worin alle Aufsäze, welche mittelbar oder unmittelbar an das Geschlecht des Drama’s oder an die Kritik desselben Gränzen, Plaz haben sollen. Wollen Sie, mein Bester, einiges in diesem Fach ausarbeiten, so werden Sie sich nicht nur ein Verdienst um mich erwerben, sondern auch alle Vortheile für Ihre Börse davon ziehen, die man Ihnen verschaffen kann, denn vielleicht verlegt und bezahlt die kurfürstliche Theatercasse das Buch. Schreiben Sie mir Ihre Entschließung darüber. Daß ich Mitglied der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft und also jezt pfälz’scher Unterthan bin, wissen Sie ohne Zweifel.

Den Einschluß überschiken (oder überbringen) Sie an Frau von Wolzogen, und fahren Sie fort, Ihren Freund zu lieben, der unter allen Verhältnissen des Lebens ewig der Ihrige bleiben wird

Frid. Schiller.