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Schiller an Friedrich Zelter, 16. Juli 1804

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Weimar den 16. Jul. [Montag] 1804.

Daß ich Ihnen so spät von mir Nachricht gebe, lieber Freund, nachdem wir so vergnügte Stunden in Berlin zusammen gelebt haben, ist nicht aus Nachläßigkeit geschehen. Ich erwartete mit jedem Posttag, Ihnen zugleich etwas Bestimmtes über die Angelegenheit schreiben zu können, die Sie wissen und bei der Sie, wie ich hoffen darf, freundschaftlich interessirt sind. Noch aber ist nichts entschieden, und ich weiß also nicht zu sagen, ob man auf meine Bedingungen eingehen wird. Für jetzt also nichts von meinen Angelegenheiten, sondern von den Ihrigen.

Ihren Aufsatz den Sie an Goethe geschickt, habe ich mit einer rechten Freude gelesen. Er ist aus dem Innersten herausgeschrieben, und dieses Gepräge trägt er in jeder Zeile. Aber eben weil er den kranken Theil so gut trifft, und der Kunstpfuscherey so offen und ehrlich den Krieg ankündigt, so möchte er, so wie er ist, nicht ganz dazu geeignet seyn, die Gunst derjenigen zu gewinnen, die doch zur Ausführung die Hände bieten sollen. Was Ihnen Goethe über diesen Punct schreibt, ist auch meine Ueberzeugung; Sie werden Ihre herrlichsten Argumente in petto behalten und auf diejenigen ein Gewicht legen müssen, die von dem politischen Zeitbedürfniß hergenommen sind.

Mir scheint es ein überaus glücklicher Umstand, daß das Interesse der Kunst diesmal einem solchen äußern Bedürfniß begegnet, und wenn man es anders nicht in der Form versieht, so müßte es, denke ich, gar nicht fehlschlagen können, die Regierer des Staats für Ihren Vorschlag zu interssieren. Es wird alles darauf ankommen, wie die Sache gestellt wird. Daß es hohe Zeit ist, etwas für die Kunst zu thun, fühlen wenige, aber daß es mit der Religion so nicht bleiben kann, wie es ist, läßt sich allen begreiflich machen. Und da man sich schämt selbst Religion zu haben und für aufgeklärt passiren will; so muß man sehr froh seyn, der Religion von der Kunst aus zu Hülfe kommen zu können.

Die ganze Sache würde daher gleich ein besseres Ansehen bekommen, wenn die erste Anregung von der kirchlichen und politischen Seite her käme, wenn man von dort her erst auf die Singakademie, als auf ein fertigliegendes Organ hinwiese und dann erst Ihre Vorschläge verlangte. Es müßte Ihnen nicht schwer fallen, einen oder den andern Ihrer Theologen und Academiker dazu zu veranlassen. Berlin hat in den dunkeln Zeiten des Aberglaubens zuerst die Fackel einer vernünftigen Religionsfreiheit angezündet; dies war damals ein Ruhm und ein Bedürfniß. Jetzt, in Zeiten des Unglaubens, ist ein anderer Ruhm zu erlangen, ohne den ersten einzubüßen, es gebe nun auch die Wärme zu dem Lichte und veredle den Protestantismus, dessen Metropole es einmal zu seyn bestimmt ist.

Ich wünschte nur auf sechs Wochen ein Berlinischer Akademiker zu seyn, um einen Beruf zu haben mich über diese Sache vernehmen zu lassen, aber es fehlt ja dazu nicht an Leuten, und sollte nicht z.B. Schleiermacher der Mann dazu sein?

Es ist jetzt eben der rechte Zeitmoment zu einer solchen Unternehmung in den Brandenburgischen Landen. Man will die Academie, man will die Universitäten in Aufnahme bringen, es soll etwas für das Geistige, für das Sittliche geschehen; ja der Geist der Zeit verlangt es, da sich der Catholicism in Frankreich neu constituiret, daß auch im protestantischen an die Religion gedacht werde, und selbst die Philosophie nahm diese Richtung. Alles dieses und ähnliche Argumente könnten den Stoff zu einer Deduction hergeben, durch welche man diese Sache dem Staat nahe legte. Nur, ich wiederhole es noch einmal, müßte der Vortheil welcher der musicalischen Seite dadurch zuwächst, nicht als Hauptsache, nur als ein Accessorium erscheinen.

Lassen Sie uns bald hören, theurer Freund, ob Sie die Sache von dieser Seite angreifen zu können glauben und wessen Sie Sich dabei bedienen mögen. Kann ich selbst auf irgend eine Art dabei zu brauchen seyn, so zählen Sie auf meine Bereitwilligkeit.

Meine Frau hat vor acht Tagen an die Ihrige geschrieben. Wir gehen in drei Tagen nach Jena und bleiben dort bis meine Frau die Wochen überstanden hat. Sagen Sie mir etwas von der Vorstellung des Tell in Berlin, von der ich aus Zeitungen höre, daß sie ziemlich gut gegangen. Ihre Melodien zu den neuesten Liedern erwarten wir mit Verlangen, hier sende noch etwas der schweizerischen Welt.

Von ganzem Herzen umarmt Sie

Ihr treu ergebener
Schiller.