Weimar den 18. Aug. [Sonnabend] 1787.
Seit meinem lezten Briefe habe ich hier wenig merkwürdiges erlebt. Ich brachte diese Zeit sehr eingezogen zu, und wenn ich sagte: angenehm, so müßte ich euch belügen. Wieland ist noch in Eisenach bei dem bekannten Herzog Ludwig von B. der dort krank ligt. Diese ganze Reise macht ihm in meinen und in noch anderen Augen wenig Ehre. Einem höchst unwichtigen Fürsten damit zu gefallen, kann er acht heillose Tage leben. Seine Tochter, die Prof. Reinhold, ist diese Woche hier, und ich habe bei Charlotten ihre Bekanntschaft gemacht. Ein gutmüthiges und ziemlich redseliges Geschöpf, das sehr natürlich seyn kann und mir nicht mißfällt. Es ist noch neu in Jena, und da hat es ganz erstaunlich viel Weiberchronik zu erzählen. Es liebt seinen Mann und freut sich, ihm Werth zu geben. Charlotten ist die Reinhold äußerst zugethan, und würde vielleicht, wenn es sonst auf sie ankäme, ihre meiste Zeit bei ihr zubringen. Kommenden Dienstag bringen wir sie, Charlotte und ich, nach Jena zurück, wo ich vielleicht 2 oder 3 Tage bleibe und bei Reinholds wohne. Ich möchte gern seine Bekanntschaft machen und er die meinige. Auch Schütz wünscht es – oder hat es vielmehr gewünscht, denn gegenwärtig ligt er gefährlich krank, daß man schon für sein Leben fürchtete. Auch ein gewisser Hufland wird mir dort sehr gerühmt. Diese 3 Menschen will ich kennen lernen, und Dir also in acht Tagen das Weitere davon schreiben.
Herder ist auch bedeutend krank. Ein Vomitiv, zur Unzeit vermuthlich genommen, soll ihm heftige Zufälle gegeben haben. Ich habe mich nur bei ihm aufgeschrieben, ihn aber nicht selbst gesehen, welches vielleicht morgen geschieht. Wie wenig ist Weimar, da der Herzog, Goethe, Wieland und Herder ihm fehlen! Dieser Tage habe ich mir von Krausen die hiesige Zeichnungsacademie zeigen lassen, wo ich gegen 30 junge Frauenzimmer, viele von Stande, und alle wenigstens von den besten Bürgerlichen, beschäftigt fand. Einige, selbst von den kleinsten, zeichnen schon recht – drollig. Viele nach Antiken, davon einige gute Abgüsse hier aufgestellt sind. Ich fand hier auch einen Herrn Clauer, der hier durch seine Büsten merkwürdig ist; denn von ihm sind Göthens, Herders, Wielands Büsten geformt. Die hiesige Bibliothec ist ansehnlich und in musterhafter Ordnung erhalten. Hier ist ein Realcataloge, daß jedes Buch in seinem Fache in wenigen Minuten zu finden ist. Die Geschichte und die Classischen Autoren sind vortreflich besetzt. In Jena existieren drei Weimarsche Bibliothecen, aus welchen der Herzog beschlossen hat, ein allgemeines Register machen und vielleicht herausgeben zu lassen. Die Humaniora würden dann aus allen 4 hieher und die Facultätsbücher nach Jena verlegt. Man ist sehr gefällig einem Bücher nach Hause verabfolgen zu lassen. Ich habe gegenwärtig ein Buch daraus genommen, das Du in 100 Jahren nicht errathen würdest – Locken. Ich habe eine französische Uebersetzung, die von Locke selbst durchgesehen und empfohlen ist. Von der Bibliothec werde ich wenig Gebrauch machen können, denn in 10 oder 12 Tagen reise ich zu meiner Schwester nach Meiningen. Mein Herz zieht mich dahin und ich muß Ihren Wunsch erfüllen. Von dieser Reise erwarte ich neue kostbare Empfindungen – Gefühle meiner Kindheit und frühen Jugend – auch heilige Pilgrims Gefühle durch die Ideen die diesem Orte von meinem ehemaligen stillen Auffenthalt angeheftet sind. Ich werd Dir gewiß etwas Interessantes für mein Herz davon zu erzählen haben.
Herr von Kalb hat mir geschrieben. Er kommt zu Ende Septembers, seine Ankunft wird das weitere mit mir bestimmen. Seine Freundschaft für mich ist unverändert, welches zu bewundern ist, da er seine Frau liebt und mein Verhältniß mit ihr nothwendig durchsehen muß. Aber seine Billigkeit und seine Stärke dürfte vielleicht durch Einmischung fremder Menschen und eine dienstfertige Ohrenbläserei auf eine große Probe gestellt werden wenn er kommt. Ich verstehe nämlich nur in Beziehung auf die Meinung der Welt, denn der Glaube an seine Frau wird nie bei ihm wanken. Herr v Kalb kann nach dem Tode des Kurfürsten von der Pfalz der Zweite in der Armee und eine sehr wichtige Person werden, ohne daß er seine französischen Dienste dabei aufzugeben hat, wo er in 8 biß 10 Jahren Brigadier seyn muß. Er ist Liebling des Herzogs von Zweibrücken, bei den Damen äuserst empfohlen und der Königin von Frankreich bekannt, welche sich gewundert hat, daß er sich nicht schon in Paris gemeldet. Alles das wundert mich nicht – aber es freut mich, daß er alles diß erreicht hat, und doch der wahre herzlich gute Mensch bleiben durfte, der er ist.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir eine Anecdote ein, die mir neulich vom Grafen v. Schall in Dresden erzählt worden. Sein Vater war ein reicher Geitzhals, der ihn sehr hart und kurz gehalten, wie er noch ein Junge war. Auf der Universität sollte er mit 500 Thalern ausreichen; der Vater schickte ihm seine abgetragenen Röcke, worauf man noch die Fußtapfen des Sterns sah, der darauf gestickt gewesen. Der kleine Schall hielt das nicht länger aus, sondern gieng nach Holland, wo er sich als ein gemeiner Matrose bei einem Levantefahrer verdingte. Er machte einige große Seereisen und ist selbst nach Egypten gekommen. Alsdann erschien er wieder in Mannheim, nahm 120000 Gulden nach und nach bei Wucherern auf, wovor er 300000 verschreiben mußte. In der Woche, worin sein Vater starb, wurden diese auf einem Brette bezahlt. Sein Vater hatte 900000 im Vermögen, und wie man sagt, kann der Sohn noch zu 2 Millionen reich werden. Tausend Sackerment! Bücke Dich tief vor ihm, wenn Du ihm begegnest! Er war in Egypten!
Bertuchen habe ich kürzlich besucht. Er wohnt vor dem Thore und hat ohnstreitig in ganz Weimar das schönste Haus. Es ist mit Geschmack gebaut und recht vortreflich moeublirt, hat zugleich, weil es doch eigentlich nur ein Landhaus seyn soll, einen recht geschmackvollen Anstrich von Ländlichkeit. Nebenan ist ein Garten, nicht viel größer als der Japanische, der unter 75 Pächter vertheilt ist, welche 1-2 Thaler jährlich für ihr Pläzchen erlegen. Die Idee ist recht artig, und das ökonomische ist auch dabei nicht vergessen. Auf diese Art ist ein ewiges Gewimmel arbeitender Menschen zu sehen, welches einen fröhlichen Anblick gibt. Besäße es einer, so wäre der Garten oft leer. An dem Ende des Gartens ist eine Anlage zum Vergnügen, die Bertuchs Geschmack wirklich Ehre macht. Durch ein wildes buschreiches Wäldchen, das vielleicht nicht größer als der Raum ist, den das Japanische Palais einnimmt, ist ein Spazierweg angelegt, der 8 biß 10 Minuten dauert, weil er sich in Labyrinthen um sich herumschlingt. Man wird wirklich getäuscht, als ob man in einer weitläufigen Parthie wäre, und einige gut gewählte Anlagen und Abwechselungen machen diesen Schattengang äuserst angenehm. Eine Grotte, die ihm zufälligerweise das Gewölb einer Brücke über einen jezt vertrockneten Bach dargeboten hat, ist sehr benutzt. Hier hat er einen großen Theil seines D. Quixote dictiert. Die Bertuchs müssen in der Welt doch überall Glück haben. Dieser Garten, gestand er mir selbst, verinteressiert sich ihm zu 6 pro Cent und dabei hat er das reine Vergnügen umsonst! Wie hoch mußt Du dieses anschlagen!
Vor einigen Tagen ward ich mit Charlotten zu einem Concert bei der Herzogin eingeladen. Die Musik war den Widerwillen aber werth, den ich hatte, hinzugehen. Der Clavierspieler Häsler aus Erfurt, von dem ich Dir, glaube ich, schrieb, spielte meisterhaft. Er componiert selbst sehr gut. Der Mensch hat viel originelles und überaus viel Feuer. Heute war er bei mir. Ich habe ihm durch einige Anschläge die ich ihm gab, den Kopf heiß gemacht. Bei der Herzogin lernt ich den Geheimen Assistenzrath Schmidt, den Vater der so berühmten Mamsell, kennen. Ein wohlwißender, gezierter und doch dabei altfränkischer Patron im Geschmack und Urtheil. Weil ich erfahren hatte, daß sein Fürwiz sich sehr um mich bekümmert hatte, so habe ich mich mit Absicht an ihn gemacht und ihm gesagt, was ich wollte, daß er glauben und nachsagen sollte. Den Capellmeister Wolf bewunderte ich auf dem Klavier; er spielte mit Häslern eine Fuge, wie sies nennen, zu 4 Händen, beide machten es vortreflich. Wie krumm doch die Menschen gehen! Die Herzogin rief mich zu sich und bedauerte, daß ich neulich nicht wohl gewesen wäre, da die Operette gegeben worden. Ich sollte sie das nächstemal (diß wäre übermorgen) nachholen. Charlotte, um mein neuliches Wegbleiben zu entschuldigen, hatte ohne meinen Willen diese Ursache angegeben. Da ich aber übermorgen nach Jena gehe und der Tag zur Operette mir nicht bestimmt genannt worden ist, so bin ich damit verschont. Die Herzogin macht sich hier durch ein Attachement lächerlich, das sie für einen jämmerlichen Hund, einen Sänger hat, der bei Bellomo gewesen, und nun in ihren Diensten ist. Er soll nach Italien reisen und man sagt ihr nach, dass sie ihn begleiten werde. Die regierende Herzogin ist hier, ich habe mich aber noch nicht vorstellen lassen, weil es mit erstaunlichen Ceremonien verbunden ist, und weil ich mich auch nicht mehr lange hier aufhalte. Es geschieht also vielleicht gar nicht, es sei denn, daß sie nach mir fragte. Ich hatte mich anfangs darauf gefreut, aber nun erfahre ich genauer, daß ich sie gar nicht allein, sondern nur in einem steifen großen Zirkel sprechen dürfte, wohin ich schlechterdings nicht tauge. Charlotte hat mir schon oft falsche Nachrichten gegeben.
Angenehm wird es Dir seyn, zu hören, daß ich arbeite, ja endlich habe ichs über mich gewonnen, aber nicht den Geisterseher, sondern die Niederländische Rebellion. Ich bin voll von meiner Materie und arbeite mit Lust. Es ist gleichsam mein Debut in der Geschichte und ich habe Hoffnung, etwas recht lesbares zu Stande zu bringen. Doch darüber ein andermal.
Morgen erwarte ich ein Paquet Briefe von euch, und gelegentlich auch Geld oder Nachricht von Geld. Hat Koch geschickt? Wenn das nicht ist so muß ich Dich bitten, mir zu verschaffen. Das meinige ist auf 5 Laubthaler herabgeschmolzen. Von Theatern erwarte ich immer noch Nachrichten. Schicke mir wenn Du kannst, von dem Deinigen weil ich nicht Zinsen und Zinsen bezahlen mag; schickt Koch, so kannst Du es gleich davon abziehen und den Rest biß auf die Messe in Verwahrung behalten. Ich brauche zwischen 6 und 8 Louisdors. Schickt Koch im September nicht, so lasse ich mir von Crusius avancieren, sobald ich ihm Manuscript senden kann. Aber sei so gut und besorge daß ich das Geld vor Morgen (das ist Montag) über 8 Tage haben kann. Von hier gehen die Woche nur 2 Posten nach Leipzig, Montag und Donnerstag. An diesen Tagen kommen auch die Leipziger an. Die Montagsbriefe bringt eine fahrende, also müßte kommenden Freitag das Geld in Dresden auf die Post kommen.
Vor einigen Tagen erhalte ich auch einen Brief von einem Buchhändler oder was er ist aus Göttingen, der mir den Vorschlag thut, daß ich ihm, in Compagnie mit Meißnern, ein Journal schreiben möchte. Er bietet uns für den Bogen 15 Thaler, alle Monate müßte jeder 3 Bogen liefern. Vor jedes Heft sollen 2 Kupfer von Meil und was weiß ich von wem noch mehr? kommen. Was hältst Du davon. 45 Thaler monatlich wäre nicht zu verachten, wenn – der Mann nennt sich Siedentopf. Kennst Du ihn etwa? a propos. Ich will Dich und Rheinhold zusammen bekannt machen.
Jetzt adieu. Grüße und küsse die Weiber recht herzlich von mir. Wahrlich! Es ist mir doch in der Welt niemand so lieb, so theuer, so gegenwärtig meinem Herzen, als ihr! Habe ich noch Zeit, so schreibe ich Hubern und auch Dorchen. Wird mir Dorchen ihr Versprechen halten, und einen Kopf mahlen? Meine Schwester muß ihn copieren.
Adieu tausendmal. Ich bin ewig der Eurige.
F. Schiller.
Vergiß nicht Kunzens von mir recht schön zu grüßen. adieu.
N. B. Ich schreibe Euch so lange Briefe, und ihr – überhäufte beschäftigte Leute – mir so kurze. Euch Männer meine ich – denn die Minna hat mir einen großen Brief geschrieben. Ich werd ihn nächstens beantworten. Er hat mir erstaunlich viel Freude gemacht. Sag das der Minna.