HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 12. August 1787

Schiller an Gottfried Körner, 12. August 1787

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Weimar d. 12. Aug. [Sonntag] 1787.

Ich weiß mich nicht genau mehr zu erinnern, wo ich in meinem lezten Briefe stehen geblieben bin; indeß will ich fortfahren. – Am vorigen Sonntag hört ich Herdern zum erstenmal predigen. Der Text war der ungerechte Haushalter den er mit sehr viel Verstand und Feinheit auseinander sezte, du kennst das Equivoque in diesem Evangelium. Die ganze Predigt glich einem Discurs, den ein Mensch allein führt, äuserst plan, volksmäßig, natürlich. Es war weniger eine Rede als ein vernünftiges Gespräch. Ein Satz aus der praktischen Philosophie, angewandt auf gewisse Details des bürgerlichen Lebens – Lehren, die man ebenso gut in einer Moschee als in einer christlichen Kirche erwarten könnte. Einfach wie sein Inhalt ist auch der Vortrag, keine Gebehrdensprache, kein Spiel mit der Stimme, ein ernster und nüchterner Ausdruck. Es ist nicht zu verkennen daß er sich seiner Würde bewußt ist. Die Voraussetzung dieses allgemeinen Ansehens gibt ihm Sicherheit und gleichsam Bequemlichkeit, das ist augenscheinlich. Er fühlt sich als einen überlegenen Kopf, von lauter untergeordneten Geschöpfen umgeben. Herders Predigt hat mir besser als jede andre die ich in meinem Leben zu hören bekommen habe, gefallen – aber ich muß Dir aufrichtig gestehen, daß mir überhaupt keine Predigt gefällt. Das Publikum zu welchem ein Prediger spricht, ist viel zu bunt und zu ungleich, als dass seine Manier eine allgemein befriedigende Einheit haben könnte und er darf den schwächlichen Theil nicht ignorieren wie der Schriftsteller. Was kommt also heraus? Entweder er gibt dem Menschen von Sinn alltagswahrheiten oder Mystik zu hören, weil er dem blödsinnigen opfern muß – oder er muß diesen scandalisieren und verwirren, um den ersten zu unterhalten. Eine Predigt ist für den gemeinen Mann – der Mann von Geist, der ihr das Wort spricht ist ein beschränkter Kopf, ein Phantast oder ein Heuchler. Diese Stelle kannst Du übrigens beim Vorlesen meines Briefs überschlagen. Die Kirche war gedrängt voll und die Predigt hatte das große Verdienst, nicht lange zu dauern.

Dieser Tage hatte ich auch Gelegenheit Mlle Schröder kennen zu lernen. Ich traf sie von ohngefähr beim Kammerherrn von Einsiedel. Ihre Figur und die Trümmer ihres Gesichts rechtfertigen Deine Verplemperung. Sie muß in der That schön gewesen seyn, denn 40 Jahre haben sie noch nicht ganz verwüsten können. Uebrigens dünkt sie mir ein höchst gewöhnliches Geistesprodukt zu seyn. Die übertreibende Bewunderung guter Köpfe hat ihr eine bessere Meinung von sich selbst aufgedrungen, als sie sich angemaßt haben würde, als sie gegen ihr Selbstgefühl vielleicht behaupten kann. Ihr richtiges Verdienst glaube ich wäre, einer Haushaltung vorzustehen, von der Kunst schient sie mir sehr genügsame nüchterne Begriffe zu haben. Man hat sich übrigens ganz gut und bequem in ihren Umgang, aber man geht ruhig und leer von ihr hinweg. Mlle Schmidt hätte ich vorgestern bei Charlotten finden können, wenn ich neugierig genug gewesen wäre, ihr zur lieb etwas zu versäumen.

Dieser Tage bin ich auch in Göthens Garten gewesen beim Major v. Knebel seinem intimen Freund. Goethens Geist hat alle Menschen, die sich zu seinem Zirkel zählen, gemodelt. Eine stolze philosophische Verachtung aller Speculation und Untersuchung, mit einem biß zur Affectation getriebenen Attachement an die Natur und einer Resignation in seine fünf Sinne, kurz eine gewiße kindliche Einfalt der Vernunft bezeichnet ihn und seine ganze hiesige Sekte. Da sucht man lieber Kräuter oder treibt Mineralogie als dass man sich in leeren Demonstrationen verfienge. Die Idee kann ganz gesund und gut seyn, aber man kann auch viel übertreiben.

Aus diesem Knebel wird hier erstaunlich viel gemacht und unstreitig ist er auch ein Mann von Sinn und Karakter. Er hat viel Kenntnisse und einen planen hellen Verstand – Wie gesagt er kann recht haben, aber es ist soviel gelebtes, sovieles Sattes und grämlich hypochondrisches in dieser Vernünftigkeit, daß es einen beinahe mehr reitzen könnte, nach der entgegengesetzten Weise ein Thor zu seyn. Es wurde mir als eine nothwendige Rücksicht anempfohlen, die Bekanntschaft dieses Menschen zu machen, theils weil er hier für einen der gescheidtesten Köpfe gilt und zwar mit Recht, theils weil er nach Göthe den meisten Einfluss auf den Herzog hat. In beiden Fällen also wärs auffallend gewesen, ihn zu ignorieren. Daß wir nicht für einander taugen können wirst Du aus dieser Schilderung schließen – übrigens hab ich mich in ihn zu fügen gesucht. Er beredete mich zu einem Spaziergang nach Tieffurth, wo er Geschäfte bei der Herzogin hatte. Da ich seit jenem Concert nicht zu ihr gebeten worden war, so wars handgreiflich, daß sie mir wenig nachfragte. Ich machte also Schwierigkeit mit ihm biß vor ihr Lusthauß zu gehen. Weil er mir aber versicherte, daß das nichts zu bedeuten hätte so erwartete ich ihn vor dem Haus, und biß er mich bei ihr angekündigt hätte. Er kam also wieder und führte mich hinein. Hier that man nun (auf Hofmanier) sehr gnädig gegen mich, ich mußte Caffe trinken und zwei Stück Kirschkuchen essen (der nebenher gesagt, ganz vortreflich schmeckte und keinen Stein hatte) und durch meine vorausgesezte Reise nach Erfurt schien man mir einen Schlüssel dazu geben zu wollen, warum ich die Woche über nicht gebeten worden war. Die Herzogin sagte mir, daß ich am Sonnabend eine Operette sehen würde, die in einem geschlossenen Zirkel bei ihr gegeben werden sollte. Man wollte uns zum Mittagessen behalten aber Knebel mußte nach der Stadt zurück und ich begleitete ihn wieder zurück. Diese Operette wurde den Sonnabend gegeben, und weil ich keine eigentlich Invitation mehr bekam, so blieb ich, nach dem Rath von Charlotte, weg. Sie zwar hatte eine erhalten, worin gesagt wurde, daß sie sich eine Gesellschaft dazu wählen könnte, wobei ich gemeint war. Aber da man mich nur als ein Pendant von ihr behandelte, so thaten wir beide als verstünden wirs nicht.

Wie sie ankam und mich nicht mitbrachte ging ihr Wieland entgegen und fragte wo ich wäre? Auch die Herzogin verwunderte sich, daß ich nicht gekommen war. Charlotte abgeredetermaßen fragte ganz einfältig: Ob ich denn gebeten worden wäre? Heut frühe kam nun Gotter (der die Operette corrigiert und einen Prolog gemacht hatte) und wollte mir beweisen, dass ich schrecklich unrecht gehabt hätte, nicht zu kommen. Du siehst wie krumm und schief auch hier die Gänge sind. Doch ist das auch eigentlich nur bei der Alten. Jezt hab ich sie vollends satt, und ich freue mich ihr Beweise davon zu insinuieren. Auf den Dienstag kommt die Herzogin Louise. Gotter ist heute wieder fort.

Bertuch ist endlich angekommen und gleich heute Vormittag traf ich ihn bei Charlotten. Ihr könnt denken, dass viel von euch gesprochen worden: „Körner ist ein lieber vortreflicher Mann; Madame Körner, eine liebenswürdige lebhafte Person, von vielem Verstande, einem sprechenden Auge, vieler Grazie und Empfindung, reizender Contour des Gesichts, charamanter Figur. Dorchen eine sehr geistvolle Person, vor welcher er eine ganz vorzügliche Achtung hat.“ – Damit Ihr mir aber nicht zu stolz werdet, so fahre ich fort – „– Der Fizrath ist ein schäzbarer liebenswürdiger Mann, seine Schwester zwar verwachsen aber voll Seele und Gefühl. Neumanns sind vortrefliche Menschen.“ Kurz Bertuch war ganz Bewunderung, ganz Entzücken über seinen Dresdener Auffenthalt.

Dieser Tage habe ich in großer adlicher Gesellschaft einen höchst langweilig Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Übel, in das mich mein Verhältniß mit Charlotten gestürzt hat – und wieviel flache Creaturen kommen einem da vor. Die beste unter allen war Frau von Stein, eine wahrhaftig eigene interessante Person, und von der ich begreife, daß Göthe sich so ganz an sie attachiert hat. Schön kann sie nie gewesen seyn aber ihr Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Verstand, Gefühl und Wahrheit ligen in ihrem Wesen. Diese Frau besizt vielleicht über tausend Briefe von Göthe und aus Italien hat er ihr noch jede Woche geschrieben. Man sagt, daß ihr Umgang ganz rein und untadelhaft seyn soll.

Göthe (weil ich Dir doch Herders Schilderung versprochen habe), Göthe wird von sehr vielen Menschen (auch außer Herdern) mit einer Art von Anbetung genannt, und mehr noch als Mensch denn als Schriftsteller geliebt und bewundert. Herder giebt ihm einen klaren universalen Verstand, das wahrste und innigste Gefühl, die größte Reinheit des Herzens! Alles was er ist ist er ganz, und er kann, wie Julius Cesar, vieles zugleich seyn. Nach Herders Behauptung ist er rein von allem Intriguegeist, er hat wissentlich noch niemand verfolgt, noch keines anderen Glück untergraben. Er liebt in allen Dingen Helle und Klarheit, selbst im kleinen seiner politischen Geschäfte, und mit eben diesem Eifer haßt er Mystick, Geschraubtheit, Verworrenheit. Herder will ihn ebenso und noch mehr als Geschäftsmann denn als Dichter bewundert wissen. Ihm ist er ein allumfaßender Geist.

Seine Reise nach Italien hat er von Kindheit an schon im Herzen herumgetragen. Sein Vater war da. Seine zerrüttete Gesundheit hat sie nöthig gemacht. Er soll dort im Zeichnen große Schritte gethan haben. Man sagt, daß er sich sehr erhohlt habe, aber schwerlich vor Ende des Jahres zurückkommen würde.

Gestern besuchte mich Voigt. Ich glaube, Du kennst ihn dem Namen nach schon. Es ist ein ganz treflicher Mann und was Dich erfreuen kann, ich glaube, daß wir Freunde zusammen werden. Er hatte mir eine Visite heimzugeben, wo ich ihn verfehlt hatte, und wollte nur eine Viertelstunde bleiben. Aus dieser wurden aber 2 Stunden, und wir giengen sehr warm und vergnügt auseinander. Ich hatte solang ich hier bin, ein heftiges Bedürfniß eines Vertrauten Freundes. Voigt kann dieser Freund für mich werden. Außerdem ist er einer der angesehensten Geschäftsmänner, von großen und kleinen Geistern geschäzt, mit den besten liiert und ein Orakel für den Herzog. Ich besuche ihn heute wieder und werde Dir mehr von ihm zu schreiben haben.

Wieland habe ich noch nicht gesehen. Neulich verfehlte ich ihn – also ist er schuldig, mich aufzusuchen. Ich höre, daß er heute oder morgen nach Eisenach reißt. Es kann also kommen, daß wir uns nicht mehr sehen – durch Voigt, Reinhold, Herder und andere soll er aber von mir hören, und ich gebe Dir mein Wort, daß er vor mir erröthen soll.

Herder hat sich laut für mich erklärt, an der Tafel bei der Herzogin meine Parthie genommen. Vorigen Sonnabend versicherte er Charlotten, daß ich ihn sehr interessiere; er sagte ihr, daß er ehmals gegen mich gesprochen hätte, aber er hätte mich nur aus dem Hörensagen beurtheilt. Er bat sie um meine Schriften. Was er biß jezt im Carlos gelesen, habe ihm diese bessere Meinung von mir bestätigt. Ich hatte mit ihm von ihr gesprochen. Er erzählte ihr davon und drückte ihr dabei die Hand. Dieser lezte Zug hat sie und mich sehr interessiert.

Diese Woche gehe ich nach Jena, Schütz und Reinhold zu besuchen.

Jetzt lebewol. Ich muß eilen den Brief auf die Post zu bringen. Huber und Dorchen schreibe ich nächstens. Mache Kunzens meine Empfehlungen. Adieu.

S.