HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 8. August 1787

Schiller an Gottfried Körner, 8. August 1787

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Weimar d. 8. August [Mittwoch] 1787.

Aus der Physiognomie meiner Briefe kannst Du beßer als aus meinen umständlichsten Zergliederungen meiner Selbst auf die jetzige Lage meines Geistes und Herzens schließen. Solange Du sie nur historisch und im Geschmack der Memoires findest, urtheile keck, daß ich mich selbst noch nicht genieße, daß ich hier noch nicht zu Hause bin. Bin ich erst wieder mein eigen, so hast auch Du mich wieder ganz.

Deinen Brief vom 2ten August habe ich erhalten. Er versetzte mich wieder ganz zu euch und das war meine wohlthätigste Empfindung seit langer Zeit. Es gibt für mich kein gewißeres und kein höheres Glück in der Welt mehr als der vollständige Genuß unserer Freundschaft, die ganze unzertrennbare Vermengung unsres Daseyns, unsrer Freuden und Leiden. Wir haben dieses Ziel noch nicht erreicht, aber ich denke, wir wollen es noch erreichen. Welchen Weg ich dazu einschlagen werde, wird der Gegenstand meiner folgenden Briefe seyn. Ich bin darüber mit mir einig aber ich muß Dirs und den andern erst abgewinnen, wenn ich meine Ideen euch mittheilen darf.

Der Anfang und der Umriss unserer Verbindung war Schwärmerei und das mußte er seyn; aber Schwärmerei, glaube mirs, würde auch nothwendig ihr Grab seyn. Jetzt muß ein ernsthafteres Nachdenken und eine langsame Prüfung ihr Consistenz und Zuverläßigkeit geben. Jedes unter uns muß dem Interesse des Ganzen einige kleine Leidenschaften abtreten, und eine herzliche Liebe für Jedes unter uns muß in uns allen die erste und die herrschende seyn. Seid Ihr hierin mit mir einig? Wohl. So versichere ich euch, daß es die Grundlage aller Vorkehrungen seyn wird, die ich jetzt für mein künftiges Leben treffe und davon für jetzt genug.

Kannst Du mir glauben, lieber Körner, daß es mir schwer – ja beinahe unmöglich fällt, euch über Charlotten zu schreiben? Und ich kann Dir nicht einmal sagen, warum? Unser Verhältniß ist – wenn Du diesen Ausdruck verstehen kannst – ist wie die geoffenbahrte Religion, auf den Glauben gestützt. Die Resultate langer Prüfungen, langsamer Fortschritte des menschlichen Geistes sind bei dieser auf eine mystische Weise avanciert, weil die Vernunft zu langsam dahin gelangt seyn würde. Derselbe Fall ist mit Charlotten und mir. Wir haben mit der Ahndung der Resultats angefangen und müssen jetzt unsre Religion durch den Verstand untersuchen und bevestigen. Hier wie dort zeigen sich also nothwendig alle Epochen des Fanatismus, Skeptizismus, des Aberglaubens und Unglaubens, und dann wahrscheinlich am Ende ein reiner und billiger Vernunftglaube, der der allein seligmachende ist. Es ist mir wahrscheinlich, daß der Keim einer unerschütterlichen Freundschaft in uns beiden vorhanden ist aber er wartet noch auf seine Entwicklung. In Charlottens Gemüth ist übrigens mehr Einheit, als in dem meinigen, wenn sie schon wandelbarer in ihren Launen und Stimmungen ist. Lange Einsamkeit und ein eigensinniger Hang ihres Wesens haben mein Bild in ihrer Seele tiefer und fester gegründet, als bei mir der Fall seyn konnte mit dem ihrigen.

Ich habe Dir nicht geschrieben, welche sonderbare Folge meine Erscheinung auf sie gehabt hat. Vieles, was sie vorbereitete kann ich jetzt auch nicht wol schreiben. Sie hat mich mit einer heftigen bangen Ungeduld erwartet. Mein letzter Brief, der ihr meine Ankunft gewiß versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die auf ihre Gesundheit wirkte. Ihre Seele hieng nur noch an diesem Gedanken – und als sie mich hatte war ihre Empfänglichkeit für Freude dahin. Ein langes Harren hatte sie erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf sechs Tage nach der ersten Woche meines Hierseyns fast jedem Gefühl abgestorben, nur die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Ihr Daseyn war nur noch durch convulsivische Spannung des Augenblicks hingehalten. Du kannst urtheilen, wie mir in dieser Zeit hier zu muthe war. Ihre Krankheit, ihre Stimmung und dann die Spannung, die ich hierherbrachte. Die Aufforderung, die ich hier hatte! Jetzt fängt sie an sich zu erhohlen, ihre Gesundheit stellt sich wieder her und ihr Geist wird freier. Jetzt erst können wir einander etwas seyn. Aber noch genießen wir uns nicht in einem zweckmäßigen Lebensplan, wie ich mir versprochen hatte. Alles ist nur Zurüstung für die Zukunft. Jetzt erwarte ich mit Ungeduld eine Antwort von ihrem Mann auf einen wichtigen Brief den ich ihm geschrieben.

Ich nehme meine Erzählung wieder vor. Diese ganze Woche habe ich Wieland nicht gesehen, anfangs weil ich ihm Zeit lassen wollte den Carlos zu lesen und sein Urtheil darüber reifen zu laßen, nachher aber aus einer sehr billigen Ursache, weil ich nehmlich den ersten Schritt von ihm erwartete, den er noch nicht gethan hat. Im Gasthofe hat er mir zwar eine Gegenvisite gemacht aber noch nicht in meinem Hause, welches zwar nicht nöthig wäre, wenn der besondere Umstand mit dem Carlos nicht dazu käme. Vielleicht aber geh ich diesen Abend doch hin, weil er vielleicht sonst aus Unwißenheit meiner Gründe Vernachlässigung aus meinem Betragen schlöße. Wie er übrigens von Karlos urtheilen mag, kann ich aus andern Umständen zusammensetzen. Gotter hatte das Stück (nach der jambischen Theateredition) der verwittweten Herzogin in Tiefurth in einer Gesellschaft wobei auch Wieland war vorgelesen. Ich war nicht da und er hatte es auch nur auf alle Fälle zu sich gesteckt. Wie ich den andern Tag von ihm erfuhr, so hat just die erste Hälfte vor der Marquisischen Geschichte Wirkung gethan, die andere keine oder eine widrige. Gotter behauptet mit Eifer daß diese zwote Hälfte und die ganze Aufopferungsgeschichte des Marquis durch Dunkelheit der Exposition, durch Unwahrscheinlichkeit von Seiten des Königs, durch das geschwächte Intereße an Karlos und dgl. ganz verloren gienge. Urtheile aus diesem Pröbchen was ich mir von dem übrigen Publikum versprechen darf. Daran wurde nicht gedacht, daß die Rolle des Marquis durch die Kunst der Darstellung allenfalls eine Uebertretung der Wahrscheinlichkeit entschuldigte – Man fand dieses Menschen Kühnheit in der Natur nicht gegründet und also war alles was dieser vermeinte Fehler hervorbrachte, mit dem Fehler verdammt. Nun mußt Du freilich hinzusetzen, daß Gotter mich schon seit vier Jahren haßt und vielleicht gerade darum sich zur Vorlesung des Carlos erboten hatte, welches ganz sein Gedanke war – mußt hinzusetzen, daß er gerade der Mensch ist, der sich gegen jede Wirkung der Kunst sträubt, die ihm nicht auf dem Teller seiner Critik zukommt, der nur durch die Regel genießen kann. Daß er den Carlos nicht einmal durchaus verstund, wie sich nachher erwiesen hat – aber unangenehm war mirs doch immer, meinem Text allemal einen Commentar beifügen zu müssen. Gotter und Wieland haben sich, wie ich aus allem abnehmen kann, in manchen Fällen und Urtheilen darüber begegnet, und ich muß bei dem letztern auf die alltäglichste Einwendung gefaßt seyn. Du wirst Dir wohl vorstellen, daß ich nicht sehr begierig bin, Urtheile über den Carlos zu hören oder zu beantworten, die aus diesem Gesichtspunke herfließen. Mein Urtheil über das Stück ist bestimmt, und weil ich meine Billigkeit fühle, so fürchte ich daß Wieland bei dieser Gelegenheit in meiner Idee sinken wird. Vielleicht auch ich in der seinigen – aber die Fälle sind dißmal ein wenig verschieden. Daß der Carlos nicht einmal die Wirkung auf ihn gemacht hat, auf unsre erste Unterredung davon gespannt zu seyn, beweißt mir genug. Ich habe um ihm Gelegenheit zu geben, vor 6 Tagen den Diderot bey ihm hohlen lassen und ihn in einem Billet1 darum ersucht. Er schickte mir das Buch, ohne den Wunsch zu äusern, mich zu sprechen. Ich bin zwar in Ansehung seiner von jedermann der ihn kennt, auf eine erstaunliche Inconsequenz vorbereitet, aber diese Inconsequenz könnte es eben seyn, was es zwischen uns zu keiner Freundschaft kommen ließe. Indeß wir wollen sehen. Ich will nicht voreilig seyn.

Vor 8 Tagen gieng ich im Wäldchen vor der Stadt allein spazieren und fand unterwegs Herdern mit seinen Kindern. Ich gesellte mich zu ihm und kam zufälligerweise zu einem recht angenehmen Abend. Herder macht aus schriftstellerischen Menschen nichts, aus Dichtern und dramatischen vollends am aller wenigsten, aus Fremdheit, wie er selbst gesteht, in diesem Fache des Geists; er hat von mir nichts gelesen, und doch wird Herder beinahe am billigsten gegen mich seyn. Er fragte mich wie ich arbeite und da ich ihm sagte, ich hätte das Unglück während einer weitläuftigen poetischen Arbeit mich selbst zu verändern, weil ich noch im Fortschreiten wäre und also am Ende eines solchen Produkts anders als bei deßen Anfang zu denken und zu empfinden, so rieth er mir schnelle Brouillons hinzuwerfen und dan erst langsam darinn nachzuarbeiten. Seine Idee war helle und richtig. Ich gestand ihm daß ich den Carlos von ihm gelesen wünschte und sein Urtheil darüber hören möchte. Er versprach mirs und vor 3 Tagen habe ich ihm den Carlos geschickt. Nächstens werd ich ihn besuchen. Ich sprach von seinen Schriften und weil ich noch voll war von seiner Nemesis so führte ich die Unterredung auf diese. Es schien ihn zu überraschen und zu freuen, dass ich ganz in seine Idee hineingegangen war und er gab mir viele Aufschlüße darüber, sagte mir auch, daß er sich dise Nemesis oder Adrastea zu einem großen Werk für die Zukunft erweitern und sie auch durch die physische Welt ausdehnen würde, als das erste allgemeine Gesetz der ganzen Natur. Das Gesetz des Mooses. Bei Gelegenheit von seinem Aufsatz Liebe und Selbstheit sagte ich ihm daß wir in dieser Materie Berührungspunkte hätten. Ich erzählte ihm einige Ideen aus dem Julius, die er auffaßte und ganz für wahr erklärte. Er will die Briefe des Julius – Raphael lesen und fieng nun ordentlich an, auf die andern Aufsätze der Thalia neugierig zu werden. Ich sprach vom Geisterseher, und wie dieser Aufsatz zu einer Celebrität gekommen war. Es machte ihm Vergnügen, und wir setzten diese Materie fort. Er hat auch hierin eigne und fruchtbare Ideen und neigt sehr zu der Meinung eines wechselseitigen Ineinanderwirkens der Geister nach unbekannten Gesetzen. Er findet das auch bei den Thieren. Auch die Thiere sagt er scheinen oft unsere Gedanken zu wecken. Ein lebhafter Gedanke in mir könne einem andern, der mir nahe sey, einen ähnlichen erwecken u. s. w. Es gäbe Menschen, die ihr Schicksal im allgemeinen vorher wißen, unter welchen Er selbst sei. So erklären sich Prophezeihungen von Dingen, die doch Facta enthielten welche von außen entstehen müßten und nicht in der Ideenreihe lägen. So sagte er, combinierte der Prophet, eine Jungfrau würde schwanger werden und einen Sohn gebähren – Ich brachte seine neuste Schrift Gott aufs Tapet. Ich sagte ihm einiges, was ich über diese Materien gedacht hatte, und daß ich aus der Idee Gott die ganze Philosophie herableiten würde. Er fand etwas eigenes in meiner Ideenreihe und sagte mir er wünsche daß ich diese Schrift läse. Sie würde für mich seyn und enthalte seine vollständig überzeugende Idee von Gott. Wenn ich sie gefaßt hätte, würde ich vieles Licht erhalten haben. Lies sie doch und schreibe mir Deine Meinung. Für mich enthält sie zu viel metaphysisches. Der Anfang mit Spinoza ist sehr intereßant. Herder sagte mir, daß er sich bei seinen Arbeiten äuserst sammeln müsse, und z. B. wie er seine Ideen schreibe für alles andre Denken verloren sei. Der dritte Band seiner Z. Blättern ist jetzt zum Druck weggeschickt. Unter andern kommt ein Aufsatz darin von den Ruinen Persepolis. Gesehen habe ich aber das Manuscript nicht. Wir sprachen von seinem Predigen. Er dürfe in der Woche nicht an seine Predigt denken, wenn sie ihm glücken sollte. Höchstens Freitags oder Sonnabends könne er sich darauf besinnen. Zollikofern beneidet er sehr um seine Gemüthslage und seine Situation. Ich fragte an wegen seinen Ruf nach Berlin. An ihn wäre keiner ergangen, sagte er mir, aber es hätte doch Grund damit gehabt. Hir hat sich der König v. P. ganz eigen gezeigt. Nach einer Predigt, glaube ich, sagte er Spalding: Er sähe ein dass er alt würde und sich also wohl nach Ruhe sehnen würde – Spalding verneinte es gar sehr – Nein. Nein. sagte der König. Sie können Hilfe brauchen. Ich sehe es wol ein – Sein Dienst, antwortete Spalding litte keinen Gehilfen – Darüber seien Sie unbekümmert, hieß es, sie sollen darum keinen Abgang an ihrem Gehalte leiden. Ich will ihnen ihr Amt nur erleichtern – Das wünsche er gar nicht, sagte Spalding – Ich habe ihnen einen wackern Mann dazu ausgelesen, fuhr der K. fort. Herdern – Das klagte nun Spalding in ganz Berlin herum, der König wurde abgebracht und der ganze Plan schlief ein. Herder sagte mir, dass er nicht entrirt haben würde. Ich hätte noch allerlei interessantes von dieser Promenade zu erzählen, und so eben will mirs nicht mehr einfallen. Wir werden noch öfters zusammenkommen.

Den Tag darauf machte ich mir eine Zerstreuung und fuhr nach Erfurt, weil ich dort im Stift etwas von Arnims zu übergeben hatte, und versprochen hatte, es selbst zu thun. Ich habe noch nie ein Frauenkloster gesehen und wollte es bei dieser Gelegenheit. Die Schwester der alten Arnim ist dort Superiorin, und das jüngste Fräulein ist eine Pensionaire darin. Ich hatte anfangs eine Unterredung vor dem Gitter, dann wurde mir aufgeschloßen und ich wurde im Kloster – nur nicht in den Schlafzellen – herumgeführt. Ich ließ mir die Einrichtung und Lebensart erzählen, und fand es wahr, was man von den Nonnen sagt, daß sie die höchste Zufriedenheit mit ihrem Zustande heucheln. Es waren lauter fröhliche Gesichter, aber freilich der verdrehten Augen genug. Weil ich nach langer Zeit vielleicht die erste junge Mannsperson war die sich im innern des Klosters sehen ließ, so wurd ich ziemlich angegafft und Nonnen wechselten mit Nonnen. Das Fräulein Arnim ist eine sehr hübsche Blondine, die in einigen Jahren schön werden kann. Ein kleines interessantes Gesicht und vortreflich schöne Haare.

Im Gasthof wo ich abgestiegen war wurde mein Name durch meinen Bedienten verrathen und es sammelte sich ein Hauffe vor dem dortigen Privattheater mich zu sehen. Keiner aber getraute sich mich anzureden und ich erfuhrs erst was es war wie ich in den Wagen stieg. In keinem Gasthof bin ich so fröhlich bedient und so christlich behandelt worden.

Eben erhalte ich Hubers Brief und in anderthalb Stunden geht die Leipziger Post ab. Ich hatte Dir einen langen Brief zugedacht aber ich muß den Rest auf kommenden Montag versparen. In der Geschwindigkeit durchlaufe ich Deinen Brief noch einmal um Deine Anfragen zu beantworten.

Die Herzogin die ich meinte ist die verwittwete. Morgen erst kommt die junge oder übermorgen. Der Mann der Charlotte ist es der die Carriere am Zweibrückischen Hofe machen wird. Das Vermögen um welches processirt wird, wird unter 3 Schwestern getheilt und ist also um vieles geringer. Wegen der Clio werde ich Hubern antworten. Dein Arrangement mit Göschen kann sehr recht gewesen seyn. Es hat mich ein wenig befremdet.

Charlotte grüßt euch. Deiner Frau und Dorchen sage recht viel schönes von mir. Sie werden mir aufs Wort glauben, dass ich noch nicht habe schreiben können und wenn ich schreibe so muß ich ganz bei ihnen seyn. Adieu meine lieben. adieu Körner.