HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 28. Februar 1793

Schiller an Gottfried Körner, 28. Februar 1793

Bewertung:
(Stimmen: 1 Durchschnitt: 1)

Jena den 28. Febr. [Donnerstag] 93.

Ich werde Dich in einigen Wochen mit einem neuen Werk von Kant überraschen, daß Dich sehr in Verwundrung setzen wird. Es wird hier gedruckt, und ich habe die Hälfte, denn so weit ist es fertig, durchlesen. Der Titel ist: philosophische Religionslehre: und der Innhalt – solltest Du es glauben? Die scharfsinnigste Exegesis des christlichen Religionsbegrifs aus philosophischen Gründen. Kant, wie Du schon mehrmal an ihm hast bemerken können, liebt sehr, Schriftstellen einen philosophischen Sinn zu geben. Es ist ihm, wie man bald sieht, nicht sowohl darum zu thun, die Autoritaet der Schrift dadurch zu unterstützen, als vielmehr die Resultate des philosophischen Denkens dadurch an die Kindervernunft anzuknüpfen und gleichsam zu popularisieren. Er scheint mir von einem Grundsatz dabey geleitet zu werden, den Du sehr liebst; nehmlich von diesem: das vorhandene nicht wegzuwerfen, solange noch eine Realität davon zu erwarten ist, sondern es vielmehr zu veredeln. Ich achte diesen Grundsatz sehr, und Du wirst sehen, daß Kant ihm Ehre machte. Aber ob er überhaupt wohl daran gethan hat, die christliche Religion durch philosophische Gründe zu unterstützen, zweifle ich sehr. Alles was man von der bekannten Beschafenheit der Religionsvertheidiger erwarten kann ist, daß sie die Unterstützung annehmen, die philosophischen Gründe aber wegwerfen werden, und so hat Kant dann nichts weiter gethan, als das morsche Gebäude der Dummheit geflickt.

Uebrigens hat die Schrift mich hingerissen, und ich kann die übrigen Bogen kaum erwarten. Zwar ist einer seiner ersten Grundsätze darin empörend für mein, und wahrscheinlich auch Dein, Gefühl. Er behauptet nehmlich eine propension des menschlichen Herzens zum Bösen, das er das radikale Böse nennt, und das mit den Reizungen der Sinnlichkeit ganz und gar nicht verwechselt werden darf. Er setzt es über die Sinnlichkeit hinaus in die Person des Menschen, als den Sitz der Freiheit. Doch Du wirst selbst lesen. Gegen seine Beweise läßt sich nichts einwenden, so gern man auch wollte.

Uebrigens wird er bey den Theologen wenig Dank verdient haben, denn er hebt alle eigene Autorität des Kirchenglaubens auf, und macht den reinen Vernunftglauben zu seinem höchsten Ausleger; gibt auch sehr deutlich zu verstehen, daß der Kirchenglaube bloß von subjectiver Gültigkeit sey und es besser wäre, wenn er entbehrt werden könnte. Aber weil er überzeugt ist, daß er nicht entbehrlich sey, noch sobald es werden würde, so macht er es zu einer Gewissenspflicht, ihn zu respektiren. Der Logos, die Erlösung (als philosophische Mythe) die Vorstellung des Himmels und der Hölle, das Reich Gottes und alle diese Vorstellungen sind aufs glücklichste erklärt.

Ich weiß nicht, ob ich Dir schon davon geschrieben habe, dass ich damit umgehe, eine Theodicee zu machen. Wo möglich so geschieht es noch dieses Frühjahr, um sie meinen Gedichten einzuverleiben, wovon ich diesen Sommer eine sehr schöne Edition bei Crusius veranstalte. Auf diese Theodizee freue ich mich sehr denn die neue Philosophie ist gegen die Leibnitzische viel poetischer und hat einen weit größern Karakter. Ausser dieser Theodicee trage ich mich noch mit einem andern Gedicht, gleichfalls philosophischen Innhalts, wovon noch mehr zu erwarten ist. Aber davon kan ich Dir jetzt noch nichts schreiben. Erlauben es meine Umstände so bring ich es auch noch in meine Sammlung.

Wenn du Jacob und sein Herr von Diderot, den Mylius übersetzt hat (denn französisch ist es noch nicht heraus) zu lesen bekommen kannst, so lies ihn doch. Auch der Minna wird er viel Freude machen. Ich habe mich sehr daran ergözt.

Diesen Sommer logieren wir außerhalb der Stadt, in einem angenehmen Gartenhause. Meine zweyte Schwester wird bey mir seyn, und vielleicht behalte ich sie ganz. Ich werde dann mehr en famille leben, und weniger Lerm um mich haben, weil ich dann keine Tischgenossen mehr nehme. Da meine Frau auch oft nicht wohl ist, so ist es mir ein Trost, jemand, der mir attachirt und doch gesund ist, um mich zu wissen. Ob ich auf den Sommer oder Herbst nach meinem Vaterland reise wird auf meine Gesundheit ankommen, die schon seit drey Wochen den Einfluß des Frühjahrs nicht aufs beßte empfindet.

Der Tod des jungen Ludwigs, der nach Curland gegangen ist, wird hier widerrufen; und ich wünschte recht sehr, daß dem armen Teufel nichts geschehen wäre. NB. Eben erfahre ich aus Dorchens Brief den komischen Misverstand.

Mit Mainz sieht es noch immer sehr trüb aus. Der Churfürst ist gegenwärtig in Erfurt, wo auch der Coadjutor wider angekommen ist. Der lezte zieht nur die Hälfte seines Gehalts und konnte vorher mit dem ganzen nie ausreichen. Weiß der Himmel, wie es damit noch werden mag.

Finde ich noch Zeit, so lege ich die Fortsetzung meiner Theorie bey. Aber nun ist es auch an Dir, darüber zu raisonniren. Tausend herzliche Grüße an alle

Dein Schiller.

——-

Die Nachricht von Hubern hat mich erschreckt. Er ist auf dem Weg, einen höchst unglücklichen Schritt zu thun, von welcher Seite man es auch betrachtet. Es ist mit Gewißheit vorherzusehen, daß beide Leute sich im ersten halben Jahre unerträglich seyn werden. Und dann noch seinen Abschied zu fodern! Wo will er hingehen, wo wird er, nachdem er durch seine Mainzer Verbindungen, und vollends durch eine Heirath mit der F. sich in einen zweideutigen Ruf gebracht hat, Dienste finden. Will er von seiner Schriftstellerei leben? Da wird er schmale Bissen essen müssen. Die Forstern hat nichts, und will mit ihren Kindern sich von ihm ernähren lassen, da er sich selbst nicht helfen kann. Ich weiß in aller Welt nicht, wo er hinaus will. Vielleicht hofft er bei einer Universität unterzukommen? Aber als ein Extraordinarius wird er sich dadurch sehr schlecht verbessern, und zum Ordinarius ist nirgends Hoffnung; denn er hat ja nichts gelernt.

Ich werde alles anwenden, ihm dieses begreiflich zu machen; ich fürchte aber, es ist schon nicht mehr Zeit. Weißt Du nicht, ob er vielleicht den Abschied nehmen mußte, um ihn nicht ungefodert zu erhalten? Da man Dir sogar aus der Verbindung mit ihm ein Verbrechen machen will, so muß man von ihm schon sehr viel Böses denken. Auf seine Eltern soll er sich ja nicht verlassen. Das ist ein elendes Pack Menschen, die ihn lieber desperat werden lassen, ehe sie einen Heller für ihn bezahlen. Ich finde es in jedem Betracht, auch selbst für ihn nicht rathsam, daß er nach Dresden geht. Er geht ja dort den empfindlichsten Kränkungen entgegen. Zu Euch darf er ganz und gar nicht, und das wird sich ihm, denke ich, begreiflich machen lassen.

Zugleich mit Deinem Briefe ist auch einer an ihn, unter meiner Adresse bei mir angelangt, der der Aufschrift nach von seinen Eltern ist. Vermuthlich hat er selbst ihn an mich adressiren lassen. Ich erwarte ihn also gewiß.

Die Inlage war schon fertig, ehe Dein Brief ankam. Ich lege sie also bei. Auf den ersten Theil Deines Briefes soll Dir, wie ich hoffe, mein letztes Packet antworten.

S.

——-

Das Schöne der Kunst.

Es ist von zweierlei Art: a Schönes der Wahl oder des Stoffes – Nachahmung des Naturschönen. b Schönes der Darstellung oder Form – Nachahmung der Natur. Ohne das lezte gibt es keinen Künstler. Beides vereinigt macht den großen Künstler.

Das Schöne der Form oder der Darstellung ist der Kunst allein eigen. „Das Schöne der Natur, sagt Kant sehr richtig, ist ein schönes Ding; das Schöne der Kunst ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge.“ Das Idealschöne, könnte man hinzusetzen, ist eine schöne Vorstellung von einem schönen Ding.

Bey dem Schönen der Wahl wird darauf gesehen, was der Künstler darstellt. Bey dem Schönen der Form (der Kunstschönheit stricte sic dicta) wird bloß darauf gesehen, wie er darstellt. Das erste, kann man sagen, ist eine freie Darstellung der Schönheit, das zweyte eine freie Darstellung der Wahrheit.

Da sich das erste mehr auf die Bedingungen des Naturschönen einschränkt, das lezte aber der Kunst eigenthümlich zukommt, so handle ich von diesem zuerst; denn erst muß gezeigt werden, was den Künstler überhaupt macht, ehe man von dem großen Künstler spricht.

Schön ist ein Naturprodukt, wenn es in seiner Kunstmäßigkeit frey erscheint.

Schön ist ein Kunstproduct, wenn es ein Naturproduct frey darstellt.

Freiheit der Darstellung ist also der Begriff, mit dem wir es hier zu thun haben.

Man beschreibt einen Gegenstand, wenn man die Merkmale, die ihn kenntlich machen, in Begriffe verwandelt und zur Einheit der Erkenntniß verbindet.

Man stellt ihn dar, wenn man die verbundenen Merkmale unmittelbar in der Anschauung vorlegt.

Das Vermögen der Anschauungen ist die Einbildungskraft. Ein Gegenstand heißt also dargestellt, wenn die Vorstellung desselben unmittelbar vor die Einbildungskraft gebracht wird.

Frey ist ein Ding, das durch sich selbst bestimmt ist, oder so erscheint.

Frey dargestellt heißt also ein Gegenstand, wenn er der Einbildungskraft als durch sich selbst bestimmt vorgehalten wird.

Aber wie kann er ihr als durch sich selbst bestimmt vorgehalten werden, da er selbst nicht einmal da ist, sondern in einem andern bloß nachgeahmt wird, da er nicht in Person, sondern durch einen Repraesentanten sich vorstellt?

Das Kunstschöne nehmlich ist nicht die Natur selbst, sondern nur eine Nachahmung derselben in einem Medium, das von dem Nachgeahmten materialiter ganz verschieden ist. Nachahmung ist die formale Aehnlichkeit des materialverschiedenen.

N. B. Architektur, Schöne Mechanik, Gartenkunst, Tanzkunst u. dgl. dürfen für keine Einwendung gelten; denn daß auch diese Künste sich demselben Princip unterordnen, ob sie gleich entweder kein Naturproduct nachahmen, oder kein Medium dazu brauchen, wird in der Folge sehr evident werden.

Die Natur des Gegenstandes wird also in der Kunst nicht selbst in ihrer Persönlichkeit und Individualität, sondern durch ein Medium vorgestellt, welches wieder

a) seine eigene Individualität und Natur hat,

b) von dem Künstler abhängt, der gleichfalls als eine eigene Natur zu betrachten ist.

Der Gegenstand wird also durch die dritte Hand vor die Einbildungskraft gestellt; und da sowohl der Stoff, worinn er nachgeahmt wird, als der Künstler, der diesen Stoff bearbeitet, ihre eigne Natur besitzen, und nach ihrer eigenen Natur wirken – wie ist es möglich, daß die Natur des Gegenstandes dennoch rein und durch sich selbst bestimmt kann vorgestellt werden?

Der darzustellende Gegenstand legt seine Lebendigkeit ab, er ist nicht selbst gegenwärtig, sondern seine Sache wird durch einen ihm ganz unähnlichen fremden Stoff geführt, auf den es ankommt, wieviel jener von seiner Individualität retten oder einbüßen soll.

Nun kommt also die fremde Natur des Stoffes dazwischen, und nicht diese allein, sondern auch die ebenso fremde Natur des Künstlers, der diesem Stoffe seine Form zu geben hat. Alle Dinge aber wirken nothwendig nach ihrer Natur.

Es sind also hier dreyerley Naturen, die miteinander ringen. Die Natur des Darzustellenden, die Natur des darstellenden Stoffes, und die Natur des Künstlers, welcher jene beiden in Uebereinstimmung bringen soll.

Es ist aber bloß die Natur des Nachgeahmten, was wir an einem Kunstprodukt zu finden erwarten; und das will eigentlich der Ausdruck sagen, daß es durch sich selbst bestimmt der Einbildungskraft vorgestellt werde. Sobald aber entweder der Stoff oder der Künstler ihre Naturen mit einmischen, so erscheint der dargestellte Gegenstand nicht mehr als durch sich selbst bestimmt, sondern Heteronomie ist da. Die Natur des Repraesentierten erleidet von dem Repräsentierenden Gewalt, sobald dieses seine Natur dabei geltend macht. Ein Gegenstand kann also nur dann frey dargestellt heißen, wenn die Natur des Dargestellten von der Natur des Darstellenden nichts gelitten hat.

Die Natur des Mediums oder des Stoffs muß also von der Natur des Nachgeahmten völlig besiegt erscheinen. Nun ist es aber bloß die Form des Nachgeahmten, was auf das Nachahmende übertragen werden kann; also ist es die Form, welche in der Kunstdarstellung den Stoff besiegt haben muß.

Bei einem Kunstwerk also muß sich der Stoff (die Natur des Nachahmenden) in der Form (des Nachgeahmten), der Körper in der Idee, die Wirklichkeit in der Erscheinung verlieren.

Der Körper in der Idee: Denn die Natur des Nachgeahmten ist an dem nachahmenden Stoffe nichts körperliches; sie existirt bloß als Idee an demselben und alles körperliche an diesem gehört bloß ihm selbst und nicht dem Nachgeahmten an.

Die Wirklichkeit in der Erscheinung: Wirklichkeit heißt hier das Reale, welches an einem Kunstwerke immer nur die Materie ist, und dem Formalen oder der Idee, die der Künstler in dieser Materie ausführt, muß entgegengesetzt werden. Die Form ist an einem Kunstwerk bloße Erscheinung d. i. der Marmor scheint ein Mensch, aber er bleibt, in der Wirklichkeit, Marmor.

Frey also wäre die Darstellung, wenn die Natur des Mediums durch die Natur des Nachgeahmten völlig vertilgt erscheint, wenn das nachgeahmte seine reine Persönlichkeit auch in seinem Repräsentanten behauptet, wenn das Repräsentirende durch völlige Ablegung oder vielmehr Verläugnung seiner Natur sich mit dem Repräsentirten vollkommen ausgetauscht zu haben scheint – kurz – wenn nichts durch den Stoff, sondern alles durch die Form ist.

Ist an einer Bildsäule ein einziger Zug, der den Stein verräth, der also nicht in der Idee, sondern in der Natur des Stoffes gegründet ist, so leidet die Schönheit; denn Heteronomie ist da. Die Marmornatur, welche hart und spröd ist, muß in der Natur des Fleisches, welches biegsam und weich ist, völlig untergegangen seyn, und weder das Gefühl noch das Auge darf daran erinnert werden.

Ist an einer Zeichnung ein einziger Zug, der die Feder oder den Griffel, das Papier oder die Kupferplatte, den Pinsel oder die Hand, die ihn führte, kenntlich macht, so ist sie hart oder schwer; ist an ihr der eigenthümliche Geschmack des Künstlers, die KünstlerNatur sichtbar, so ist sie manierirt. Leidet nehmlich die Beweglichkeit eines Muskels (in einem Kupferstich) durch die Härte des Metalls oder durch die schwere Hand des Künstlers, so ist die Darstellung häßlich; weil sie nicht durch die Idee, sondern durch das Medium bestimmt worden ist. Leidet die Eigenthümlichkeit des darzustellenden Objekts durch die GeistesEigenthümlichkeit des Künstlers, so sagen wir, die Darstellung sei manierirt.

Das Gegentheil der Manier ist der Stil, der nichts anders ist, als die höchste Unabhängigkeit der Darstellung von allen subjektiven und allen objektivzufälligen Bestimmungen.

Reine Objektivität der Darstellung ist das Wesen des guten Stils: der höchste Grundsatz der Künste.

„Der Stil verhält sich zur Manier, wie sich die Handlungsart aus formalen Grundsätzen zu einer Handlungsart aus empirischen Maximen (subjektiven Grundsätzen) verhält. Der Stil ist eine völlige Erhebung über das Zufällige zum Allgemeinen und Nothwendigen.“ (Aber unter dieser Erklärung des Stils ist auch schon das Schöne der Wahl mitbegriffen, wovon jetzt noch nicht die Rede sein soll.)

Der große Künstler, könnte man also sagen, zeigt uns den Gegenstand (seine Darstellung hat reine Objektivität), der mittelmäßige zeigt sich selbst (seine Darstellung hat Subjektivität), der schlechte seinen Stoff (die Darstellung wird durch die Natur des Mediums u: durch die Schranken des Künstlers bestimmt.)

Alle diese drey Fälle werden an einem Schauspieler sehr anschaulich.

1.

Wenn Eckhof oder Schröder den Hamlet spielten, so verhielten sich ihre Personen zu ihrer Rolle wie der Stoff zur Form, wie der Körper zur Idee, wie die Wirklichkeit zur Erscheinung. Eckhof war gleichsam der Marmor, aus dem sein Genie einen Hamlet formte; und weil seine (des Schauspielers) Person in der künstlich Person Hamlets völlig untergieng, weil bloß die Form (der Caracter Hamlets) und nirgends der Stoff (nirgends die wirkliche Person des Schauspielers) zu bemerken war – weil alles an ihm bloß Form (bloß Hamlet) war, so sagt man, er spielte schön. Seine Darstellung war im großen Stil, weil sie erstlich völlig objectiv war und nichts subjectives sich mit einmischte; zweytens, weil sie objectiv nothwendig, nicht zufällig war (wovon die Erläuterung bei einer andern Gelegenheit).

2.

Wenn Madame Albrecht eine Ophelia spielt, so erblickte man zwar die Natur des Stoffes (die Person der Schauspielerinn) nicht, aber auch nicht die reine Natur des Darzustellenden (die Person der Ophelia), sondern – eine willkührliche Idee der Schauspielerinn. Sie hatte sich nehmlich einen subjectiven Grundsatz – eine Maxime – gemacht, den Schmerz, den Wahnsinn, den edlen Anstand gerade so vorzustellen, ohne sich darum zu kümmern, ob dieser Vorstellung Objectivitaet zukommt oder nicht. Sie hat also nur Manier, keinen Stil gezeigt.

3. Wenn Herr Brücke einen König spielt, so sieht man die Natur des Mediums über die Form (die Rolle des Königs) herrschen, denn aus jeder Bewegung blickt der Schauspieler (der Stoff) eckelhaft und stümperhaft hervor. Man sieht sogleich die niedrige Wirkung des Mangels, weil es dem Künstler (hier dem Verstand des Schauspielers) an Einsicht fehlt, den Stoff (den Körper des Schauspielers) einer Idee gemäß zu formen. Die Darstellung ist also elend, weil sie zugleich die Natur des Stoffs und die subjektiven Schranken des Künstlers offenbart.

Bey Zeichnenden und bildenden Künsten fällt es leicht genug in die Augen, wieviel die Natur des Darzustellenden leidet, wenn die Natur des Mediums nicht völlig bezwungen ist. Aber schwerer dürfte es seyn, diesen Grundsatz nun auch auf die poetische Darstellung anzuwenden, welche doch schlechterdings daraus abgeleitet werden muß. Ich will versuchen, Dir einen Begriff davon zu geben.

Auch hier, versteht sich, ist noch gar nicht von dem Schönen der Wahl die Rede, sondern bloß von dem Schönen der Darstellung. Es wird also vorausgesetzt, der Dichter habe die ganze Objektivität seines Gegenstandes wahr, rein und vollständig in seiner Einbildungskraft aufgefaßt – das Objekt stehe schon idealisirt (d. i. in reine Form verwandelt) vor seiner Stelle, und es komme bloß darauf an, es außer sich darzustellen. Dazu wird nun erfodert, daß dieses Objekt seines Gemüths von der Natur des Mediums, in welchem es dargestellt wird, keine Heteronomie erleide.

Das Medium des Dichters sind Worte; also abstrakte Zeichen für Arten und Gattungen, niemals für Individuen; und deren Verhältnisse durch Regeln bestimmt werden, davon die Grammatik das System enthält. Daß zwischen den Sachen und den Worten keine materiale Aehnlichkeit (Identität) statt findet, macht gar keine Schwierigkeit; denn diese findet sich auch nicht zwischen der Bildsäule und dem Menschen, dessen Darstellung sie ist. Aber auch die bloß formale Aehnlichkeit (Nachahmung) ist zwischen Worten und Sachen so leicht nicht. Die Sache und ihr Wortausdruck sind bloß zufällig u: willkührlich (wenige Fälle abgerechnet), bloß durch Uebereinkunft miteinander verbunden. Indessen würde auch dies nicht viel zu bedeuten haben, weil es nicht darauf ankommt, was das Wort an sich selbst ist, sondern welche Vorstellung es erweckt. Gäbe es also überhaupt nur Worte oder Wortsätze, welche uns den individuellsten Charakter der Dinge, ihre individuellsten Verhältniße, und kurz die ganze objektive Eigenthümlichkeit des Einzelnen vorstellten, so käme es gar nicht darauf an, ob dies durch Convenienz, oder aus innerer Nothwendigkeit geschähe.

Aber eben daran fehlt es. Sowohl die Worte, als ihre Biegungs- und Verbindungsgesetze sind ganz allgemeine Dinge, die nicht einem Individuum, sondern einer unendlichen Anzahl von Individuen zum Zeichen dienen. Noch weit mißlicher steht es um die Bezeichnung der Verhältnisse, welche nach Regeln bewerkstelligt wird, die auf unzählige und ganz heterogene Fälle zugleich anwendbar sind, und nur durch eine besondere Operation des Verstandes einer individuellen Vorstellung angepaßt werden. Das darzustellende Objekt muß also, ehe es vor die Einbildungskraft gebracht und in Anschauung verwandelt wird, durch das abstrakte Gebiet der Begriffe einen sehr weiten Umweg nehmen, auf welchem es viel von seiner Lebendigkeit (sinnlichen Kraft) verliert. Der Dichter hat überal kein anderes Mittel, um das besondere darzustellen, als die künstliche Zusammensetzung des Allgemeinen „der eben jetzt vor mir stehende Leuchter fällt um“ ist ein solcher individueller Fall, durch Verbindung lauter allgemeiner Zeichen ausgedrückt.

Die Natur des Mediums, dessen der Dichter sich bedient, besteht also „in einer Tendenz zum Allgemeinen,“ und ligt daher mit der Bezeichnung des Individuellen (welches die Aufgabe ist) im Streit. Die Sprache stellt alles vor den Verstand, und der Dichter soll alles vor die Einbildungskraft bringen (darstellen); die Dichtkunst will Anschauungen, die Sprache gibt nur Begriffe.

Die Sprache beraubt also den Gegenstand, dessen Darstellung ihr anvertraut wird, seiner Sinnlichkeit und Individualität, und drückt ihm eine Eigenschaft von ihr selbst (Allgemeinheit) auf, die ihm fremd ist. Sie mischt – um mich meiner Terminologie zu bedienen – in die Natur des Darzustellenden, welche sinnlich ist, die Natur des Darstellenden, welche abstrakt ist, ein, und bringt also Heteronomie in die Darstellung desselben. Der Gegenstand wird also der Einbildungskraft nicht als durch sich selbst bestimmt, also nicht frey, vorgestellt, sondern Gemodelt durch den Genius der Sprache, oder er wird gar nur vor den Verstand gebracht; und so wird er entweder nicht frey dargestellt, oder gar nicht dargestellt, sondern bloß beschrieben.

Soll also eine poetische Darstellung frey seyn, so muß der Dichter „die Tendenz der Sprache zum Allgemeinen durch die Größe seiner Kunst überwinden, und den Stoff (Worte und ihre Flexions- und Constructions-Gesetze) durch die Form (nehmlich die Anwendung derselben) besiegen.“ Die Natur der Sprache (eben diese ist ihre Tendenz zum Allgemeinen) muß in der ihr gegebenen Form völlig untergehen, der Körper muß sich in der Idee, das Zeichen in dem Bezeichneten, die Wirklichkeit in der Erscheinung verlieren. Frey und siegend muß das Darzustellende aus dem Darstellenden hervorscheinen, und trotz allen Feßeln der Sprache in seiner ganzen Wahrheit, Lebendigkeit und Persönlichkeit vor der Einbildungskraft dastehen. Mit einem Wort: Die Schönheit der poetischen Darstellung ist „freie Selbhandlung der Natur in den Feßeln der Sprache.“

(Die Fortsetzung künftigen Posttag.)