Dresden d. 29 [Freitag] Dec. 86.
Nun sind vierzehn Tage seit eurer Abwesenheit verstrichen und hoffentlich wird jezt bald die Rede von Eurer Zurückkunft seyn. Eines Theils verdrießt michs, daß ich die Freuden meines Lebens so sehr von euch abhängig gemacht habe und nicht einmal einen Monat mehr durch mich allein ganz glüklich existieren kann. Lieber Gott, wie wird das noch werden. Alle Einförmigkeiten unserer bisherigen Existenz fangen mir an nothwendig zu werden und ich fühle daß ich vielleicht sehr ungerecht war mich nach Zerstreuung zu sehnen. Eine Schuld freilich müßt Ihr mir erlauben auf das erbärmliche Aequivalent zu schieben, das Ihr mir in der Stadt Dresden gelassen habt. Ich hoffe, daß meine Wünsche – in Kalbsrieth – einige Zeit länger unentschieden bleiben werden.
Zu meinem Weben und Wirken seid Ihr mir unentbehrlich worden. Ich bin sehr wenig oder nichts. Ich bin Hubern nichts und er mir wenig. Die Feiertage haben mich vollends verdorben. Es ist so etwas Hergebrachtes, daß an diesen Tagen alles Feierabend machen soll. Das Vergnügen ist an diesen Tagen eine Art von Arbeit und Bestimmung. Dieses dunkle Gefühl hat mich am Schreibtisch verfolgt und ich mußte ausgehen. Aber immer kam ich unbefriedigt und leer zurück. Würdet Ihr wol an unserer Stelle euch ebenso nach uns zurücksehnen? Wird mein Bild nicht früher bei euch erlöschen, als das eurige bei mir? Ich fürchte es beinahe, denn biß diese Stunde war unsere Theilung sehr ungleich. Ich habe euch ganz genießen können, euch ganz durchschauen und faßen können, aber meine Seele war für euch von trüben Stimmungen umwölkt. Ihr wart mir soviel und ich euch noch wenig – nicht einmal das, was ich fähig seyn könnte Euch zu seyn.
Ich bin heute sehr traurig durch die Erinnerung an euch – an eine böse Schuld die ich euch noch nicht abgetragen zu haben fühle. Der schwarze Genius meiner Hypochondrie muß euch auch nach Leipzig verfolgen. Verzeiht mir das. O meine Gedanken sind sehr oft unter euch. Zwar sehe ich euch nicht in eurem Leipziger Zirkel, wo meinem Herzen noch soviel fremd ist – ich sehe euch hier und freue mich, wenn alles nun wieder anfangen wird.
Von Charlotten habe ich noch keine Nachricht erhalten. Ich erwarte sie alle Tage, welches dann auch entscheiden wird, ob und wann ich sie besuche.
Willst Du wißen, wie weit ich in meiner Arbeit gekommen bin? Mitten in der lezten Scene des Marquis mit der Königin, die Du ja kennst. Jetzt fängt es an sehr interessant zu werden, aber ich zweifle, ob meine Ausarbeitung nicht unter, tief unter meinem Ideale und dem Interesse der Situation bleiben wird. Noch hab ich keinen Pulsschlag dieser Empfindungen, von denen ich eigentlich bei dieser Arbeit durchdrungen seyn sollte. Ich habe keine Zeit sie abzuwarten. Wißentlich muß ich mich übereilen. – Dein Herz wird kalt bleiben, wo Du die höchste Rührung erwartet hättest. Hier und da ein Funke unter der Asche und das ist alles.
Herzlich hat es mich gefreut, daß die Gesundheit der Minna sobald wieder hergestellt ist. Wie glüklich wird es Dich machen, wie frölich für uns euch gesund und heiter wieder zu finden. Grüße die beiden recht herzlich. Ich hätte gerne mehr an euch geschrieben, aber warlich es fehlte mir an Stoff, an Mannigfaltigkeit und meine Laune hätte euch mit angesteckt. Leb wol. Kunzens empfiehl mich, der Schneidern und Hartwig.
Diesen Abend sind wir bei Neumanns. Sonst übrigens nicht sehr herumgekommen.
Suche es Göschen doch auszureden, daß er eine Subscription zum Karlos veranstalten will. Es ist so sonderbar bei einem einzigen Theaterstük, und er hat in diesen Dingen immer eine so unglückliche Art. Was kommt am Ende dabei heraus – und wenn er über die Nachdrucker schimpft, was kann’s ihm viel helfen? Die Thalia habe ich noch nicht. Die Exemplare an Bek und Charlotten wirst Du vermuthlich besorgt haben.
Bekker läßt sich Euch empfehlen. Er sagt mir, daß Adelung zum Oberbibliothecair in Vorschlag gebracht sei und zwar durch seine Betreibung. Becker will uns in die Rieschische Gesellschaft1 introduzieren.
Adieu
Schiller.