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Schiller an Gottfried Körner, 10. März 1789

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Weimar, 10. März [Dienstag] 1789.

Ich komme eben von einer Geisteswanderung zurück; ein Schnupfen hinderte mich am Schreiben, da habe ich meiner Phantasie einmal den Zügel schießen lassen. Deine Idee, ein episches Gedicht aus einer merkwürdigen Action Friedrichs des Zweiten zu machen, fängt an sich bei mir zu verklären und füllt manche heitere Stunden bei mir aus. Ich glaube, daß es noch dahin kommen wird, sie zu realisiren; an den eigenthümlichen Talenten zum epischen Gedichte, glaub ich nicht, daß es mir fehlt. Ein tiefes Studium unserer Zeit (denn daß dies eigentlich der Punkt ist, um den sich alles darin drehen muß, wirst Du mit mir überzeugt seyn) und ein ebenso tiefes Studium Homers werden mich dazu geschickt machen.

Ein episches Gedicht im achtzehnten Jahrhundert muß ein ganz anderes Ding seyn, als eins in der Kindheit der Welt; und eben das ists, was mich an dieser Idee so anzieht – unsere Sitten, der feinste Duft unserer Philosophie, unsere Verfassungen, Häuslichkeit, Künste, kurz alles muß auf eine ungezwungene Art darin niedergelegt werden, und in einer schönen harmonischen Einheit leben, sowie in der Iliade alle Zweige der griechischen Cultur u. s. f. anschaulich leben. Du wirst mich verstehen. Ich bin auch gar nicht abgeneigt, mir eine Maschinerie dazu zu erfinden. Denn ich möchte und muß auch alle Forderungen, die man an den epischen Dichter von Seiten der Form macht, haarscharf erfüllen. Man ist einmal so eigensinnig (und vielleicht hat man nicht Unrecht), einem Kunstwerk Classicität abzusprechen, wenn seine Gattung nicht aufs Bestimmteste entschieden ist. Diese Maschinerie aber, die bei einem so modernen Stoffe in einem so prosaischen Zeitalter die größte Schwierigkeit zu haben scheint, kann das Interesse in einem hohen Grade erhöhen, wenn sie eben diesem modernen Geiste angepaßt wird. Es rollen allerlei Ideen darüber in meinem Kopfe trüb durcheinander, aber es wird sich noch etwas Helles daraus bilden. Aber welches Metrum ich dazu wählen würde, ganz entschieden wählen würde, erräthst Du wohl schwerlich? Kein anderes als ottave rime. Alle anderen, das jambische ausgenommen, sind mir in den Tod zuwider; und wie angenehm müßte der Ernst, das Erhabene in so leichten Fesseln spielen! Wie sehr der epische Gehalt durch die weiche, sanfte Form schöner Reime gewinnen! Singen muß man es können, wie die griechischen Bauern die Iliade, wie die Gondolieri in Venedig die Stanzen aus dem befreiten Jerusalem. Ich traue mir zu, schöne Verse zu machen, und einige Strophen in den Künstlern werden Dir keinen Zweifel darüber lassen. Auch über die Epoche aus seinem Leben, die ich wählen würde, habe ich nachgedacht. Ich hätte gern eine unglückliche Situation, welche seinen Geist unendlich poetischer entwickeln läßt. Die Schlacht bei Kollin und der vorhergehende Sieg bei Prag z. B., oder die traurige Constellation vor dem Tode der Kaiserin Elisabeth, die sich dann so glücklich und so romantisch durch ihren Tod lös’t. Die Haupthandlung müßte wo möglich sehr einfach und wenig verwickelt seyn, daß das Ganze immer leicht zu übersehen bliebe, wenn auch die Episoden noch so reichhaltig wären. Ich würde darum immer sein ganzes Leben und sein Jahrhundert darin anschauen lassen; es giebt hier kein besseres Muster als die Iliade. Homer z. B. macht eine charakteristische Enumeration der alliirten Griechen und der trojanischen Bundesvölker. Wie interessant müßte es seyn, die europäischen Hauptnationen, ihr Nationalgepräge, ihre Verfassungen, und in sechs bis acht Versen ihre Geschichte anschauend darzustellen! Welches Interesse für die jetzige Zeit! Statistik, Handel, Landescultur, Religion, Gesetzgebung: alles dies könnte oft mit drei Worten lebendig dargestellt werden. Der deutsche Reichstag, das Parlament in England, das Conclave in Rom u. s. w. Ein schönes Denkmal würde auch Voltaire darin erhalten. Was es mir auch kosten möchte, ich würde den freien Denker vorzüglich darin in Glorie stellen, und das ganze Gedicht müßte dieses Gepräge tragen.

Laß uns manchmal über diese Fridericiade miteinander plaudern.

Diese Woche werde ich ohne Zweifel meine Vocation nach Jena förmlich erhalten. Die Rescripte sind alle dort, und gestern habe ich schon die Anzeige meiner Vorlesungen für diesen Sommer hinschicken müssen. Ich habe hierin noch eine recht erträgliche Auskunft zu treffen gewußt. Weil ich gern diesen Sommer so wenig als möglich überhäuft werden wollte, und doch eilen mußte, mich in den Besitz der Universalhistorie zu setzen (die als eine res derelicta sonst von meinem Collegen Heinrich hätte können weggefangen werden), so habe ich eine Introduction in die Weltgeschichte als publicum angeschlagen, und bloß zur Form noch meine niederländische Rebellion als privatum, das ich aber nicht zu halten gedenke. Man hat mir gesagt, daß ich dieses dann machen könne, wie ich wolle. Ich dürfe nur sagen, daß ich noch keine hinlängliche Anzahl beisammen habe, oder dgl. Mit dem October aber drehe ich es um, mache die letztere zum publicum und die Weltgeschichte zum privatum; wobei ich gewinne, daß von denjenigen, die sie im Sommer als publicum zu hören anfingen, weil sie ihnen nichts kostete, vielleicht mehrere fortfahren sie zu hören, wenn mein Vortrag sie angelockt hat. Eben schreibt mir Schütz, daß es besser gethan seyn würde, dieses privatum über die niederländische Revolution für diesen Sommer nicht anzuschlagen, weil es ganz unmöglich sei, zu einer so particulären Vorlesung eine gehörige Anzahl zusammenzubringen, und weil er nicht wünschte, daß mein erstes privatum ins Stocken geriethe. Es würde mirs niemand verdenken, wenn ich nur das publicum läse, und erst mit dem Herbst eigentlich anfinge. Von Tentamen oder Disputation ist gar nicht die Rede, da ich als Professor vocirt werde. Ein Logis haben mir auch Schützes ausfindig gemacht, das sehr gut seyn soll, Meubles und Lehrsaal dazu um vierzig Thaler. Sobald ich beim Herzog mich gemeldet und meine Vocation empfangen habe, werde ich auf einen Tag nach Jena gehen und das Nothwendige arrangieren.

12. März [Donnerstag].

Ich vergaß Dir neulich noch einige Anfragen in Deinem Briefe zu beantworten. Wegen der Memoires weiß ich Dir nichts Genaueres zu bestimmen, als daß ich die englischen Memoires vom Mittelalter gern von Dir bearbeitet wünschte. Für die französischen habe ich schon gesorgt. Da ich von den englischen wenig weiß, so kann ich Dir auch nicht bestimmen, welche Du bearbeiten sollst. Ich vermuthe, daß man vor dem eilften Jahrhundert wenige antrifft. Die Collection der französischen Memoires, die jetzt periodisch in Paris herauskommt, und von der ich Dir neulich schrieb, fängt mit Joinville (unter Ludwig dem Heiligen) an. Ich werde aber die Memoires des Komnenus, die noch früher sind, vorangehen lassen. Du siehst ein, daß es am besten gethan seyn würde, wenn wir eine synchronistische Ordnung beobachten könnten. Fändest also Du im Englischen so frühe Memoires, so ist es desto besser. Zwei Bände sind den französischen gewidmet, einer den englischen und der vierte wechselsweise den deutschen, italienischen und spanischen u. s. f., wo es deren giebt. In Ansehung der Art sie zu bearbeiten mußt Du über folgende Hauptpunkte mit mir übereinkommen:

1) Alles herauszuwerfen, was in der Geschichte nichts aufklärt, was bloßes Geschwätz, oder pedantische Mikrologie oder dergl. ist, und dadurch die Memoires auf den kleinstmöglichen Auszug zu reduciren, wo möglich auf die Hälfte oder auch noch weniger.

2) Charakteristische Kleinigkeiten vorzugsweise zu erhalten und allgemein bekannte Thatsachen so kurz als möglich zu berühren.

3) Der Verständlichkeit des Textes mit historisch-kritischen Anmerkungen nachzuhelfen.

4) Mit Freiheit zu übersetzen, daß die wörtliche Treue der Gefälligkeit des Styls nachgesetzt wird.

Ich lege meinen Contract mit Mauke bei, woraus Du das Uebrige ersehen kannst. Aus beigelegtem Zeitungsblatte kannst du den Werth der französischen Sammlung näher ersehen; und überhaupt wirst Du finden, daß die Entreprise viel Solides hat, und daß diese gleichzeitige Erscheinung eines ähnlichen Werkes in Frankreich dem unsrigen zu einer Stütze und Empfehlung dient. Ich überlasse Dir nun die Wahl der englischen Memoires, wie auch ihre Anschaffung ganz und werde mich nicht mehr darum bekümmern. Mache nun Deine Eintheilung und fange bei so frühen Zeiten an, als sich Memoires in England finden. Ueber den Begriff, was ich für Memoires gelten lasse, müssen wir uns aber auch noch verständigen. In diesen Begriff gehört erstlich, daß der Schriftsteller gesehen haben muß, wovon er schreibt; zweitens, er beschreibt entweder eine einzelne merkwürdige Begebenheit, an der mehrere Personen theilnahmen oder er schreibt das Leben einer einzelnen merkwürdigen Person, die viele Begebenheiten erlebte: also weder Chronik noch Geschichte; drittens, der liefert particuläre Aufschlüsse zu bekannten Begebenheiten. Ueberlege nun die Sache, und schreibe mir dann, wie Du Dich eintheilen willst.

Von der Thalia erscheint noch vor Ostern das 7. und 8. Heft; dieses wahrscheinlich als das letzte. Zu beiden liegt schon Manuscript in Leipzig. Nur das, was vom Geisterseher darein kommt, ist noch nicht ganz fertig. Du hast mir gar nicht geantwortet, ob Du auf den T. Mercur abonniren willst, wie ich Dir einmal vorschlug; das Abonniren wird Dich nun nichts mehr kosten, wenn Du ein ordentlicher Mitarbeiter wirst; aber ehe Du dieses bist, so kannst Du ihn noch nicht wohl geschenkt verlangen. Ich habe Dich deßwegen als Abonnenten angegeben, damit Dir jedes Heft gleich ausgeliefert werden kann. Wenn der Termin zur Bezahlung kommt, wirst Du mit Wieland lange einig seyn, daß Du ihn nicht bezahlst. Willst Du aber nicht, oder hättest Du schon abonnirt, so lasse ich diesen Jahrgang mir anschreiben und verschenke das Exemplar. Antworte mir darüber. Grüße mir M. und D.

Schiller.