HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 12. Februar 1788

Schiller an Gottfried Körner, 12. Februar 1788

Bewertung:
(Stimmen: 0 Durchschnitt: 0)

Weimar, 12. Februar [Dienstag] 1788.

Eben, mein Lieber, lege ich ein Buch weg, das mir ungemein viel Vergnügen gemacht hat: ein Leben Diderots, von seiner Tochter geschrieben und noch in Manuscript. Herder hat es durch den Prinzen August von Gotha hierher gebracht, und ich wüßte nicht, welche von seinen Schriften, so vortrefflich sie auch sei, mir diese schöne Idee von dem Wesen dieses Mannes hätte geben können Welche Thätigkeit war in diesem Menschen! Eine Flamme, die nimmer verlöschte! Wieviel mehr war er anderen, als sich selbst! Alles an ihm war Seele! Jeder Zug aus diesem Bilde bezeichnet uns diesen Geist und würde in keinen anderen mehr taugen! Alles trägt den Stempel einer höheren Vortrefflichkeit, deren die höchste Anstrengung anderer gewöhnlicher Erdenbürger nicht fähig ist. Es ist eigentlich nur wenig, was diese Biographie von ihm aufbewahrt hat; dieses Wenige aber ist mir ein großer Schatz von Wahrheit und simpler Größe, und mir werther, als was wir von Rousseau haben. Diderot hatte lange und oft mit dem Mangel zu kämpfen; viele seiner Schriften danken ihre Entstehung seinem Bedürfniß, noch mehrere einer Herzensangelegenheit mit einer Madame de Roussieux, die ihn tüchtig in Contribution setzte. Madame brauchte funfzig Louis am Charfreitag. Er schrieb: „pensées philosophiques“ und brachte ihr auf Ostern funfzig Louis. So gings mit fünf und sechs anderen Werken. Advocatenreden, Missionspredigten, adresses au Roi, Dedicationen, Avertissements, Bettelbriefe und Anzeigen neuer Pomaden flossen aus seiner Feder. Ein Zug seiner philosophischen Denkart: – Ein junger Mensch bringt ihm eine Satyre in Manuscript zu lesen. Die Satyre ist auf Diderot gemacht. Er läßt ihn kommen und fragt ihn, wie er sich einkommen lassen könnte, ihm die Zeit durch das Lesen einer Satyre zu stehlen. Der junge Mensch antwortete, er habe Geld gebraucht und gehofft, daß er ihm das Manuscript abkaufen würde, um den Druck zu verhindern. Diderot sagte, wenn er dieses wolle, so könne er ihm einen weit einträglicheren Rath geben. Er solle zum Bruder des Duc d’Orleans gehen und ihm das Buch dediciren; dieser wäre sein Feind und würde die Satyre mit Gold aufwägen. Der junge Mensch hatte keinen Zugang zu dem Prinzen. Diderot ließ ihn sich niedersetzen, und dictirte ihm ein Epitre dédicatoire à son Altesse. Mit dieser ging der arme Teufel zum Prinzen und fischte fünfundzwanzig Louisd’or.

Ein andermal machte ein junger Mann, der viel Geist und Herz zeigte, seine Bekanntschaft. Es fehlte ihm an Geld, und nachdem Diderot seine Familienangelegenheiten sich erzählen lassen, erfuhr er, daß er einen Bruder habe, der ihn unterstützen könnte, daß aber dieser Bruder übel auf ihn zu sprechen sei, weil er ihm einstmals an seinem Glücke hinderlich gewesen. Diderot ging zu diesem, um für den jungen Riviere fürzusprechen, erfuhr aber hier so viele Schandthaten und unerhörte Niederträchtigkeiten von dem letzteren, daß ihm schauerte. Als jener mit der Erzählung fertig war, fragte er Diderot, ob er sich nun noch eines solchen Bösewichts gegen ihn annehmen wolle? Diderot hatte sich gefaßt und sagte: er habe alles dieses schon gewußt, und noch mehr, als er ihm eben erzählt habe. Noch mehr? sagte der andere. Ja, sagte Diderot, ich weiß z. B., daß er mit einem Dolch in der Hand auf Sie gelauert hat, um Sie meuchelmörderisch umzubringen, und dieses habe Sie in Ihrer Erzählung ausgelassen. – – Weil es nicht wahr ist, sagte der andere – und gesetzt, daß es wäre, antwortete Diderot, so ist auch das noch nicht genug, um Sie zu entschuldigen, einen Bruder in der Noth zu verlassen. Der andere war so überrascht und wurde so hingerissen, daß er dem Schurken eine Pension aussetzte. Diese Geschichte geht noch weiter, aber sie ist zu weitläufig für diesen Brief. Ich wünschte, Dir das Manuscript verschaffen zu können.

Dein Präsidententausch soll, wie ich wünsche, zu Deinem Vortheil ausgeschlagen seyn. Charlotte beschreibt mir den neuen Herrn als einen bigotten Patron. Er müßte sich also verändert oder den Umständen für den Augenblick nachgegeben haben. Indessen wenn dieser neue Präsident Dir auch sonst nichts nützt, so giebt er Dir doch auf eine Zeitlang einen Geschäftsstoff, den Du bei einem etwas langweiligen Metier brauchen dürftest.

Mir geht es hier so ganz gut. Lange kann ich nicht im Maschinengange eines soliden Geschäfts verharren, das sehe ich schon. Aber die Unterbrechungen dauern noch nicht lange, und ich finde den Faden immer wieder. Eigentlich, Lieber, finde ich doch mit jedem Tage, daß ich für das Geschäft, welches ich jetzt treibe, so ziemlich tauge. Vielleicht giebt es bessere, aber nenne mir sie. Die Geschichte wird unter meiner Feder, hier und dort, manches, was sie nicht war. Das sollst Du am Ende selbst erkennen, wenn Du erst mein Buch gelesen haben wirst. Im Jennerstück des Mercur steht der Anfang meiner Einleitung in die Rebellion; aber einen Begriff von meinem historischen Berufe kann sie Dir durchaus noch nicht geben; warte also, bis ich Dir das erste Buch wenigstens abgedruckt schicken kann. Alsdann, mein Lieber, mache Dir den Spaß und lies dieselbe Geschichte in jedem anderen Buche, worin sie beschrieben ist. Freilich schnell geht es damit nicht; aber dies ist für jetzt mehr die Schuld meiner Neulingschaft in der Historie, und wird sich heben, wenn wir erst besser mit einander bekannt sind. Wie weit mich diese Art von Geistesthätigkeit führen wird, ist schwer zu sagen; aber mir schwant, daß wenn sich meine Lust nach der Proportion, wie sie angefangen hat, vermehrt, ich am Ende dem Publicisten näher bin, als dem Dichter, wenigstens näher dem Montesquieu als dem Sophokles – und dabei danke ich mit jedem Schritte dem Himmel für jede poetische Zeile, die ich mich zu machen nicht habe verdrießen lassen.

Hier geht alles Uebrige charmant; ich und Wieland stehen uns noch wie immer; ich wundere mich selbst, daß wir noch keine Händel gehabt haben. Neulich hätt ich ihn fast auf den Kopf gestellt; ich war just in einer meiner widersprechenden Launen, und da erklärte ich ihm, als das Gespräch auf französischen Geschmack roulirte, daß ich mich anheischig machte, jede einzelne Scene aus jedem französischen Tragiker wahrer und also besser zu machen. Du kannst ungefähr wissen, wie ich das meinen mußte, aber ihm hatte ich in die Seele gegriffen. Er führte mir meinen Carlos zur Widerlegung an; wo ich nämlich gerade die Fehler hätte, die ich an den Franzosen tadle. Ich sagte ihm, daß aus den dreißig Bogen des Carlos gewiß sieben herauszubringen seien, worin reine Natur sei (und habe ich nicht recht?); er solle mir das an einem französischen Stücke probiren. Er solle mir den Marquis Posa in einer Scene mit einem König Philipp soweit kommen lassen, ohne meinen Weg einzuschlagen, oder er solle eine dreizehn Blätter starke Scene zwischen Carlos und der Eboli in französischem Geschmacke schrieben lassen, und sehen, wer sie aushält.

Er konnte mir nichts antworten, und ich glaube überhaupt niemand.

Eine Frau habe ich noch nicht; aber bittet Gott, daß ich mich nicht ernsthaft verplempere. Adieu, meine Lieben. Heute erwarte ich Briefe von Euch. Wann kommt denn Huber? Tausend Grüße an Euch alle von

Eurem S.