HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 14. Oktober 1787

Schiller an Gottfried Körner, 14. Oktober 1787

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Weimar, 14. October Sonntag 1787.

Gestern hatte ich einen angenehmen Abend. Die Schröder hat Charlotten und mir die Iphigenia nach Goethes erstem Manuscript, wie es hier gespielt wurde, vorgelesen. Es ist eigentlich auch in Jamben, aber mit Einmischung prosaischer Stellen, so daß es für eine poetische Prosa gilt. Ich war darum auf dasselbe neugierig, weil es doch die erste Geburt, die gedruckte Iphigenia aber Ausarbeitung ist. Im Ganzen genommen ist die letzte doch viel vollkommener. Zuweilen mußte des Verses wegen eine nützliche Partikel aufgeopfert werden, dafür hat der Vers schönere Wendungen, manchmal auch schönere Bilder veranlaßt; und ein Trochäus oder Spondeus thut auf eine lange Reihe von Jamben immer eine üble Wirkung: siehe Schillers Carlos bei Bondini. Die Schröder liest gut, sehr gut, weit weniger gezwungen als Gotter, mit Affect und richtiger Auseinandersetzung. Als ich sie lesen sah und hörte, wurde die Erinnerung jener Zeit in mir lebendig, wo sie dasselbe in ihrer Blüthe gethan haben soll. Sie war mir dadurch interessanter; das kannst Du leicht denken. Wir sehen einander jetzt oft, fast drei- und viermal die Woche; sie ist doch eigentlich eine von unseren behaglichsten Bekanntschaften und uns sehr attachirt.

Mlle. Schmidt und ich sind jetzt auch bekannter. Das berühmte Whist ist vorigen Mittwoch vor sich gegangen, wo wir sehr lustig waren. Ich konnte den ganzen Abend nicht herausbringen, was rechts oder links war. Bode kam dazu und erzählte es im ganzen Saal. Ich hätte Euch wirklich in diese Gesellschaft gewünscht, weil man unter vielerlei Menschen von Sinn so ganz zu Hause seyn kann. Bei Tische saß ich zwischen der Schröder und Schmidt, und fand, daß man sich just auf soviel Zeit recht angenehm dabei haben kann. Doch schwerlich länger. Beide haben bei Tische einige englische Lieder gesungen (es waren Engländer da), die ungemein schön sind. Ich will mir sie von der Schmidt geben lassen und Euch schicken.

Mit Wieland bin ich ausgesöhnt. Ich mußte ihm, nach allen Regeln der Höflichkeit und Billigkeit, wegen seiner Anzeige des Carlos im Mercur etwas sagen, worauf es sich ohne Erklärung sehr natürlich ergab, daß wir uns doch näher wären. Er sagte mir viel Gedachtes und Schmeichelhaftes über mich selbst; unter andern warnte er mich, weniger verschwenderisch in meinen Stücken zu seyn, damit ich mich nicht ausgebe. Aus dem Carlos, sagte er, hätte ich drei wichtige Stücke machen können. Er ist jetzt überzeugt, daß das Drama mein Fach ist. Ich bin es noch nicht. Dies ging im Clubb vor; vor einigen Tagen besuchte ich ihn zum erstenmale wieder; er war krank, wir kamen aber so ins Gespräch, daß ich drei Stunden blieb. Da hab ich mich ganz vortrefflich unterhalten. Wir waren recht herzlich miteinander, und das Interesse, das wir dabei nahmen, gab den frivolsten Dingen einen Werth. Er ließ sich in das Detail der ganzen Haushaltung mit mir ein, wobei er mir vielen Spaß machte. An Wieland ist das vorzüglich merkwürdig, daß er einen noch so jugendlichen Geist hat, in einem alten Körper. Von Euch sprach ich diesmal viel; ich gab ihm meinen Wunsch zu erkennen, Euch in Weimar zu wissen: denn ich bin überzeugt, daß wenn Ihr oder wir hier wären und blieben, wir müßten und könnten den Ton der Geselligkeit in Weimar verändern. Wieland und seine äußerst gute Frau, häßlich wie die Nacht, aber brav wie Gold, und bis zur kindlichen Einfalt natürlich und munter; Herder und seine Frau, beide voll Geist und Genie; Bertuch und seine Frau (welche im Umgange recht sehr genießbar sind); Bode, Voigt, Hufeland, Riedel, Schmidt und seine Tochter (welche immer soviel werth sind, als die guten Dresdner Menschen), die Schröder, die Frau v. Stein und ihre Schwester die Imhof, Knebel und noch andere – lauter Menschen, die man in einem Ort nie beisammenfindet, – müßten einen recht schönen Hintergrund zu unserer Freundschaft abgeben. Das wären, mit uns, schon zweiundzwanzig Menschen, um die man leben könnte!! Man ist hier arm, und es läßt sich mit wenigem Gelde schon angenehm leben. Ich sagte Wieland, nachdem ich Euch der Reihe nach beschrieben, daß ich wünschte, Du würdest hier Hofrath mit einer leidlichen Besoldung. Der Herzog und alle Weimarianer würden gewinnen, und ich, der ich mich von Euch nicht trennen würde, könnte dann auch hier existiren. Das leuchtete W. ganz erstaunlich ein, und er trieb mich an, gegen den Geheimen Rath Schmidt ein Wort davon fallen zu lassen. Soll ich, oder soll ich es nicht? Ein anderes Resultat dieses Abends war: daß ich mich mit W. nun zu dem Mercur associire, daß nächstes Jahr eine neue Einrichtung gemacht, ein neues Avertissement davon gegeben und dieses Journal in einer neuen Gestalt erscheinen wird. Das ist so zugegangen. Ich sprach mit ihm davon, daß ich, weil ich die Nothwendigkeit einsähe, viel zu lesen und dieses mit vielem Schreiben nicht wohl vereinigen könne, wünschte einen Canal zu haben, in den ich gleich die ersten Resultate meiner Lectüre werfen könnte. Die Thalia würde mir diese Dienste thun, aber fürs erste sei sie noch nicht ganz im Gange, und zweitens wäre ich ihr allein nicht gewachsen, da zum Glück eines Journals gehöre, daß es öfters erschiene, wenigstens alle Monat. Sein Mercur auf der anderen Seite sei nicht vielfältig genug, seinem Titel nicht entsprechend, oft zu trocken, und auf ihn selbst nicht zu rechnen. Er nahm mir gleich das Wort aus dem Munde und gestand mir, daß ich auf einen seiner alten Wünsche getroffen habe. Es würde ihm äußerst angenehm seyn, diese Idee zu realisiren: wir wollten den Plan des Mercurs erweitern, in einem Avertissement diese Veränderung ankündigen, und darin sagen, daß die Thalia in dem Mercur aufgehört habe. Der Mercur sollte nun, weil er doch schon in sehr vielen Händen sei, zu einem herrschenden Nationaljournal werden. Nächstes Jahr würde er selbst noch wenig damit zu schaffen haben können, aber mit frischem Leben wieder daran gehen, sobald sein Lucian fertig sei. Er hätte soviel Ideen und Plane auf dem Herzen, auf die er Verzicht thun müsse, weil er zu alt und zu befangen sei: diese würde ich aus seiner Seele nehmen und zu den meinigen machen. Er treibt mich, ihm bald meinen Plan zum Mercur aufzusetzen. Diese Woche kommt Reinhold, dann werden wir Rath darüber halten. Wieland meint, daß mich der Mercur in den Stand setzen müsse, das Nothwendige zu bestreiten. Was meinst Du zu der Idee? Ich glaube, es könnte etwas herauskommen. In jedem Falle bin ich dann präsumtiver Erbe des Mercur. Wieland hat Postfreiheit und noch andere Vortheilchen, die ihn vor anderen bei Journalen begünstigen.

Bei Herder war ich vorige Woche auch, und ging dann mit ihm und seiner Frau spazieren. Er hat mir viel Schönes und Geistvolles über den Carlos gesagt; er hat äußerst viel auf ihn gewirkt, aber die drei ersten Acte findet er mehr unis und mehr ausgearbeitet, als die letzten. Er will ihn wieder lesen und mir dann mehr darüber sagen. Unsere Gesellschaft vermehrte sich auf dem Spaziergang, daß ich gar nicht mehr allein mit ihm reden konnte. Heute ist Concert von einem Menschen, der auch in Dresden will gewesen seyn, er nennt sich Valperti. Ich gehe hinein, weil ich die weimarsche Welt darin finde. Meine Laune ist seit einiger Zeit recht sehr gleichförmig ruhig und behaglich. Ich kann nicht leugnen, daß ich sehr wohl zufrieden bin, dabei finde ich, daß in uns selbst die Quelle der Schwermuth und Fröhlichkeit ist. Seit ich mit mir selbst mehr einig bin, finde ich auch außer mir mehr Freude. Lebe wohl, mein Lieber. Schreibe mir bald, aber nicht so aphoristisch und nicht so bloß historisch. Du mußt mir auch etwas von Deiner Seele sagen. Huber und die lieben Weiber küsse in meinem Namen. Huber schreibe ich kommenden Donnerstag. Adieu. Charlotte, glaube ich, schreibt heute selbst.

S.