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Schiller an Gottfried Körner, 14. November 1788

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Weimar d. 14. Nov. [Freitag] 1788.

Seit vorgestern bin ich wieder in meiner einstweiligen Heimat. Meine lezten Tage in Rudolstadt und meine Ersten hier waren so voll Zerstreuungen und Geschäften, dass ich nicht dazu kommen konnte, Dir zu schreiben. Auch habe ich noch auf einen Brief von Dir gewartet, der aber noch unterwegs seyn wird. Ich habe eben einen ruhigen Abend und will ihn anwenden, allerlei Dinge mit Dir abzuthun.

Mein Abzug aus Rudolstadt ist mir in der That schwer geworden, ich habe dort viele schöne Tage gelebt und ein sehr werthes Band der Freundschaft gestiftet. Bei einem geistvollen Umgang, der nicht ganz frey ist von einer gewissen schwärmerischen Ansicht der Welt und des Lebens so wie ich sie liebe, fand ich dort Herzlichkeit, Feinheit und Delikatesse, Freiheit von Vorurtheilen und sehr viel Sinn für das, was mir theuer ist. Dabey genoß ich einer unumschränkten inneren Freiheit meines Wesens und die höchste Zwanglosigkeit im äußerlichen Umgang und Du weißt, wie wohl einem bei Menschen ist, denen die Freiheit des anderen heilig ist. Dazu kommt, dass ich wirklich fühle, gegeben und im gewissen Betrachte wohlthätig auf diese Menschen gewirkt zu haben. Mein Herz ist ganz frey, Dir zum Troste; ich habe es redlich gehalten, was ich mir zum Gesetz machte und Dir angelobte; ich habe meine Empfindungen durch Vertheilung geschwächt, und so ist denn das Verhältniß innerhalb der Grenzen einer herzlichen vernünftigen Freundschaft. Uebrigens ist dieser Sommer nicht unwichtig für mich, wie ich Dir, glaube ich, schon geschrieben habe. Ich bin von mancherlei Dingen zurückgekommen, die mich auf dieser Lebensreise oft schwer gedrückt haben, und hoffe, mich künftig mit mehr innerer Freiheit und Energie zu bewegen. Doch, das wird sich in der Folge besser merken, als jezt beschreiben lassen.

Bei meiner Zurückkunft habe ich den armen Merkur in Todesnöthen gefunden. Das Feuer brennt Wieland auf den Nägeln, und er fängt an, mich sehr nöthig zu brauchen. Wenn ich mich nicht entscheidend für den Merkur mit ihm verbinde, so wird er wohl aufhören. Er hat mir über das Mercantilische ein offenherziges Geständniß abgelegt; ich will Dich selbst darüber urtheilen lassen. Der Merkur hat ohngefähr 1200 Käufer, welches auf 2000 Thaler, wie er sagt, hinausläuft (vermuthlich nach Abzug dessen, was Göschen erhält). Die Druck- und Papierkosten, sagt er, stehen zwischen 7 biß 800 Thaler. Nun bleibt ihm nach Abzug der Honorarien wie er behauptet nicht viel über 200 Thaler, welches mir dadurch begreiflich wird weil er z. B. Reinhold 300 Thaler en gros bezahlt und wer weiß was seine 2 anderen Schwiegersöhne ihm ausgepreßt haben. Die Autoren wollen frisch bezahlt seyn, und Er wird es freilich etwas langsam und in kleinen Sümmchen. Göthe ist jezt auch dazugetreten, und er hat mir im Vertrauen gesagt, daß Göthe nichts wegschenke. Wieland meint, daß er weit mehr Profit von seinen Arbeiten sich zu ziehen getraue, wenn er sie einzeln herausgäbe. Nun ist noch ein Ausweg, worüber er mir eben eine kategorische Antwort abfodert, nehmlich die alte schon voriges Jahr projectirte Entreprise, den Merkur ganz nach einem neuen und der Nation interessanten und anständigen Plan herauszugeben, wovon der Merkure de France, der schon 140 Jahre subsistirt, das Modell seyn soll. Zu diesem neuen Merkur nun fehlt uns eigentlich der dritte Mann, der sich diesem Werke ganz wie ich widmen könnte, einigen Nahmen hätte und, sobald er nicht nöthig hat ums Geld zu schreiben, etwas vortrefliches leisten könnte. Ich selbst habe eine solche Idee aus Rudolstadt mitgebracht, die mir erstaunlich einleuchtet und sehr ausführbar däucht. Es kommt nehmlich darauf an, einen Weg auszudenken, wie sich wenig und gut arbeiten mit einer anständigen Einnahme vereinigen lasse. Wenn 3 vortrefliche Federn des Jahres nicht mehr als eine jede ein Alphabet zu liefern haben, so sollte man denken, daß 3 Alphabethe vortrefliche Arbeit herauskämen. Vertheile diese 96 Bogen in 12 Hefte, so hast Du eine Monatsschrift, an der jeder Aufsatz Werk des Genies, der abgewarteten Stimmung und der Feile seyn kann. Rechnet man, daß jeder der drei Mitarbeiter 100 Carolin reinen Profit erhalten soll und der Entrepreneur die doppelte Summe, oder der Buchhändler, der sie übernimmt, auch diese 100 Carolin: so sind 2500 Thaler, welches mit den Druckkosten, die sich, wie Wieland sagt, jezt auf 750 Thaler und alsdann ohngefehr auf 1000 belaufen könnten, 3500 Thaler beträgt. Ist diese Summe zusammenzubringen, so hat 1) Deutschland ein vortrefliches Journal u. 2) drei gute Köpfe Brod. Da nun der Mercur 2000 Thaler bereits einträgt und also nur 1500 fehlen, so sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn man diese 1500 Thaler nicht durch Vortreflichkeit der Arbeit erzwingen könnte. Ein betriebsamer Buchhändler würde sie in 2 biß 3 Jahren bloß allein ausserhalb Deutschlands zusammentreiben. Dieß war meine Idee, und da Wieland nun gleich auf diese Materie kam, so haben wir denn die Töpfe zusammengetragen und uns in den festen Vorsatz vereinigt, mit 1790 diesen Neuen deutschen Merkur herauszugeben. Wieland will mir, es mag nun auch werden wie es will, für ein Alphabeth meiner besten Arbeiten 100 Louisdors bezahlen, wenn ich mich dem Unternehmen widmen will. Ich dachte Göthe könnte der dritte Mann werden; Wieland sezt aber kein großes Vertrauen in seine Beharrlichkeit. Wenn Wieland an der Spitze des Journals bleibt, wie er hartnäckig gesonnen ist, so ist es nichts mit Herdern, welcher mir sonst sehr einleuchtete. Auf jeden Fall wirst Du mir einräumen, daß ich bei diesem Plane nicht anders als zu gewinnen habe, wenn er zu Stande kommt. Zwey Bogen kann ich des Monats mit Lust und Muße fertig bringen, und diese sichern meine ganze Existenz. Aber auch Wieland kann zufrieden seyn und das Journal muß Vortheile genug dann haben, wenn ich jedes Heft mit 2 Bogen guter Arbeit versehe. Meine Fächer würden seyn: 1) Dramen, 2) Erzählungen, wie z. B. Verbrechen aus Infamie, Geisterseher u. s. w., 3) Historische Tableaux, Caracteristiken, Biographien, 4) Gedichte, 5) auch philosophische Materie wie Julius u. Raphael, und 6) kritische Briefe, wie die über den Carlos, nach welchen Wieland sehr verlangt, und die viel Sensation gemacht haben sollen.

Solltest Du es glauben, dass wir nach langem Herumsuchen in Deutschland doch noch keinen gefunden haben, der nur soviel dazu taugte, wie ich? d. h. der bei dieser Proportion der Fähigkeit dazu just soviel inneren Willen und äußre Muße hätte, und der gerade in solchen allgemein interessanten Fächern arbeitete? Einstweilen verlangt Wieland, dass ich ihm den Plan zu dem neuen Mercur, d. h. meine Gedanken aufschreibe. Ich erwarte noch vorher die Deinigen darüber. – Auch will er, dass ich mich wegen 1789 mit ihm auf einen bestimmteren Fuß setze als in diesem Jahre geschehen ist, und dass ich ihm bestimme, wieviel ich dieses 1789ste Jahr arbeiten und wie ich bezahlt seyn will. Es wäre mir gar zu lieb, dieses Project mit dem Merkur auszuführen und ihn nicht ganz sterben oder in andere Hände gerathen zu sehen. Jezt scheint Wieland in seine Schwiegersöhne gar wenig Vertrauen zu setzen, und Reinhold hat ihm offenbar auch mehr geschadet als genützt. Sein Hauptverdienst war das Recensiren, welche Last er Wieland fast ganz abgenommen hat. Aber der kritische Anzeiger hört mit diesem Jahre auf, dafür sollen künftig über Ausgezeichnete Produkte zuweilen ausgeführtere Critiken kommen, die selber musterhafte Aufsätze sind.

Göthe ist jezt auf einige Tage verreist. Es ist nun so ziemlich entschieden dass er hier bleibt, aber privatisirt. In dem Conseil steht nur noch sein Stuhl, er ist so gut als ausgetreten, die Cammer hat er ganz an Schmidt abgetreten, er ist jezt nur noch bei der Bergwerkscommission als eine bloßen Liebhaberei. – Herder ist durch Dalberg häßlich circumvenirt worden; ohne dass man ihn darum gefragt oder prävenirt hätte, hat sich eine Dame, eine Frau von Seckendorf, die Schwester des H. von Kalb, bei der Parthie gefunden, die die Reise nach Italien mitmachte und mit der Dalberg in Herzensangelegenheiten stehen mag. Herder fand erstaunlich viel unschickliches darinn, mit einer schönen Wittwe und einem Domherrn in der Welt herum zu ziehen und in Rom hat er sich ganz von der Gesellschaft getrennt und man sagt, daß er auf Ostern die Confirmation wieder in Weimar verrichten wolle. Er wird in Rom sehr gesucht und geschäzt; der Secretair der Propaganda, Borgia, hat ihn bei einem Souper einigen Kardinälen als den Erzbischoff von Sachsen-Weimar praesentirt.

Ich habe Dir aber noch einige Punkte aus Deinem Briefe zu beantworten.

Erstlich wegen Julius u. Raphael. Ich bin weit davon entfernt, ihn ganz liegen zu lassen, weil ich wirklich oft Augenblicke habe, wo mir diese Gegenstände wichtig sind; aber wenn Du überlegst, wie wenig ich über diese Materien gelesen habe, wieviel vortrefliche Schriften darüber vorhanden sind, die man sich ohne Schaamröthe nicht anmerken lassen kann, nicht gelesen zu haben, so wirst Du mir gerne glauben, daß es mir immer eine schwerere Arbeit ist, einen Brief des Julius zu schreiben, als die beste Scene zu machen. Das Gefühl meiner Armseligkeit – und Du mußt gestehen, daß diß ein dummes Gefühl ist – kommt nirgends so sehr über mich als bei Arbeiten dieser Gattung. Indeß will ich mich zusammennehmen und Dir eine Materie anspinnen, nur verlange sie so sehr bald nicht von mir; vor allen Dingen muß ich mich wieder in den Geisterseher hineingearbeitet haben.

Mein Gedicht sollst Du lesen und beurtheilen, ehe ich es drucken lasse. Jezt hat es seine Rundungen noch nicht.

Deine Beantwortung meiner Deduction von dem Auffenthalt und der Lebensart, die Du wählen sollst, bringt mich (wärs auch nur Deines Ersten Grundes wegen) vor der Hand zum Stillschweigen. – Weniger bin ich, was das Vorliebnehmen mit mittelmäßigen Menschen betrift, Deiner Meinung. Mittelmäßiger Umgang schadet mehr, als die schönste Gegend und die geschmackvollste Bildergallerie wieder gut machen können; auch mittelmäßige Menschen wirken; ein andermal mehr davon.

Ueber Hubers Dramatischen Beruf bin ich nicht mit Dir einig. Ich komme darauf zurück, was ich Dir, glaub’ ich, und auch ihm schon gesagt habe: er hat keinen dramatischen Styl; im Plan ist er glücklicher. Sein Fehler ist, dass er sich über einen Gedanken ganz ausschüttet, und das soll man nie. Die Scenen aus dem heimlichen Gericht gefallen mir weniger, je mehr ich sie lese, weil sie keinen Gedanken im Rückhalt haben, den sie nicht aus sagen, kurz, weil sie erstaunlich wortreich sind. Ich glaube nicht daß Huber viel im Dramatischen leisten wird und es sollte mir leid thun, wenn er dieses zu spät bemerkte, und seine Fähigkeiten von einem dankbarern Fache ablenkte. Freilich ist mir diese Beschäftigung bei ihm lieber als keine; aber muss denn just diese Alternatife seyn?

Ich erwarte mit Ungeduld Deine Composition der Hymne. Deine Gesundheit, Deine Lust und Liebe zur Thätigkeit freut mich.

Einen Roman wüßte ich Dir nicht zu nennen. Aber willst Du mit mir das nächste Jahr zusammentreten und mir den Plan ausführen helfen, eine Sammlung ausgezogener Memoires herauszugeben? Diß ist just eine Arbeit, um keinen Tag ganz ungenutzt zu verlieren, ich habe sie schon vor einem Jahre ausgedacht und bin fest dazu entschlossen. Die Sache ist bloß ein langsameres Lesen, das einem bezahlt wird. Einen Verleger will ich schon dazu schaffen.

Ich werde diesen Winter gar einsam hier leben, weil ich alle meine Kraft und Zeit zusammen nehmen will. Es ist viel stilles Vergnügen in dieser Existenz. Besonders die Abende sind mir lieb, die ich sonst sündlich in Gesellschaft verloren habe. Jezt sitze ich beim Thee und einer Pfeife und da denkt und arbeitet sichs herrlich.

Lebe wohl. Deinen nächsten Brief erwarte ich mit Ungeduld; er wird mir von Rudolstadt nachgeschickt; hast Du das Stück der A. L. Z. nicht beigelegt, so schick es nach. Lebewohl. Grüße alle herzlich.

Schiller.