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Schiller an Gottfried Körner, 19. Februar 1793

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Jena, den 18. Febr. [Montag] 93.

Ich sehe aus Deinem Briefe den ich eben erhalte, daß ich eigentlich nur Mißverständnisse, keine eigentlichen Zweifel gegen meine Erklärung der Schönheit bey Dir zu heben habe, und die bloße Fortsetzung meiner Theorie wird uns darüber wahrscheinlich in Einverständniß bringen. Vorläufig bemerke ich nur

1) daß mein Princip der Schönheit biß jetzt freilich nur subjectiv ist, weil ich bißher ja nur aus der Vernunft selbst heraus argumentirte, und mich auf die Objekte noch gar nicht einließ. Aber es ist nicht mehr subjektiv, als alles was aus der Vernunft a priori abgeleitet wird. Daß in den Objekten selbst etwas angetroffen werden muß, was die Anwendung dieses Princips darauf möglich macht, versteht sich von selbst, sowie auch dieß, daß mir obligt, es anzugeben. Aber daß dieses Etwas (nehmlich das durch sich selbst Bestimmtseyn in den Dingen) von der Vernunft bemerkt, und zwar beifällig bemerkt wird, dieses kann der Natur der Sache nach nur aus dem Wesen der Vernunft, und insofern also nur subjectiv dargethan werden. Ich hoffe aber, hinreichend zu beweisen, daß die Schönheit eine objective Eigenschaft ist.

2) muss ich anmerken, daß ich einen Begriff von der Schönheit zu geben und durch den Begriff der Schönheit gerührt zu werden für zwey ganz verschiedene Dinge halte. Daß sich ein Begriff von der Schönheit geben lasse, kann mir gar nicht einfallen zu läugnen, weil ich selbst einen davon gebe; aber das läugne ich mit Kant, daß die Schönheit durch diesen Begriff gefalle. Durch einen Begriff gefallen setzt die Praeexistenz des Begriffs vor dem Gefühl der Lust im Gemüthe voraus, wie bey der Vollkommenheit Wahrheit, Moralität immer der Fall ist; obgleich bey diesen 3 Objecten nicht mit gleich deutlichem Bewußtseyn. Aber daß unsrer Lust an der Schönheit kein solcher Begriff praeexistire, erhellt unter andern schon daraus, weil wir ihn jetzt noch immer suchen.

3) sagst Du, daß die Schönheit nicht aus der Sittlichkeit, sondern beyde aus einem gemeinschaftlichen höheren Princip zu deduciren seyn. Diesen Einwurf habe ich nach meinem neulichen Prämissen gar nicht mehr erwartet, denn ich bin so weit entfernt die Schönheit von der Sittlichkeit abzuleiten, dass ich sie vielmehr damit beynahe unverträglich halte. Sittlichkeit ist Bestimmung durch reine Vernunft, Schönheit, als eine Eigenschaft der Erscheinungen, ist Bestimmung durch reine Natur. Bestimmung durch Vernunft, an einer Erscheinung wahrgenommen ist vielmehr Aufhebung der Schönheit, denn die Vernunftbestimmung ist an einem Produkt, das erscheint, wahre Heteronomie.

Das höhere Princip das Du verlangst, ist gefunden und unwidersprechlich dargethan. Auch begreift es wie Du von demselben foderst, Schoenheit und Sittlichkeit unter sich. Dieses Princip ist kein anderes, als Existenz aus bloßer Form. Ich kann mich jetzt bey der Erörterung desselben nicht aufhalten, die ohnehin aus dem Verfolg meiner Theorie reichlich erhellen wird. Nur daß merke ich noch an, daß Du Dich durchaus von allen Nebenideen, womit die bisherigen Religionairs in der Moralphilosophie, oder die armen Stümper, die in die Kantsche Philosophie hineinpfuschten, den Begriff der Sittlichkeit entstellten, losreißen mußt – denn alsdann wirst du völlig überzeugt werden, daß alle Deine Ideen, so wie ich sie aus Deinen bißherig Aeußerungen ahnden kann, mit dem Kantschen Grund der Moral in einer größern Uebereinstimmung stehen, als Du jetzt selbst vielleicht nicht ahndest. Es ist gewiß von keinem Sterblichen Menschen kein größeres Wort noch gesprochen worden, als dieses Kantsche, was zugleich der Innhalt seiner ganzen Philosophie ist: Bestimme Dich aus Dir selbst: So wie das in der theoretischen Philosophie: Die Natur steht unter dem Verstandesgesetze. Diese große Idee der Selbstbestimmung strahlt uns aus gewissen Erscheinungen der Natur zurück, und diese nennen wir Schönheit.

Indessen verlasse ich mich auf meine gute Sache, und fahre deswegen in der angefangenen Entwicklung fort, von der ich wünsche, daß Du sie nur mit halb soviel Interesse anhören mögest, als es mir macht, mich darüber gegen Dich zu expectorieren.

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Es gibt also eine solche Ansicht der Natur oder der Erscheinungen, wo wir von ihnen nichts weiter als Freiheit verlangen, wo wir bloß darauf sehen, ob sie das, was sie sind, durch sich selbst sind. Eine solche Art der Beurtheilung ist bloß wichtig und möglich durch die prakt. Vernunft, weil der Freiheitsbegriff sich in der theoretischen gar nicht findet, und nur bey der Prakt. Vernunft Autonomie über alles geht. Die Prakt. Vernunft, auf freye Handlungen angewendet, verlangt, daß die Handlung bloß um der Handlungsweise (Form) willen geschehe und daß weder Stoff noch Zweck (der immer auch Stoff ist) darauf Einfluß gehabt habe. Zeigt sich nun ein Objekt in der Sinnenwelt bloß durch sich selbst bestimmt, stellt es sich den Sinnen so dar, daß man an ihm keinen Einfluß des Stoffes oder eines Zweckes bemerkt, so wird es als ein Analogon der reinen Willensbestimmung (ja nicht als Product einer Willensbestimmung) beurtheilt. Weil nun ein Wille, der sich nach bloßer Form bestimmen kann, frey heißt, so ist diejenige Form in der Sinnenwelt, die bloß durch sich selbst bestimmt erscheint, eine Darstellung der Freiheit; denn dargestellt heißt eine Idee, die mit einer Anschauung so verbunden wird, daß beide Eine Erkenntnißregel mit einander theilen.

Die Freiheit in der Erscheinung ist also nichts anderes, als die Selbstbestimmung an einem Dinge, insofern sie sich in der Anschauung offenbart. Man setzt ihr jede Bestimmung von außen entgegen, eben so wie man einer moralischen Handlungsart jede Bestimmung durch materielle Gründe entgegensetzt. Ein Objekt erscheint aber gleich wenig frey – es mag nun seine Form entweder von einer physischen Gewalt, oder von einem verständigen Zwecke erhalten haben, sobald man den Bestimmungsgrund s. Form in einem von diesen beiden entdeckt; Denn alsdann ligt ja derselbe nicht in ihm, sondern außer ihm, und es ist eben so wenig schön, als eine Handlung aus Zwecken eine moralische ist.

Wenn das Geschmacksurtheil völlig rein ist, so muß ganz und gar davon abstrahirt werden, was für einen (theoretischen oder praktischen) Werth das schöne Objekt für sich selbst habe, aus welchem Stoff es gebildet und zu welchem Zweck es vorhanden sey. Mag es seyn, was es will! Sobald wir es ästhetisch beurtheilen, so wollen wir bloß wissen, ob es das, was es ist, durch sich selbst sey. Wir fragen so wenig nach einer logischen Beschaffenheit desselben, daß wir ihm vielmehr „die Unabhängigkeit von Zwecken und Regeln zum höchsten Vorzug anrechnen.“ – Nicht zwar, als ob Zweckmäßigkeit und Regelmäßigkeit an sich mit der Schönheit unverträglich wären; jedes schöne Produkt muß sich vielmehr Regeln unterwerfen: sondern darum, weil der bemerkte Einfluß eines Zwecks und einer Regel sich als Zwang ankündigt und Heteronomie für das Objekt bei sich führt. Das schöne Product darf und muß sogar regelmäßig seyn, aber es muß regelfrey erscheinen.

Nun ist aber kein Gegenstand in der Natur und noch viel weniger in der Kunst zweck- und regelfrey, keiner durch sich selbst bestimmt, sobald wir über ihn nachdenken. Jeder ist durch einen andern da, jeder um eines andern willen da, keiner hat Autonomie. Das einzige existirende Ding, das sich selbst bestimmt und um seiner selbst willen ist, muß man außerhalb der Erscheinungen in der intelligibeln Welt aufsuchen. Schönheit aber wohnt nur im Feld der Erscheinungen, und es ist also gar keine Hofnung da, vermittelst der bloßen theoretisch Vernunft u: auf dem Wege des Nachdenkens auf eine Freiheit in der Sinnenwelt zu stoßen.

Aber alles wird anders, wenn man die theoretische Untersuchung hinwegläßt, und die Objekte bloß nimmt, wie sie erscheinen. Eine Regel, ein Zweck kann nie erscheinen, denn es sind Begriffe und keine Anschauungen. Der Realgrund der Möglichkeit eines Objects fällt also nie in die Sinne und er ist so gut als gar nicht vorhanden, „sobald der Verstand nicht zu Aufsuchung desselben veranlaßt wird.“ Es kommt also hier lediglich auf das völlige Abstrahiren von einem Bestimmungsgrunde an, um ein Objekt in der Erscheinung als frey zu beurtheilen (denn das nicht von außen Bestimmtseyn ist eine negatife Vorstellung des durch sich selbst Bestimmtseyns, und zwar die einzig mögliche Vorstellung desselben, weil man die Freiheit nur denken und nie erkennen kann, und selbst der Moralphilosoph muß sich mit dieser negativen Vorstellung der Freiheit behelfen). Eine Form erscheint also frey, sobald wir den Grund derselben weder außer ihr finden, noch außer ihr zu suchen veranlaßt werden. Denn würde der Verstand veranlaßt, nach dem Grund derselben zu fragen, so würde er diesen Grund nothwendig außer dem Dinge finden müssen; weil es entweder durch einen Begriff oder durch einen Zufall bestimmt seyn muß, beides aber sich gegen das Object als Heteronomie verhält. Man wird also folgendes als einen Grundsatz aufstellen können „daß ein Objekt sich in der Anschauung als frey darstellt, wenn die Form desselben den reflectirenden Verstand nicht zu Aufsuchung eines Grundes nöthigt. Schön also heißt eine Form, die sich selbst erklärt; sich selbst erklären heißt aber hier, sich ohne Hilfe eines Begriffs erklären. Ein Triangel erklärt sich selbst, aber nur vermittelst eines Begriffes. Eine SchlangenLinie erklärt sich selbst ohne das Medium eines Begriffs.

Schön, kann man also sagen, ist eine Form, die keine Erklärung fodert, oder auch eine solche, die sich ohne Begriff erklärt.

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Ich denke, einige Deiner Zweifel sollen sich jetzt schon anfangen zu verlieren, wenigstens siehst Du, daß das subjective Princip doch ins objective hinübergeführt werden kann. Kommen wir aber erst in das Feld der Erfahrungen, so wird Dir ein ganz anderes Licht darüber aufgehen, und Du wirst die Autonomie des Sinnlichen erst alsdann recht begreifen. Aber weiter:

Jede Form also, die wir nur unter Voraussetzung eines Begriffs möglich finden, zeigt Heteronomie in der Erscheinung. Denn jeder Begriff ist etwas äußeres gegen das Objekt. Eine solche Form ist jede strenge Regelmäßigkeit (worunter die mathematische obenan steht), weil sie uns den Begriff aufdringt, aus dem sie entstanden ist: eine solche Form ist jede strenge Zweckmäßigkeit (besonders die des Nützlichen, weil dieß immer auf etwas anderes bezogen wird), weil sie uns die Bestimmung und den Gebrauch des Objects in Erinnerung bringt, wodurch nothwendigerweise die Autonomie in der Erscheinung zerstört wird.

Gesetzt nun, wir führen mit einem Objekt eine moralische Absicht aus, so wird die Form dieses Objekts durch eine Idee der praktischen Vernunft, also nicht durch sich selbst bestimmt seyn, also Heteronomie erleiden. Daher kommt es, daß die moralische Zweckmäßigkeit eines Kunstwerks, oder auch einer Handlungsart, zur Schoenheit derselben so wenig beyträgt, daß jene vielmehr sehr verborgen werden und aus der Natur des Dinges völlig frey und zwanglos hervorzugehen den Anschein haben muß, wenn diese, die Schönheit, nicht darüber verloren gehen soll. Ein Dichter würde sich also vergebens mit der moralischen Absicht seines Werks entschuldigen, wenn sein Gedicht ohne Schönheit wäre. Das Schöne wird zwar jederzeit auf die praktische Vernunft bezogen, weil Freiheit kein Begriff der theoretischen seyn kann – aber bloß der Form, nicht der Materie nach. Ein moralischer Zweck gehört aber zur Materie oder zum Innhalt, und nicht zur bloßen Form. Um diesen Unterschied – an dem Du gestrauchelt zu haben scheinst – noch mehr ins Licht zu setzen, füge ich noch folgendes hinzu. Praktische Vernunft verlangt Selbstbestimmung. Selbstbestimmung des Vernünftigen ist reine Vernunftbestimmung, Moralität; Selbstbestimmung des Sinnlichen ist reine Naturbestimmung, Schönheit. Wird die Form des Nichtvernnünftigen durch Vernunft bestimmt (theoretische oder praktische, das gilt hier gleichviel), so erleidet seine reine Naturbestimmung Zwang, also kann Schoenheit nicht Statt haben. Es ist alsdann ein Produkt kein Analogon, eine Wirkung keine Nachahmung der Vernunft, denn zur Nachahmung eines Dinges gehört, daß das Nachahmende mit dem Nachgeahmten bloß die Form, und nicht den Innhalt nicht den Stoff gemein haben.

Deßwegen wird sich ein moralisches Betragen, wenn es nicht zugleich mit Geschmack verbunden ist, in der Erscheinung immer als Heteronomie darstellen, gerade weil es ein Produkt der Autonomie des Willens ist. Denn eben darum, weil Vernunft und Sinnlichkeit einen verschiedenen Willen haben, so wird der Wille der Sinnlichkeit gebrochen, wenn die Vernunft den ihrigen durchsetzt. Nun ist unglücklicher Weise der Wille der Sinnlichkeit gerade derjenige, der in die Sinne fällt; gerade also wenn die Vernunft ihre Autonomie ausübt (die nie in der Erscheinung vorkommen kann), so wird unser Auge durch eine Heteronomie in der Erscheinung beleidigt. Indessen wird der Begriff der Schönheit doch auch im uneigentlichen Sinn auf das moralische angewendet, und diese Anwendung ist nichts weniger als leer. Obgleich Schönheit nur an der Erscheinung haftet, so ist moralische Schönheit doch ein Begriff, dem etwas in der Erfahrung correspondirt. Ich kann Dir keinen beßeren empirischen Beweis für die Wahrheit meiner Schönheitstheorie aufstellen, als wenn ich Dir zeige, daß selbst der uneigentliche Gebrauch dieses Worts nur in solchen Fällen stattfindet, wo sich Freiheit in der Erschienung zeigt. Ich will deswegen, meinem ersten Plane zuwider, in den Empirischen Theil meiner Theorie vorausspringen, und Dir zur Erholung eine Geschichte erzählen.

„Ein Mensch ist unter Räuber gefallen, die ihn nackend ausgezogen und bei einer strengen Kälte auf die Straße geworfen haben.

Ein Reisender kommt an ihm vorbey; dem klagt er seinen Zustand und fleht ihn um Hülfe. „Ich leide mit Dir, ruft dieser gerührt aus, und gern will ich Dir geben, was ich habe. Nur fodere keine andern Dienste, denn Dein Anblick greift mich an. Dort kommen Menschen, gib ihnen diese Geldbörse und sie werden Dir Hülfe schaffen.“ – Gut gemeynt, sagte der Verwundete, aber man muß auch das Leiden sehen können, wenn die Menschenpflicht es fodert. Der Griff in Deinen Beutel ist nicht halb so viel werth, als eine kleine Gewalt über Deine weichlichen Sinne.“

Was war diese Handlung? Weder nützlich, noch moralisch, noch großmüthig, noch schön. Sie war bloß passionirt, gutherzig aus Affekt.

„Ein zweyter Reisende erscheint, der Verwundete erneuert seine Bitte. Diesem Zweyten ist sein Geld lieb und doch möchte er gern seine Menschenpflicht erfüllen. Ich versäume den Gewinn eines Guldens, sagte er, wenn ich die Zeit mit Dir verliere. Willst Du mir soviel, als ich versäume, von Deinem Gelde geben, so lade ich Dich auf meine Schultern, und bringe Dich in einem Kloster unter, das nur eine Stunde von hier entfernt ligt. – Eine kluge Auskunft, versetzt der andre. Aber man muß bekennen, daß Deine Dienstfertigkeit Dir nicht hoch zu stehen kommt. Ich sehe dort einen Reuter kommen, der mir die Hülfe umsonst leisten wird, die Dir nur um einen Gulden feil ist.“

Was war nun diese Handlung? Weder gutherzig, noch pflichtmäßig, noch großmüthig, noch schön. Sie war bloß nützlich.

„Der Dritte Reisende steht bey dem Verwundeten still, und läßt sich die Erzählung s. Unglücks wiederhohlen. Nachdenkend und mit sich selbst kämpfend steht er da, nachdem der andere ausgeredet hat. Es wird mir schwer werden, sagt er endlich, mich von dem Mantel zu trennen, der meinem kranken Körper der einzige Schutz ist, und Dir mein Pferd zu überlassen, da meine Kräfte erschöpft sind. Aber die Pflicht gebietet mir, Dir zu dienen. Besteige also mein Pferd, und hülle Dich in meinen Mantel, so will ich Dich hinführen, wo Dir geholfen werden kann. – Dank Dir, braver Mann, für Deine redliche Meinung, erwiedert jener, aber Du sollst, da Du selbst bedürftig bist, um meinetwillen kein Ungemach leiden. Dort sehe ich zwey starke Männer kommen, die mir den Dienst werden leisten können, der Dir sauer wird.“

Diese Handlung war rein (aber auch nicht mehr als) moralisch, weil sie gegen das Interesse der Sinne, aus Achtung fürs Gesetz unternommen wurde.

„Jetzt nähern sich die zwey Männer dem Verwundeten, und fangen an, ihn um sein Unglück zu befragen. Kaum eröfnet er den Mund, so rufen beide mit Erstaunen: Er ists! Es ist der nehmliche, den wir suchen. Jener erkennt sie und erschrickt. Es entdeckt sich, daß beide ihren abgesagten Feind und den Urheber ihres Unglücks in ihm erkennen, und dem sie nachgereist sind, um eine blutige Rache an ihm zu nehmen. Befriedigt jetzt euren Haß und eure Rache, fängt jener an, der Tod, und nicht die Hülfe ist es, was ich von Euch erwarten kann. – Nein, erwiedert einer von ihnen, damit Du siehst, wer wir sind, und wer Du bist, so nimm diese Kleider und bedecke Dich. Wir wollen Dich zwischen uns in die Mitte nehmen, und Dich hinbringen, wo Dir geholfen werden kann. – Großmüthiger Feind, ruft der Verwundete voll Rührung, Du beschämst mich, Du entwaffnest meinen Haß: Komm jetzt, umarme mich, und mache Deine Wohlthat vollkommen durch eine herzliche Vergebung. – Mäßige Dich, Freund, erwiedert der andere frostig. Nicht weil ich Dir verzeyhe, will ich Dir helfen, sondern weil Du elend bist. – So nimm auch Deine Kleidung zurück, ruft der Unglückliche indem er sie von sich wirft. Werde aus mir, was da will. Eher will ich elendiglich umkommen, als einem stolzen Feinde meine Rettung verdanken.

Indem er aufsteht und den Versuch macht, sich wegzubegeben, nähert sich ein fünfter Wanderer, der eine schwere Last auf dem Rücken trägt. Ich bin so oft getäuscht worden, denkt der Verwundete, und der sieht mir nicht so aus wie einer der mir helfen wollte. Ich will ihn vorübergehen lassen. – Sobald der Wandrer ihn ansichtig wird, legt er seine Bürde nieder. Ich sehe, fängt er aus eigenem Antrieb an, daß Du verwundet bist und Deine Kräfte dich verlassen. Das Nächste Dorf ist noch ferne und Du wirst Dich verbluten, ehe Du davor anlangst. Steige auf meinen Rücken, so will ich mich frisch aufmachen u: Dich hinbringen. – Aber was wird aus Deinem Bündel werden, das Du hier auf freier Landstraße zurücklassen mußt? – Das weiß ich nicht und das bekümmert mich nicht, sagt der Lastträger. Ich weiß aber daß Du Hülfe brauchst und daß ich schuldig bin, sie Dir zu geben.“

Herzliche Grüße von uns allen. Besinne Dich unterdessen warum die Handlung des Lastträgers schön ist.

Dein S.

d. 19. Febr. [Dienstag] 93.

Ich kann noch einige Zeilen zu dem gestrigen Brief beilegen und will Dir die Fabula docet der erzählten Geschichte nicht länger schuldig bleiben.

Die Schönheit der fünften Handlung muß in demjenigen Zuge liegen, den sie mit keiner der vorhergehenden gemein hat.

Nun haben: 1) Alle 5 helfen wollen. 2) Die meisten haben ein zweckmäßiges Mittel dazu erwählt. 3) Mehrere wollten es sich etwas kosten lassen. 4) Einige haben eine große Selbstüberwindung dabey bewiesen. Einer darunter hat aus dem reinsten moralischen Antrieb gehandelt. Aber nur der fünfte hat unaufgefodert, und ohne mit sich zu Rath zu gehen geholfen, obgleich es auf s. Kosten gieng. Nur der fünfte hat sich selbst ganz dabey vergessen, und „seine Pflicht mit einer Leichtigkeit erfüllt, als wenn bloß der Instinkt aus ihm gehandelt hätte.“ – Also wäre eine moralische Handlung alsdann erst eine schöne Handlung, wenn sie aussieht wie eine, sich von selbst ergebende, Wirkung der Natur. Mit einem Worte: eine freie Handlung ist eine schöne Handlung, wenn die Autonomie des Gemüths und Autonomie in der Erscheinung coincidiren.

Aus diesem Grunde ist das Maximum der Karaktervollkommenheit eines Menschen moralische Schönheit, denn sie tritt nur alsdann ein, wenn ihm die Pflicht zur Natur geworden ist.

Offenbar hat die Gewalt, welche die practische Vernunft bei moralischen Willensbestimmungen gegen unsere Triebe ausübt, etwas beleidigendes etwas peinliches in der Erscheinung. Wir wollen nun einmal nirgends Zwang sehen, auch nicht, wenn die Vernunft selbst ihn ausübt; auch die Freiheit der Natur wollen wir respektirt wissen, weil wir „jedes Wesen in der ästhetischen Beurtheilung als einen Selbstzweck“ betrachten, und es uns, denen Freiheit das Höchste ist, ekelt (empört), daß etwas dem anderen aufgeopfert werde, und zum Mittel dienen soll. Daher kann eine moralische Handlung niemals schön seyn, wenn wir der Operation zusehen, wodurch sie der Sinnlichkeit abgeängstigt wird. Unsere sinnliche Natur muß also im moralischen frey erscheinen, obgleich sie es nicht wirklich ist, und es muß das Ansehen haben, als wenn die Natur bloß den Auftrag unsrer Triebe vollführte, indem sie sich, den Trieben gerade entgegen, unter die Herrschaft des reinen Willens beugt.

Du siehst aus dieser kleinen vorangeschickten Probe, daß meine Schönheitstheorie von der Erfahrung schwerlich zu fürchten haben wird. Ich fodre Dich auf, mir unter allen Schönheitserklärungen, die Kantsche miteingerechnet, eine einzige zu nennen, die das uneigentliche Schöne so befriedigend auflöste, als, wie ich hoffe, hier geschehen ist.

Schreibe mir sobald Du kannst wieder. Binnen 8 Tagen werde ich wieder einen solchen Lastwagen an Dich abgehen lassen.

Dein S.