HomeBriefeBriefwechsel mit Gottfried KörnerSchiller an Gottfried Körner, 3. Februar 1794

Schiller an Gottfried Körner, 3. Februar 1794

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Ludwigsburg. Den 3. Febr. [Montag] 94.

Ich leb noch, und der ominose Januar ist vorüber; also hoffentlich noch auf eine Zeit lang Frist. Auch befinde ich mich seit 14 Tagen um vieles leidlicher, als die vorhergehenden 2 Monate, wo die Hartnäckigkeit meines Uebels mich beinahe gänzlich um meinen Muth gebracht hat. Schreiben konnte ich an keinen Menschen auf Erden, und selbst nicht an Dich, so theuer ich es auch bezahlt hätte, auch nur auf eine halbe Stunde Deines Anblicks froh zu seyn. Bliebe ich nur so, wie ich jetzt bin, und das Wetter erlaubte es, so würde ich gleich im März auf meine Heimreise denken. Sobald es nur irgend möglich ist, werde ich reisen. Auch Dir werde ich mich dann wieder näher wissen, und alles kann seinen alten Gang wieder gehen. Du kannst vielleicht die auf das vergangene Jahr projektierte Reise dieses Jahr nachhohlen, und so habe ich auf den kommenden Sommer doch fröhliche Erwartungen. Meine Frau ist noch immer recht erträglich wohl auf, und der Kleine ist wie das Leben. Er macht mir jetzt schon überaus viel Freude, und seine Lebhaftigkeit gibt mir Hofnung, daß er in 6 biß 8 Monaten schon närrisches Zeug machen wird. So sieht es bei uns aus; und also beßer, als mein langes Stillschweigen Dich vielleicht erwarten ließ.

In einigen Wochen kann ich Dir vielleicht einen Theil meiner ästhetischen Briefe abgeschrieben schicken; weil ich doch keine Möglichkeit sah, auf die Ostermesse mehr als einen Band fertig machen zu können, so habe ich Göschen noch gar nichts geschickt, und werde das Mscrpt also wenigstens noch 4 Monate im Pult behalten. Auch bin ich noch gar nicht weit gekommen, der Materie nach nehmlich, obgleich die fertigen Briefe gegen 14 gedruckte Bogen ausmachen dürften. Über den Begriff der Schönheit habe ich mich noch gar nicht eingelassen, und bin auch jetzt noch nicht soweit, weil ich erst eine allgemeine Betrachtung über den Zusammenhang der schönen Empfindungen mit der ganzen Kultur, und überhaupt über die ästhetische Erziehung der Menschen voranschickte. Kurz in den ersten 10 Bogen meiner Briefe ist der Stoff aus meinen Künstlern philosophisch ausgeführt. Es lag mir daran, die schwankenden Begriffe über das Schöne der Form und die Grenzen seines Gebrauchs im Denken und Handeln zu berichtigen, den Grund alter Vorurtheile dagegen zu untersuchen und wegzuräumen, und über diesen so oft ventilierten und eben so einseitig vertheidigten, als einseitig angefochtenen Gegenstand ins Reine zu kommen. Diesen Zweck habe ich, denke ich, erreicht, und bey der Strenge, mit der ich zu Werke gegangen bin, glaube ich die eigentliche Sphaere des Schönen gegen jeden Anspruch, der künftig dagegen gemacht werden könnte, völlig gesichert zu haben. Von dem Einfluß des Schönen auf den Menschen komme ich auf den Einfluß der Theorie auf die Beurtheilung u: Erzeugung des Schönen, und untersuche erst, was man sich von einer Theorie des Schönen zu erwarten, und besonders in Rücksicht auf die hervorbringende Kunst zu versprechen hat. Dieß führt mich natürlicherweise auf die von aller Theorie unabhängige Erzeugung des Originalschönen durch das Genie. Hier bin ich gerade jetzt, und es wird mir gar schwer, über den Begriff des Genies mit mir einig zu werden. In Kants Critik der Urtheils Kraft werden darüber sehr bedeutende Winke gegeben; aber sie sind noch gar nicht befriedigend. Vielleicht finde ich nachher noch Zeit, Dir den Faden meiner Ideen kürzlich mitzutheilen.

Wenn das Genie durch seine Produkte die Regel gegeben hat, so kann die Wissenschaft diese Regeln sammeln, vergleichen, und versuchen, ob sie unter eine noch allgemeinere und endlich unter einen einzigen Grundsatz zu bringen sind. Da sie aber von der Erfahrung ausgeht, so hat sie auch nur die eingeschränkte Autorität empirischer Wissenschaften. Sie kann bloß zu einer verständigen Nachahmung gegebener Fälle, aber niemals zu einer positiven Erweiterung führen. Alle Erweitung in der Kunst muß von dem Genie kommen; die Critik führt bloß zur Fehlerlosigkeit. Hier nehme ich mir nun Gelegenheit, aus Gründen zu deducieren, was von empirischen Wissenschaften zu erwarten ist und aus der Art, wie die Wissenschaft des Schönen entsteht, darzuthun, was sie zu leisten im Stand ist. Ich bestimme also zuerst die Methode, nach der sie errichtet werden muß, und dann zeige ich ihr Gebiet und ihre Grenze.

Nach diesen Vorbereitungen gehe ich dann an die Sache selbst; und zwar fange ich damit an, den Begriff der schönen Kunst erst in seine 2 Bestandtheile aufzulösen, aus deren Vermischung schon so viele Confusion in die Critik gekommen ist. Diese 2 Bestandtheile sind I. Kunst u: II. schöne Kunst. Als Kunst steht die schöne Kunst unter technischen Regeln, welche man ja nicht mit den aesthetischen verwechseln darf. Jedes Product der schönen Künste nehmlich ist immer zugleich die Ausführung eines objektiven Zweckes, und die Schönheit an demselben ist bloß eine Eigenschaft dieser Ausführung. Jener objektive Zweck nun unterwirft es bestimmten Regeln, welche sich eben so leicht wie die Regeln zu den mechanischen Künsten bestimmen lassen. Die Beobachtung dieser Regeln kann aber einem Werke der Schönen Kunst bloß das Verdienst der Wahrheit verschaffen (wenn es eine Nachahmung der Natur seyn soll), oder (wenn es nur einer Idee und keinem Naturprodukt gemäß seyn soll, wie z. B. architektonische Werke) das Verdienst der objektiven Zweckmäßigkeit, Brauchbarkeit. Aber sehr oft geschieht es, daß man ein Urtheil des Geschmacks zu fällen glaubt, wenn man bloß über diese technische Vollkommenheit urtheilt; und daher rührt es, daß man in den Begriff der Schönheit Eigenschaften aufgenommen hat, welche bloß der Wahrheit und der Brauchbarkeit gelten. Scheidet man nun aber das Technische von dem aesthetischen und trennt von dem Begriffe der Species (der schönen Kunst), was bloß den Begriff der Gattung (Kunst schlechtweg) angeht, so ist man erst auf dem rechten Wege zur Entdeckung der Schönheitsregeln.

Wenn ich nun auf diesem Weg den reinen Begriff der Schönheit (der aber freilich nur empirische Autorität hat) gefunden habe, so ist mit demselben auch der Erste Grundsatz aller schönen Künste – als schöner Künste – gegeben. Ich bringe denselben also wieder in die Erfahrung zurück, und halte ihn gegen die verschiedenen Gattungen möglicher Darstellung, woraus denn die besonderen Grundsätze der einzelnen schönen Künste hervorgehen werden. Alsdann wird es darauf ankommen, wie weit ich mich auf die Theorie dieser einzelnen Künste einlassen will.

Die Künste selbst theile ich generaliter ein nach ihrem Zweck, weil dieser die allgemeinen Regeln bestimmt; specifiziere sie aber nach ihrem Material und ihrer Form, weil daraus die besondern Regeln entspringen. Die HauptEintheilung ist also 1) in Künste des Bedürfnisses und 2) in Künste der Freiheit. Künste des Bedürfnisses nenne ich alle, welche Objecte für einen physischen Gebrauch bearbeiten, und wo dieser Gebrauch die Form des Objects bestimmt. Alle Form aber läßt einige Schönheit zu; weil keine durch ihren Zweck so scharf bestimmt seyn kann, daß der Imagination nicht noch etwas dabey überlassen wäre. Davon ist kein einziges Handwerk ausgenommen. Insofern nun in allen Künsten des Bedürfnisses dem Geschmack wenigstens etwas anheimgestellt ist, verdienen sie in einer Uebersicht des ganzen Gebiets der freien Künste eine Erwähnung. Die Künste des Bedürfnisses bearbeiten entweder Sachen, oder Gedanken, oder Handlungen. Mit den ersten beschäftigt sich die Architektur in weitester Bedeutung, worunter alle Geräthschaften, Bekleidungen, Arrangements u. s. f. begriffen sind, mit Gedanken die Beredsamkeit, mit Handlungen die schöne Lebensart. Ausnahmen sind bey keiner Eintheilung zu vermeiden, und sie finden sich auch hier. Sowohl der architektonische Künstler, als der Redner und der handelnde Mensch haben in gewißen Fällen bloß einen aesthetischen Zweck, und dann gehören ihre Produkte in die Klasse der eigentlich schönen Künste. So z. B. die schöne Architektur von Tempeln, Triumphbogen etc., von Vasen etc. die schönen Zimmerverzierungen – so die Tanzkunst, Schauspielkunst, Unterhaltung.

Künste der Freiheit nenne ich diejenig, welche zu ihrem eigentlich Zweck haben, in der freien Betrachtung zu ergötzen (schöne Künste in weiterer Bedeutung).

Jedes schöne Kunstwerk führt aber immer einen doppelten Zweck aus, und auf die Art und Weise, wie sich diese zweierley Zweck zu einander verhalten gründet sich die Unterabtheilung der schönen Künste. Jedes Werk der sch. Kunst nehmlich hat einen objectiven Zweck, den es ankündigt, und der ihm gleichsam seinen Körper verschafft. Der Bildhauer will einen Menschen nachahmen, der Musiker will Gemüthsbewegungen der Form nach ausdrücken, der Dichter will eben das, der Materie nach, thun u. s. f. Jedes schöne Kunstwerk aber hat zugleich den subjektiven Zweck (den es verschweigt, ob es gleich sehr oft der vornehmste Zweck ist), durch die Art, wie es jenen objectiven Zweck ausführt, den Geschmack zu ergötzen. Der Bildhauer befriedigt durch objektive Zweckmäßigkeit (Wahrheit der Darstellung) meinen Verstand, durch subjektive Zweckmäßigkeit (Schönheit) meinen Geschmack. Das letzte allein macht ihn zum schönen Künstler.

Nun kommt es darauf an, ob der objective Zweck bloß um des subjektiven willen da ist, oder ob er auch unabhängig von diesem (der Schönheit) den Künstler interessiert. Doch muß es in dem letztern Falle kein physischer, sondern auch ein aesthetischer Zweck seyn, weil das Product sonst unter die Künste der Freiheit gerechnet werden müßte.

Darauf gründet sich die Eintheilung der Künste in schöne Künste (in strengster Bedeutung), weil hier alles bloß auf Schönheit zielt, und in Künste des Affekts; eine Eintheilung, von der ich Dir ein andermal Rechenschaft geben will.

Die Post wird sogleich gehen. Ich hoffe Dir bald wieder zu schreiben. Tausend Grüße an alle.

Dein S.